Dtsch Med Wochenschr 2005; 130(34/35): 1933
DOI: 10.1055/s-2005-872604
Editorial
Gastroenterologie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Interdisziplinäre Gastroenterologie - eine notwendige und zwangsläufige Weichenstellung

Interdisciplinarity in gastroenterology - a necessary and inevitable step forwardW. Kruis1 , J. F. Riemann2
  • 1Abteilung für Innere Medizin/Gastroenterologie, Evangelisches Krankenhaus Köln-Kalk
  • 2Medizinische Klinik C, Klinikum der Stadt Ludwigshafen am Rhein gGmbH
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Publication History

eingereicht: 11.7.2005

akzeptiert: 22.7.2005

Publication Date:
25 August 2005 (online)

Vom 14. bis 17. September 2005 findet in Köln die 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten statt. Zusammen mit der Sektion Endoskopie und der Deutschen Gesellschaft für Viszeralchirurgie wird ein Programm dargestellt, das den weitestmöglichen Überblick von der Basis- über die anwendungsorientierte Wissenschaft bis zur kritischen Fortbildung auf dem Gebiet der Viszeralmedizin im deutschsprachigen Raum ermöglicht. Wenn über die Kongressgestaltung hinaus an den Präsidenten die freundliche Einladung ergeht, sich an der redaktionellen Aufbereitung eines kongressbegleitenden Schwerpunktheftes einer der großen Wissenschaftszeitschriften mit langer Tradition zu beteiligen, muss die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Unterfangens erlaubt sein.

Vorträge werden natürlich nach ihrem Inhalt beurteilt. Nicht unterschätzt werden sollte jedoch der Einfluss der rhetorischen Kunst und der Ausstrahlung des Referenten, ganz zu schweigen von der Faszination moderner Präsentationstechniken, insbesondere auf dem Gebiet der Diagnostik. Das gesagte Wort ist flüchtig, kann einen Eindruck hinterlassen, ist aber nicht überprüfbar. Im Gegensatz dazu ist das geschriebene Wort eine Festlegung, die beliebig lange und ausgiebig studiert und hinterfragt werden kann. Text beeindruckt im Wesentlichen durch Inhalt und nicht so sehr durch Darstellung. Rede und Text sind verschiedene Darstellungsformen wissenschaftlicher Inhalte, keineswegs konkurrierend, sondern sich ergänzend. Ein Schwerpunktheft bietet die Gelegenheit, in besonderer Weise auf bestimmte Themen hinzuweisen. Evidenzbasierte Medizin beruht auf den Ergebnissen vergleichender Untersuchungen, wobei die Kontrolle häufig eine Plazebogruppe ist. Plazebobehandlung meint eine Therapie zum Schein oder ohne Wirkstoff - aber ist sie deshalb ohne Wirkung? Was wissen wir über Plazeboeffekte und Einflussgrößen, wie diese zustande kommen? Wäre es nicht wichtig, die Kontrollgruppe besser zu verstehen, um den (relativen) Unterschied des Verums exakter zu analysieren?

„Gallebeschwerden” sind ein häufiges Thema in der Praxis. Evidenzbasierte Empfehlungen zur Behandlung sind mangels ausreichender Studienlage nur eingeschränkt möglich - ein sicherlich zu Unrecht wenig berücksichtigtes Forschungsgebiet.

Die Bedeutung von Falldarstellungen wird mitunter kritisch bewertet. Aber ist es nicht so, dass wir in unserem ärztlichen Tun ganz wesentlich von der Erfahrung geleitet werden, natürlich von den Eindrücken häufiger Probleme, aber doch auch von den Besonderheiten eines Einzelfalles? Die täglichen Diskussionen mit dem oft gehörten Hinweis, „da war doch der Patient . . . (mit ähnlichem Krankheitsbild)“, belegen diese Einschätzung. Die eingehende Auseinandersetzung mit einem einzelnen Patientenschicksal im Kontext der wissenschaftlichen Literatur hat einen nicht zu unterschätzenden weiterbildenden Effekt.

Übersichten zu Krankheitsbildern oder Methoden sind in erster Linie eine große Erleichterung, ersparen sie uns doch das eigene Recherchieren. Eine gute Übersicht zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass sie nicht nur Erkenntnisse zusammenträgt, sondern dass jemand, der in der Thematik besonders verhaftet ist, die Problematik des Gebiets aufzeigt, auf Richtungen hinweist und kritische Wertungen anbietet.

Schließlich enthält das Heft noch einen Dialog zwischen Internist und Chirurg. Darin spiegelt sich eines der großen Anliegen der Jahrestagung wider, nämlich das gemeinsame Gespräch und damit die Zusammenarbeit des konservativen, des interventionellen und des operativen Viszeralmediziners zu fördern. In einer gemeinsamen Viszeralmedizin lassen sich unsere Bemühungen am besten darstellen und dem Patienten am nützlichsten andienen.

Die Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten hat in den letzten Jahren konsequent diese Weichenstellung umgesetzt. An vielen Kliniken haben sich gemeinsame viszeralchirurgisch-gastroenterologische Stationen entwickelt, die vor allem vor dem Hintergrund evidenzbasierter Leitlinien die Behandlung spezifischer Krankheitsbilder noch effektiver machen. Analog den Herzzentren wird es in den nächsten Jahren sicher eine Entwicklung hin zu Abdominal- oder Bauchzentren geben, in denen sich die gebündelte Kompetenz verschiedener Fachdisziplinen wiederfindet. Dieser Entwicklung wird mit der 60. Jahrestagung der DGVS in ganz besondere Weise Rechnung getragen.

Prof. Dr. W. Kruis

Abteilung für Innere Medizin/Gastroenterologie, Evangelisches Krankenhaus Köln-Kalk

Buchforststraße 2

51103 Köln

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