Dtsch Med Wochenschr 2005; 130(9): 439
DOI: 10.1055/s-2005-863070
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Pneumologie - epidemiologischer Wandel und strukturelle Konsequenzen

Pneumology - epidemiological changes and structural consequencesC. Witt1 , H. Lode2
  • 1Medizinische Klinik, Schwerpunkt Pneumologie, Charité-Universitätsmedizin Berlin
  • 2Pneumologische Klinik, Lungenklinikum Heckeshorn, Helios-Kliniken Berlin
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Publication History

eingereicht: 27.1.2005

akzeptiert: 28.1.2005

Publication Date:
24 February 2005 (online)

Im Vergleich zu anderen internistischen Fächern ist der epidemiologische Wandel der vergangenen 50 Jahre in der Pneumologie evident: Die fast alles überdeckende Volkskrankheit Tuberkulose, deren Bekämpfung in der Nachkriegszeit eine klassische Erfolgsstory und Leitbild zur Bekämpfung aktueller Volkskrankheiten war, hat in der Bundesrepublik aktuell nur noch begrenzten gesundheitspolitischen Stellenwert. Entsprechend hat sich die Pneumologie verändert. Heute, in einer Zeit der sozialen Emanzipation der breiten Massen, einer Zeit ohne verheerende Kriege und wachsender Lebenserwartung - im Vergleich zum Bismarckschen Preußen verdoppelte sich die Lebenserwartung der Menschen - besteht ein weitaus größeres Potential internistischer Erkrankungen. Das gilt auch und im Besonderen für Lungenkrankheiten. In der Lunge als Grenzorgan zur Umwelt dominierten früher Infektionskrankheiten, die im Zeitalter der Antituberkulotika und Antibiotika ihren Schrecken verloren haben. Heute überwiegen Lungenkrankheiten, die durch die Suszeptivität des Organs für Zigarettenrauch und Luftschadstoffe entstehen. Folglich bilden die chronisch-obstruktive Bronchitis (COPD) und das Bronchialkarzinom profil- und strukturbestimmende Schwergewichte der klinischen Pneumologie. Daraus leiten sich wichtige Fragen für die pneumologische Forschung ab, die von der präventiven Pneumologie bis hin zur Lungentransplantation reichen. Stellvertretend für viele, sei zentral eine Frage gestellt: Wer wird vom Zigarettenrauchen lungenkrank werden? Diese Frage können wir bis heute nicht beantworten.

Betrachtet man die obstruktiven Lungenerkrankungen, ist in der Post-Tuberkulose-Ära infolge pneumologischer Forschung und Krankenversorgung ein großer klinischer Erfolg in der Therapie und damit Kontrolle des Asthma bronchiale gelungen. Dazu trug die Entwicklung selektiver Bronchodilatatoren, lokal-wirksamer Glukokortikoide und technologisch effektiverer Inhalationsgeräte bei. Deutlich wurden der Bedarf an stationärer Behandlung und die Todesrate gesenkt. Die Betreuung des Asthmapatienten erfolgt heute vorwiegend ambulant.

Diese komfortable Situation ist bei den raucherassoziierten Krankheiten, wie COPD und Bronchialkarzinom, noch nicht erreicht. Die WHO rechnet bis 2020 damit, dass unter den fünf häufigsten Todesursachen drei Lungenkrankheiten zu finden sind, nämlich COPD, Pneumonie und Lungenkrebs. Grundlagenforschung, klinische Studien, Aufklärung und Berufspolitik haben besonders die COPD in den Focus lungenärztlicher Tätigkeit geschoben. Die am Anfang stehende Therapie mit oraler Medikation auf molekularbiologischer Basis eröffnet einen neuen Umgang mit Bronchialkarzinompatienten. Therapeutische Zuwächse sind auch bei Organersatzverfahren zu erwarten, besonders bei der Entwicklung der non-invasiven Beatmung bei akuten Erkrankungen und der Lungentransplantation.

Für die Pneumologie bedeutet das primär mehr Qualität, d. h. mehr Wettbewerb bei der Gewinnung der „besten Köpfe”, bereits im Medizinstudium. Hierzu muss eine hinreichende Präsenz der Pneumologie an den Medizinischen Fakultäten der Universitäten und Hochschulen entwickelt werden. Diese Stärkung gilt auch für lehrende pneumologische Kliniken der Krankenversorgung und für ambulante Strukturen. Das Potential „integrierter Versorgungsstrukturen” sollte diesbezüglich offensiv genutzt werden. Zum Wettbewerb um die Eliten kann eine Verbesserung der wissenschaftlichen Strukturen der Pneumologie beitragen. Mehr wissenschaftliche Aktivität verbessert die Position im Wettbewerb um Forschungsmittel. Mehr wissenschaftliche Aktivität stärkt die Wahrnehmbarkeit des Faches inner- und außerhalb des Medizinbetriebes. Mehr wissenschaftliche Aktivität zieht mehr wissenschaftliche Aktivität nach sich. Zusätzlich verbessert die wissenschaftliche Aktivität auch die Einbindung in den europäischen Kontext, bei Wahrung lokoregionaler Gegebenheiten. Die Verdeutlichung der gesundheitspolitischen und -ökonomischen Relevanz der großen pneumologischen Krankheiten kann die öffentliche Wahrnehmung fördern.

Letzten Endes braucht jede Gesellschaft, auch eine medizinische Fachgesellschaft, für ihre Entwicklung eine Aufgabe (Mission), eine Vorstellung bzw. ein Bild von sich selbst (Leitbild) und ein langfristiges Ziel (Vision). Die Vision der Pneumologie beinhaltet im Wesentlichen die Stärkung der Kernkompetenz, den Ausbau der Interdisziplinarität und die Realisierung von wissenschaftlichen und klinischen Strukturen auf europäischem Niveau.

Prof. Dr. med. Christian Witt

Medizinische Klinik, Schwerpunkt Pneumologie, Charité-Universitätsmedizin Berlin, Campus Charité-Mitte

Schumannstraße 20-21

10098 Berlin