Dtsch Med Wochenschr 2005; 130(37): 2101
DOI: 10.1055/s-2005-916349
Kommentar
Pathologie
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Pathologie - Die zytologische Untersuchung des Bronchialsekretes

Pathology - cytologic investigation of bronchial fluidC.-R Prüll1
  • 1Institut für Geschichte der Medizin, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
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Publication Date:
13 September 2005 (online)

Der Frankfurter Pathologe Gerhard Kahlau (1908 - 1984) schrieb 1958 in der DMW einen Beitrag über die praktische Bedeutung der zytologischen Untersuchung des Bronchialsekrets, das Patienten vorher im Rahmen diagnostischer Maßnahmen entnommen worden war. Damit war er einer der Mitbegründer der pneumologischen Zytopathologie. Als er den Beitrag verfasste, stand er auf dem Höhepunkt seiner Expertise auf diesem Gebiet. Kahlau propagierte, dass der Pathologe aus einzelnen Zellen oder lockeren Zellverbänden Lungenerkrankungen, vor allem das Bronchialkarzinom, diagnostizieren könne. Als Nachweis für sein Postulat dienten ihm statistische Nachweise, aber auch Kasuistiken.

Der Beitrag vom 4.4.1958 lässt sich kurz zusammenfassen. Aber seine grundsätzliche Bedeutung erschließt sich erst durch eine Analyse des Kontextes. Gleich im 2. Absatz schreibt Kahlau von „strikt(e) ablehnenden Äußerungen” im Zusammenhang mit seiner Methode. In seinem Beitrag findet sich somit nicht nur eine Beweisführung für seinen Standpunkt. Vielmehr ist er in noch stärkerem Maße durch die Widerlegung von Gegenargumenten seiner Kollegen aus der deutschen Pathologie geprägt. Denn Virchows Schatten ragte auch noch in die Nachkriegszeit hinein. Nur die Untersuchung eines geschlossenen Zellverbandes, am besten auf der Grundlage eines entnommenen Organes, machte nach der Lehrmeinung der meisten deutschen Pathologen eine valide Tumordiagnostik möglich. Doch noch viel gravierender war ein grundsätzliches Problem: Noch weit bis in die Nachkriegszeit stand der Leichensaal im Zentrum des Denkens der deutschen Pathologie. Die klinische Leichenöffnung war die entscheidende Methode, um die Todesursache des einzelnen Patienten sowie den Gesundheitszustand der Bevölkerung angemessen untersuchen zu können. Kahlau gehörte zu denjenigen, die mit diesem Paradigma brachen. Sein Beitrag handelt daher nicht nur von den alltäglichen Streitigkeiten von Fachleuten um die richtige Methode. Was auf dem Spiel stand, war die grundsätzliche Ausrichtung des Faches. Kahlau war letztlich ein Vertreter der „klinischen Pathologie”. Diese Fachrichtung schlug eine Brücke zur Klinik und zum Patienten, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland schwer beschädigt, wenn nicht gar zerstört worden war, denn die Entwicklung des Pathologen zu einem eigenständigen Spezialisten und die Fokussierung auf die Sektion waren durch eine gewisse Isolation in der Klinik erkauft worden. Der Bezug von Leichensaal und Krankenstation war nicht mehr direkt, sondern musste zwischen den Vertretern der Pathologie und denen der klinischen Fächer gleichsam „ausgehandelt” werden. Dagegen war für Kahlau der Bezug zur Klinik zentral, denn er befasste sich mit der Untersuchung auch des lebenden Patienten, von dem Körperflüssigkeiten und Gewebeproben entnommen wurden, um zu Lebzeiten eine Diagnose stellen zu können. Die Autopsie war nur noch eine von vielen Methoden des Pathologen.

Kahlau war damit letztlich auch ein Pionier der Biomedizin. Er nahm einen Import vor: Die „klinische Pathologie” hatte sich nach 1900 vornehmlich im angelsächsischen Raum durchgesetzt. Vor allem an den Londoner Privatkrankenhäusern waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Spezialisten für das Fach etabliert worden. Es umfasste schon seinerzeit die Bakteriologie, die experimentelle Pathologie, die Pathochemie, die pathologische Histologie und auch die makroskopische pathologische Anatomie. Und im St. Thomas’s Hospital in London hatte 1926 der damals leitende klinische Pathologe, Leonard Stanley Dudgeon (1876 - 1938) eine Technik für Exfoliativzytologie entwickelt, um Tumorzellen in der Pleura- und Aszitesflüssigkeit diagnostizieren zu können. Dudgeon war ein Pionier der Einzelzelluntersuchung wie George Nicholas Papanicolaou (1883 - 1962), der seit 1928 auf den diagnostischen Wert von Vaginalabstrichen für die Erkennung von Uteruskarzinomen hingewiesen hatte.

Erst nach 1945 fasste diese Pathologie und mit ihr auch entsprechende Methoden in Deutschland wirklich Fuß. Ansätze zur Erweiterung der deutschen Pathologie aus den Dekaden davor, sichtbar z.B. im Wirken des Virchow-Nachfolgers Johannes Orth (1847 - 1923), waren nicht erfolgreich. Kahlau hatte an dieser Neuorientierung Anteil. Die „praktische Brauchbarkeit” der Methode stand im Vordergrund. Der Bezug zur Klinik und die Akzeptanz durch die Kliniker waren entscheidend und nicht zuletzt auch das Einzelschicksal des Patienten. Durch sorgfältiges Abwägen des Für und Wider wollte Kahlau seiner Arbeitsrichtung zum Durchbruch verhelfen. Wie schwer dies war, zeigt die Statistik: Zwischen 1968 und 1991 stieg der Prozentsatz von Pathologen unter den Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Zytologie von 12 nur auf 27 %.

Dr. Cay-Rüdiger Prüll

Institut für Geschichte der Medizin, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Stefan-Meier-Straße 26

79104 Freiburg

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