Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(6): 157
DOI: 10.1055/s-2001-11048
Pro & Contra
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

PTCA bei akutem Herzinfarkt? - Contra[¹]

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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Seitdem der thrombotische Verschluss eines Herzkrankgefäßes als Ursache des akuten Herzinfarkts allgemein akzeptiert ist, gilt die rasche Wiederherstellung des Blutflusses im Infarktgefäß als wichtigste Behandlungsmaßnahme zur Verbesserung der Prognose. Besondere Bedeutung kommt dabei der möglichst schnellen, kompletten und andauernden Rekanalisation des Infarktgefäßes, aber auch der erfolgreichen Reperfusion auf zellulärer Ebene zu. Mit der intravenösen thrombolytischen Therapie steht ein effektives, einfach und schnell zu applizierendes Verfahren zur Verfügung, das vor allem ubiquitär einsetzbar ist. Dagegen erfordert die primäre PTCA ein Herzkatheterlabor mit 24-Stunden-Bereitschaft eines erfahrenen Teams. Diese apparativen und personellen Voraussetzungen sind in der Bundesrepublik Deutschland in weniger als 10 % der Krankenhäuser gegeben.

Einen wesentlichen Faktor für den Nutzen jeder Reperfusionstherapie stellt die möglichst frühzeitige Anwendung dar. Während die Thrombolyse prähospital gegeben werden kann und im Krankenhaus die sogenannte »Door-to-needle«-Zeit im Allgemeinen bei unter 30 Minuten liegt, vergehen durchschnittlich 1-2 Stunden von der Aufnahme des Patienten bis zum Beginn der PTCA [1]. Eine Verlegung eines Patienten in ein Zentrum zur PTCA ist mit einem weiteren Zeitverlust von mindestens 1-2 Stunden verbunden.

Als entscheidender Vorteil der PTCA wird allgemein die gegenüber der Thrombolyse höhere Rekanalisationsrate angesehen. Allerdings lassen sich die in kleineren Studien in hochspezialisierten Zentren beschriebenen »TIMI 3 Patency«-Raten von über 90 % in größeren Untersuchungen nicht nachvollziehen. So beträgt die TIMI-3-Patency-Rate im Infarkt-PTCA-Register der Arbeitsgemeinschaft Leitender Kardiologischer Krankenhausärzte (ALKK) 85 % (nach Einschätzung des Untersuchers) [2] und in einer zentralen Auswertung in der GUSTO-II-Studie lediglich 73 % gegenüber 88 % des Untersuchers vor Ort [1]. Dies reflektiert die sicher häufige Überschätzung des Interventionserfolgs durch den durchführenden Kardiologen.

Wie sich in einer Untersuchung mit 403 Patienten mit TIMI-3-Fluss nach PTCA zeigte, ist eine komplette Rückbildung der ST-Hebungen als Indikator der myokardialen Perfusion etwa eine Stunde nach der Intervention nur bei 51 % der Patienten zu beobachten. Die vollständige Rekanalisation des epikardialen Koronargefäßes durch PTCA ist also keineswegs immer mit einer umgehenden Beseitigung der Myokardischämie verbunden. Eine etwa 50 %ige Rate von kompletter ST-Rückbildung wird auch nach Thrombolyse, z. B. 90 Minuten nach Bolusgabe von Lanoteplase, beschrieben, sodass die Thrombolyse bezüglich der für die Infarktgrößenbegrenzung entscheidenden Wiederherstellung der Perfusion auf zellulärer Ebene der PTCA kaum wesentlich unterlegen ist.

Eine besonders hohe Sterblichkeit zeigen Patienten mit erfolgloser PTCA, das heißt TIMI-0/1-Fluss nach der Intervention. So starben 32 % der Patienten im Infarkt-PTCA-Register der ALLK nach erfolgloser PTCA, und auch bei der multivariaten Analyse stellte sich die erfolglose Intervention als zweitwichtigster Prädiktor der Sterblichkeit (nach kardiogenem Schock) heraus [2]. Diese Ergebnisse legen einen negativen Einfluss einer erfolglosen PTCA auf den Verlauf nahe, wahrscheinlich durch lange Untersuchungszeiten, hohen Kontrastmittelverbrauch und zusätzliche Läsion am Infarktgefäß, die möglicherweise eine sonst später erfolgende spontane Rekanalisation verhindert.

Während eine Reihe kleinerer randomisierter Studien eine Überlegenheit der PTCA gegenüber der thrombolytischen Therapie nahelegte, ließen sich diese Unterschiede in der bisher größten randomisierten Studie (GUSTO IIb) nicht mehr nachvollziehen, hier zeigte sich nach 6 Monaten kein signifikanter Unterschied selbst für den kombinierten Endpunkt von Tod, Reinfarkt und dringender Revaskularisation (13,3 % vs. 15,7 %, p = n. s.) [1] . Auch größere Infarktregister ergaben keinen generellen Vorteil der PTCA [3].

Zusammenfassend erscheint eine eindeutige Überlegenheit der primären PTCA als generelles Behandlungskonzept gegenüber der Thrombolyse nicht bewiesen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Fibrinolyse und PTCA besteht in der niedrigeren Rate hämorrhagischer Schlaganfälle in der PTCA-Gruppe. Deshalb sollte bei gleich rascher Verfügbarkeit der PTCA der Vorzug gegeben werden. Da diese Voraussetzung in der Regel nicht gegeben ist, bleibt die Thrombolyse, abgesehen von Patienten mit Kontraindikationen für eine Thrombolyse, für die Mehrzahl der Patienten die Therapie der ersten Wahl.

1 Herrn Prof. Dr. Karl-Ludwig Neuhaus † gewidmet

Literatur

  • 1 GUSTO IIb angioplasty substudy investigators . A clinical trial comparing primary coronary angioplasty with tissue plasminogen activator for acute myocardial infarction.  N Engl J Med. 1997;  336 1621-1628
  • 2 Vogt A, Neuhaus K L. The German experience with primary angioplasty.  Semin Intervent Cardiol. 1999;  4 43-46
  • 3 Tiefenbrunn A J, Chandra N C, French W J, Gore J M, Rogers W J. Clinical experience with primary percutaneous transluminal coronary angioplasty compared with alteplase (recombinant tissue-type plasminogen activator) in patients with acute myocardial infarction.  J Am Coll Cardiol. 1998;  31 1240-1245

1 Herrn Prof. Dr. Karl-Ludwig Neuhaus † gewidmet

Dr. Uwe Zeymer

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