Dtsch Med Wochenschr 1930; 56(49): 2076-2079
DOI: 10.1055/s-0028-1126102
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Die klinische Sonderstellung der Ostitis fibrosa localisata1)

E. Gold, Hermann Schlesinger
  • Aus der III. Medizinischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses in Wien. (Prof. H. Schlesinger)
1) Demonstration Gesellsch. d. Aerzte. Januar 1930: W. kl. W. 1930.
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Publication Date:
05 May 2009 (online)

Zusammenfassung

Eine 42jährige Frau erkrankt unter den Erscheinungen einer Schwäche der unteren Extremitäten. Zwei Wochen später ausgesprochene Parese der unteren Körperhälfte mit angedeutetem Brown-Séquardschen Symptomenkomplex, Druckempfindlichkeit des 4. und 5. Brustdornes. Aufhellungsherde und Höhenverminderung des 4. und 5. Brustwirbelkörpers, expansive Auftreibung des linken Querfortsatzes des 5. Brustwirbels, sowie der 5. Rippe links mit Spontanfraktur der Rippe. Die operative Freilegung zeigte eine mehrkammerige expansive Zystenbildung in der Rippe und im Querfortsatz, das aus dem Wirbelkörper exkochleierte Gewebe hatte mehr den Charakter des braunen Tumors (Riesenzellengeschwülste). Nach breiter Eröffnung der Zystenwand und Exkochleation des riesenzellenhaltigen Granulationsgewebes rasche Besserung aller Beschwerden. Blutkalkspiegel in der Rekonvaleszenz normal, Harnkalkwerte längere Zeit hindurch erhöht, im 3. Monat nach der Operation normal.

Obgleich in diesem Falle die drei im kostovertebralen Winkel zusammenstoßenden Knochen erkrankt waren, durften wir ihn doch der lokalisierten O. f. zuzählen, da alle drei erkrankten Knochenabschnitte nahe benachbart sind. Allerdings läßt Kienböck die Möglichkeit offen, daß es sich um eine Forme fruste der generalisierten Ostitis handeln könne. Ueber Uebergänge anscheinend lokalisierter in generalisierte Fälle wurde von v. Bergmann und neuestens von Meyer-Borstel[5]) (l. c. Fall 9) berichtet. Diese Beobachtungen bedürfen jedoch noch einer Erweiterung und kritischen Ueberprüfung. Sollten sich Zysten oder Tumoren an anderen Knochen zeigen oder ein erhebliches Ansteigen des Blutkalkspiegels erfolgen, so müßten wir die Diagnose wohl im Sinne einer O. f. generalisata umstellen. Dann wäre aber auch die Frage ernstlich in Erwägung zu ziehen, sich durch Probeschnitt am Hals über das Verhalten der Epithelkörperchen zu orientieren, bzw. bei tumorartiger Vergrößerung eines derselben zur Exstirpation desselben zu schreiten.

Vorläufig müssen wir daran festhalten, daß klinisch noch kein sicherer Uebergang der O. f. loc, in eine O. f. gen. beobachtet wurde, ebensowenig wie der einer Osteomalazie oder einer Pagetschen Ostitis in eine generalisierte Ostitis fibrosa. Jedes dieser Leiden einschließlich der O. f. loc. bewahrt seine Selbständigkeit und die ihm eigentümlichen klinischen Charaktere. Aber nicht nur das klinische Bild ist verschieden. Die Erkrankungen verhalten sich auch gegenüber therapeutischen Maßnahmen auffallend different. Die Engel-Recklinghausensche Erkrankung kommt zum Stillstand oder sogar zur funktionellen Heilung, wenn das adenomatös-hyperplastische Epithelkörperchen operativ entfernt wird, während der analoge Eingriff bei der Pagetschen Affektion und bei der Ostitis fibr localisata schon deshalb nicht möglich war, weil Hyperplasien der Glandula parathyreoidea bei den beiden letzten Affektionen vermißt werden. Aber auch die Röntgenbestrahlung dieser Drüsen, welche einer von uns (Schlesinger) schon in vielen Fällen hat vornehmen lassen, um die supponierte Hypersekretion der genannten Drüsen zu unterdrücken, war vollkommen erfolglos, ebenso die operative Entfernung nichtvergrößerter Drüsen, über welche Snapper kürzlich berichtet hat. Die Phosphortherapie bringt hinwiederum die Osteomalazie zur Heilung, während sie bei den anderen drei Affektionen im Stich läßt. Vigantol beeinflußt allerdings nicht nur Osteomalazie, sondern anscheinend auch gelegentlich O. f. g. in günstigem Sinne, wie ein von Regnier beobachteter Fall zeigte. Darüber müssen noch weitere Erfahrungen gesammelt werden. Die operative Behandlung der O. f. l. und nachfolgende Röntgenbestrahlung führt zur Ausheilung dieser Erkrankung. Nur die Pagetsche Affektion ist leider bisher therapeutisch unbeeinflußbar.

Wenn das klinische und biochemische Verhalten, der Verlauf, das anatomisch-röntgenologische Bild in den meisten Stadien und endlich die Reaktion auf verschiedene therapeutische Effekte die Existenz verschiedener, ganz differenter Affektionen dartun, sind wir nicht berechtigt, die Selbständigkeit derselben zu negieren, weil in gewissen Stadien der Erkrankung ähnliche anatomische Zustandsbilder gefunden werden. Die Pagetsche O. deformans, generalisierte O. f. und lokalisierte O. f., Osteomalazie sind daher nach unserer Ansicht prinzipiell auseinanderzuhalten.

Schließlich wäre hervorzuheben, daß glückliche Umstände einen wohl selten erreichten therapeutischen Rekord in unserem Falle ermöglichen. Die Diagnose eines das Rükkenmark komprimierenden Wirbeltumors trotz Fehlens nennenswerter sichtbarer Formveränderungen der Wirbelsäule war zwei Wochen nach dem Auftreten der ersten klinischen Symptome gestellt, der operative Eingriff nach etwas mehr als drei Wochen erfolgreich durchgeführt. Die vor der Operation gelähmte Kranke konnte im Stützmieder ohne Stock schon wenige Wochen nach der Operation gut gehen, und der Zustand der Patientin ist fünf Monate nach dem Eingriffe ein überaus befriedigender.

1 Bruns Beitr. 1929. 148.

1 Bruns Beitr. 1929. 148.