Dtsch Med Wochenschr 2005; 130(31/32): 1809
DOI: 10.1055/s-2005-871899
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Schilddrüsenknoten: Noch mehr Fragen

Thyroid nodules: more questionsP. C. Scriba1
  • 1Medizinische Klinik - Innenstadt, Klinikum der Universität München
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Publication Date:
29 July 2005 (online)

Mehr als 30 Jahre (!) nach der Erstfassung gibt die heutige Sektion Schilddrüse der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie wieder Experten-basierte Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie von Schilddrüsenknoten heraus (s. S. 1831 - 1836 in diesem Heft), die in wesentlichen Teilen einem Evidenzgrad IV (EbM) entsprechen. Das zeigt wohl, dass in Deutschland Klinische Forschung und Versorgungsforschung noch immer nicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit und Förderung erfahren. Dennoch demonstrieren diese Empfehlungen, wie übrigens von Anfang an angestrebt, interdisziplinäre Harmonie unter den Experten. Die Methodik einer qualitätsgesicherten Leitlinienerstellung hätte allerdings mehr, u. a. eine Praktikerbeteiligung erfordert.

Knoten in der Schilddrüse werden heute nicht mehr mit Taubeneiern verglichen, sondern sonographisch vermessen. Das ist sicher ein Fortschritt. Diese methodische Empfindlichkeitssteigerung bedeutet allerdings, dass die weitaus meisten „Schilddrüsenknoten” der ca. 30 % (!) betroffenen Erwachsenen dem untersuchenden Finger entgehen. Heißt das, dass wir vom Versorgungsstandpunkt aus gesehen alle Erwachsenen sonographieren müssten? Wie viele Erwachsene müssten untersucht werden, um eines der seltenen Schilddrüsenkarzinome zu entdecken? Wie viele für ein therapiebedürftiges autonomes Adenom? Wie viele bleiben ohne Behandlung „in Kontrolle”? In seinem Sachstandsbericht 1994 hat der SVR [1] (Textziffer 256), auf der damaligen epidemiologischen Basis von 16 % kleinen sonographischen Herdbefunden in der Schilddrüse der Bevölkerung, geschrieben, dass „ der Verzicht auf das...diagnostische Maximum mit einem vertretbaren Restrisiko einhergeht” [1]. Über dieses Restrisiko müssen sich aber Arzt, Patient und Juristen klar sein.

Eine Karzinomprävalenz von 0,1 bezogen auf den sonographisch gefundenen Knoten, das ist Entwarnung, entbindet aber nicht von der betonten Wachsamkeit bei verdächtigen Personen. Aber man würde gern wissen, wie viele Calcitoninbestimmungen bei der Gesamtheit der Knotenträger es braucht, um eines der noch selteneren medullären Schilddrüsenkarzinome zu entdecken?

Die Labordiagnostik wird wieder in Stufen empfohlen, zuerst TSH, dann Wiederholung und freie Schilddrüsenhormone, dann Calcitonin. Wie steht es mit der Versorgungswirklichkeit? Wird das 10- oder noch Mehrfache an TSH-Bestimmungen im Vergleich zu den Werten der freien Schilddrüsenhormone abgerechnet, wie nach den Empfehlungen für die doch ganz überwiegend euthyreote Bevölkerung zu erwarten? Sehr zu begrüßen sind die angekündigten Studien zur Qualität der Feinnadelaspiration und Zytologie, hier sind eventuelle lokale Defizite ein echtes Diagnose-Hindernis.

Sehr zu Recht kündigen die Autoren weitere Studien zu offenen Fragen an, oder empfehlen solche. Bliebe nur zu hoffen, dass solche Studien auch gefördert werden, denn sie sind mühsam und aufwändig. Versorgungsverbesserung, warum ist das eigentlich keine Kassenaufgabe? Da wäre auch noch zu fragen, wie groß der Nettonutzen der ablativen Therapie (Operation, Radiojod) aller (?) sonographischen Schilddrüsenknoten mit mehr als 10 mm Durchmesser ist, die im Suppressionszintigramm eine Autonomie zeigen. Und wann sollte man nach hoffentlich erfolgreicher (??) medikamentöser Verkleinerungs-Therapie mit Thyroxin/Jodid auf eine Rezidivprophylaxe mit Jod allein übergehen, nach 1/2 bis 1 Jahr? Viele ältere Patienten vertragen eine TSH-suppressive Therapie mit Thyroxin gar nicht so gut.

Wenn wir eines Tages bei nachhaltiger Prävention mit ausreichender Jodzufuhr in der Nahrung beobachten werden, dass erheblich weniger Erwachsene Schilddrüsenknoten aufweisen, dann wird innerhalb der dann noch zu erwartenden Gruppe von Personen mit knotigem „Residualkropf” Folgendes zu sehen sein. Es wird zu einer relativen, nicht zu einer absoluten Zunahme der selteneren Strumaformen kommen (genetisch bedingte, immun bedingte, maligne u. a.). Spätestens dann werden diese Empfehlungen zu überarbeiten und an Fortschritt und neue Bedingungen anzupassen sein.

Literatur

  • 1 Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen .Sachstandsbericht 1994: Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung 2000. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1994

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Peter C. Scriba

Klinikum der Universität München, Medizinische Klinik - Innenstadt

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