Dtsch Med Wochenschr 2005; 130(37): 2089
DOI: 10.1055/s-2005-916347
Kommentar
Gastroenterologie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Richtungsänderungen in der Gastroenterologie

Changes of direction in gastroenterologyJ. F. Riemann1
  • 1Medizinische Klinik C, Klinikum Ludwigshafen
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
13. September 2005 (online)

Die Deutsche Medizinische Wochenschrift hat seit ihrer Gründung immer wieder Artikel publiziert, die entweder unmittelbar neue und zum Teil bahnbrechende Entwicklungen in der Medizin aufgezeigt haben oder aber Beiträge, bei denen erst viel später erkennbar wurde, welche wissenschaftliche Brisanz in der Thematik lag. Aus Anlass des 130-jährigen Jubiläums wird daher auf einige sicher subjektiv ausgewählte Beiträge aufmerksam gemacht. In diesem Kapitel Gastroenterologie ist einer der Artikel der zweiten Kategorie der von Krienitz aus Halberstadt aus dem Jahre 1906.

Krienitz beschreibt spiralförmige Bakterien im Magen bei einem Patienten mit Magenkarzinom. Er stuft sie als Spirochaeten ein, die seiner Ansicht nach denen der venerischen Erkrankung Lues sehr entsprechen. Über die Bedeutung von Magenbakterien wurde über 100 Jahre nachgedacht und geforscht; es wurden Theorien aufgestellt und wieder verworfen, bis 1983 durch Warren und Marshall durch Zufall der Magenkeim Campylobacter (Helicobacter) pylori als ein Pathogen für den Menschen erkannt wurde. Das Verständnis der Gastritis, der Ulkuserkrankung und des Magenkarzinoms hat sich seither dramatisch verändert. Es ist eine spannende Geschichte, die in einem Review 1998 außerordentlich kenntnisreich zusammengetragen worden ist (Kidd und Irven, Digestion 1998; 59:1-15). Sie beginnt mit der Beschreibung von Bakterien im Ulkusrand durch Steer und Letulle 1875, enthält so illustre Namen wie Bizozzero, Dragstedt und Doenges und fokussiert auf die Warren/Marshall-Entdeckung, die letztlich durch einen Selbstversuch und damit durch die Erfüllung eines der wichtigen Kochschen Postulate den Schwerpunkt Gastroenterologie dramatisch beeinflusst hat.

Die Arbeit von Krienitz, 1906 publiziert in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift, war Ausdruck einer schon vorher gemachten Beobachtung von Bakterien im Magen. Mit dem Aufkommen der Mikroskopie wurde diesen Organismen naturgemäß besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Der mögliche Zusammenhang mit Erkrankungen des Magens wurde vor allem durch die Arbeit von Palmer 1954 konterkariert. Aufgrund dieses Beitrages und vieler anderer Publikationen zur Säuregenese der Ulkuskrankheit ist dann über zwei Jahrzehnte Ruhe in die infektiöse Diskussion eingekehrt. Ich selber habe bei elektronenmikroskopischen Arbeiten zu endokrinen Zellen bei der Ulkuskrankheit diese Bakterien gesehen; auch die Meinung der Pathologen war damals, dass es sich um Keime ohne spezifische Bedeutung handele. Krienitz hat so in dieser Zeitschrift lange vor der wirklichen Erkenntnis der Bedeutung dieser Bakterien auf sie hingewiesen.

Natürlich spielt die Endoskopie im Schwerpunkt eine entscheidende Rolle. Zwei bedeutende Eingriffe, ein diagnostischer sowie ein interventioneller, haben ihre Erstbeschreibung in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift gehabt. So war die erste endoskopische Spiegelung des terminalen Ileums durch Deyhle ein Meilenstein. Deyhle hat ganz wesentlich zusammen mit der Erlanger Schule um Ludwig Demling zur Initiierung der Koloskopie beigetragen; so lag es nahe, dass auch das terminale Ileum über kurz oder lang endoskopisch einsehbar werden würde.

Der für den Schwerpunkt Gastroenterologie bedeutendste interventionelle Schritt war jedoch die endoskopische Sphinkterotomie, die Spaltung des Papillenmuskels. Mit diesem Eingriff (durch Classen und Demling 1974) hat sich nicht nur das Gallengangsteinleiden in seiner Therapie entscheidend dramatisch verändert. Heute werden Gallengangsteine nahezu ausschließlich endoskopisch entfernt. Mit dieser Technik und damit dem Zugangsweg zum bilio-pankreatischen System sind zahllose diagnostische wie therapeutische Interventionen möglich geworden, die das Spektrum der Gastroenterologie wesentlich verändert haben. Auch bei diesem Schritt ist die Deutsche Medizinische Wochenschrift als erste dabei gewesen.

Man sieht, dass diese Zeitschrift immer wieder Originalpublikationen hervorbringt, von denen eine entscheidende Richtungsänderung ausgehen kann.

Ad multos annos DMW!

Prof. Dr. med. Jürgen F. Riemann

Medizinische Klinik C, Klinikum Ludwigshafen

Bremserstr. 79

67063 Ludwigshafen

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