Dtsch Med Wochenschr 2014; 139(51/52): 2642-2650
DOI: 10.1055/s-0034-1387498
Weihnachtsheft
Physiologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Der Schmerz in der Musikgeschichte

Betrachtungen über die neurobiologischen Mechanismen des Schmerzes und seine Darstellungen in der abendländischen MusikThe phenomenon of pain in the history of musicObservations of neurobiological mechanisms of pain and its expressions in western music
E. R. Gasenzer
1   Lehrstuhl für Chirurgische Forschung, Institut für Forschung in der Operativen Medizin, Fakultät für Medizin der Universität Witten/Herdecke, Campus Köln-Merheim, Köln
,
E. A.M. Neugebauer
1   Lehrstuhl für Chirurgische Forschung, Institut für Forschung in der Operativen Medizin, Fakultät für Medizin der Universität Witten/Herdecke, Campus Köln-Merheim, Köln
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Publikationsverlauf

21. Mai 2014

26. November 2014

Publikationsdatum:
09. Dezember 2014 (online)

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Zusammenfassung

Schmerzen gehören zu den intensivsten Empfindungen des Menschen. Deshalb fanden ihre Darstellungen schon früh Eingang in die Künste der Menschen. Mit dem Beginn des Barock begannen die Komponisten, menschliche Emotionen und Naturdarstellungen in ihren Werken musikalisch auszudrücken und auch erste Vertonungen von Schmerz sind in barocken Werken zu finden. In der Romantik drangen die Künstler mit neuen Ausdrucksformen tiefer in die Psyche ihrer Rezipienten vor. Schmerz intensivierte Sturm und Drang. neue dissonante Klänge erreichten das Unterbewusstsein der Hörer. Mit der Atonalität konnte Klang als Schmerz erfahrbar gemacht werden. Die neurophysiologischen Mechanismen der Dissonanz- und Schmerzverarbeitung nutzen ähnlich neuronale Strukturen und neurochemische Grundlagen. Im limbischen System und im Thalamus finden parallele Verarbeitungsweisen von Klang und Schmerz statt. Die emotionale Bewertung der musikalischen Strukturen wird stark von der Sekretion von Dopamin und Endorphinen sowie von den Strukturen des limbischen Systems beeinflusst. Erst im Verlauf der Geschichte der Westlich-europäischen Musik und mit dem wissenschaftlichen Fortschritt auf medizinischen und naturwissenschaftlichen Gebieten entstand das Verständnis dafür, warum bestimmte musikalische Strukturen auf welche Weise neurophysiologisch erfasst und verarbeitet werden. Die Beziehungen von Musik und Schmerz und stellen ein weitreichendes Gebiet dar, das den verschiedenen Fächern der Medizin und Psychologie wie auch in der musikwissenschaftlichen Forschung viele offenen Frage bietet.

Abstract

Purpose of this essay is to provide a historical overview how music has dealt with the emotion and sensation of pain, as well as an overview over the more recent medical research into the relationship of music and pain. Since the beginnings of western music humans have put their emotions into musical sounds. During the baroque era, composers developed musical styles that expressed human emotions and our experiences of nature. In some compositions, like in operas, we find musical representations of pain. During Romanticism artists began to intrude into the soul of their audience. New expressive harmonies and styles touch the soul and the consciousness of the listener. With the inception of atonality dissonant sounds where experienced as a physical pain.

The physiology of deep brain structures (like thalamus, hypothalamus or limbic system) and the physiology of the acoustic pathway process consonant and dissonant sound and musical perceptions in ways, that are similar to the perception of pain. In the thalamus and in the limbic system music and pain meet.

The relationships of music and pain is a wide open research field with such interesting questions as the role of dopamine in the perception of consonant or dissonant music, or the processing of pain during music listening. Musicology has not yet embarked on a general investigation of how musical compositions express pain and how that has developed or changed over the centuries. Music therapy, neuro-musicology and the performing arts medicine are scientific fields that offer a lot of ideas for medical and musical research projects.