Dtsch Med Wochenschr 2005; 130(23): 1461-1465
DOI: 10.1055/s-2005-870840
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Kardiologie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Prähospitale Lyse und Akut-PTCA beim akuten Myokardinfarkt mit ST-Hebungen

Zwei echte Alternativen?Prehospital lysis and acute PCI in patients with acute ST-elevation myocardial infarctionTwo real alternatives?C. Burgstahler1 , T. Beck1 , M. P. Gawaz1 , S. Schröder1
  • 1Medizinische Universitätsklinik, Innere Medizin III, Eberhard-Karls-Universität Tübingen
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eingereicht: 16.2.2005

akzeptiert: 20.5.2005

Publication Date:
01 June 2005 (online)

Kardiovaskuläre Erkrankungen sind die Haupttodesursache in den westlichen Industrieländern. Nach Angaben der WHO sind im Jahr 2002 über 16 Millionen Menschen weltweit an den Folgen einer kardiovaskulären Erkrankung verstorben, und in Europa kommt es zu fast zwei Millionen Todesfällen durch ischämische Herzerkrankungen pro Jahr [5]. Einen großen Anteil hieran hat der akute Myokardinfarkt mit ST-Hebungen (ST-Hebungsinfarkt), der oft die Erstmanifestation einer koronaren Herzerkrankung darstellt. Durch eine intensivierte Aufklärungsarbeit in den letzten Jahren beispielsweise durch Fernsehsendungen, Zeitschriften und auch das Internet sind nicht nur die typischen Risikofaktoren, sondern auch die klassischen Symptome eines Herzinfarktes einem Großteil der Bevölkerung bekannt. Somit erfolgt bereits oft durch Laien eine zeitnahe Alarmierung des Rettungsdienstes und auch des Notarztes beim Verdacht auf einen akuten Herzinfarkt. Etwa zwei Drittel der Patienten mit einem akuten Myokardinfarkt werden innerhalb der ersten beiden Stunden durch den Rettungsdienst behandelt [2] [25]. In wie vielen Fällen jedoch gleich vor Ort die korrekte Diagnose gestellt werden kann, hängt neben der Ausstattung des Rettungsmittels (Vorhandensein eines 12-Kanal-EKGs) sicherlich auch von der Erfahrenheit der behandelnden Notärztin oder des Notarztes ab.

Man kann davon ausgehen, dass etwa jeder zehnte internistische Einsatz eines Notarztes zu einem Patienten mit einem akuten Myokardinfarkt führt. Zwei Berliner Statistiken vermitteln einen Eindruck von der Häufigkeit internistischer Notfälle, einschließlich des Herzinfarkts, im Rettungswesen [6]. 38 % aller Notarztwagen-Einsätze in den Jahren 1995-2000 entfielen auf kardiologische Notfälle. Bei Rettungshubschrauber-Einsätzen ist die Quote noch deutlich höher. Hier liegen die Erfahrungen Berliner Notärzte, einer ersten Statistik (1997) zufolge, bei 43 %.

kurzgefasst: Der akute Myokardinfarkt ist nicht nur eine der Haupttodesursachen in den westlichen Industrieländern, sondern auch einer der häufigsten Einsatzgründe im Rettungswesen. Etwa zwei Drittel der Patienten mit akutem Myokardinfarkt werden innerhalb der ersten beiden Stunden behandelt.

Nicht selten kann dann bereits „vor Ort” durch einen geschulten Notarzt die Diagnose eines akuten Myokardinfarktes aufgrund typischer EKG-Veränderungen und der klinischen Symptomatik des Patienten gestellt werden. Eine Behandlung im Sinne einer Revaskularisationstherapie erfolgt jedoch meist erst nach dem Transport ins Krankenhaus auf der Intensivstation oder im Herzkatheterlabor.

Dabei kommt jedoch der so genannten „Prähospital-Phase” - also jenem Zeitraum zwischen Diagnosestellung und Einlieferung des Patienten in eine Klinik - in der Infarkttherapie eine entscheidende Bedeutung zu. Es besteht eine enge Korrelation zwischen Dauer der Symptome vor Einleitung einer Thrombolyse und Größe des Infarktareals [19], wobei nach 4-6 Stunden kein Unterschied der Infarktgröße von behandelten und nicht behandelten Patienten mehr besteht. Für die Akut-PTCA gilt, dass die Dauer der Ischämiezeit bis zur Intervention die Infarktgröße, die Perfusion und auch die Sterblichkeit beeinflusst [12]. Es konnte allerdings auch gezeigt werden, dass durch eine interventionelle Therapie, die mehr als 12 Stunden nach Symptombeginn durchgeführt wurde, myokardiales Gewebe „gerettet” werden kann [16].

Da ein großer Myokardinfarkt zu einer reduzierten ventrikulären Pumpfunktion führt - was wiederum Auswirkung auf Mortalität und Lebensqualität des Patienten hat - muss eine möglichst rasche Wiedereröffnung der betroffenen Koronararterie primäres Therapieziel sein.

Welche Optionen bestehen, um ein verschlossenes Koronargefäß wieder zu eröffnen? Typischerweise kommt es zum akuten Myokardinfarkt durch die Ruptur eines vulnerablen Plaques, was zur Ausschüttung thrombogener Substanzen führt [18]. Durch Aktivierung der Gerinnungskaskade bildet sich ein Thrombus, der zum Verschluss des Gefäßes führt. Seltene Ursachen eines Myokardinfarktes sind die spontane oder traumatische Dissektion einer Koronararterie (also das Einreißen der Gefäßwand) oder embolische Verschlüsse bei sonst unauffälligen Koronarien („Koronarunfall”).

Prinzipiell besteht die Möglichkeit, den thrombotischen Verschluss medikamentös aufzulösen („Lyse”), oder das verschlossene Gefäß interventionell wieder zu eröffnen („Perkutane transluminale Koronare Angioplastie, PTCA”). Mittlerweile wird im Rahmen der PTCA häufig ein Stent - also eine Art „Gefäßstütze” - implantiert, der eine hohe Offenheitsrate garantiert.

Während aber eine Lyse flächendeckend durchführbar ist, halten nur spezifische Zentren eine 24-Stunden-Bereitschaft zur Durchführung einer Akut-PTCA bereit.

Kann durch eine Lysetherapie keine oder keine ausreichende Wiedereröffnung der Koronararterie erzielt werden, so dass eine PTCA nach Lyse notwendig wird, spricht man von „Rescue-PTCA”. Ein zusätzlicher Nutzen der Rescue-PTCA wird vor allem bei Patienten mit einer zu erwartenden hohen Mortalität - also zum Beispiel beim drohenden kardiogenen Schock - erwartet [26].

Literatur

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Priv.-Doz. Dr. med. Stephen Schröder

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