Dtsch Med Wochenschr 2005; 130(8): 413
DOI: 10.1055/s-2005-863067
Leserbriefe

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Letale Polypharmazie bei einem Hypertoniker

Zum Beitrag aus DMW 50/2004H. Werner
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17 February 2005 (online)

Der Bericht über die fehlerhafte Medikation bei einem 86-jährigen Patienten mit letalem Ausgang [4] ist außerordentlich wichtig und lehrreich. Bedauerlich ist jedoch, dass die Autoren den geriatrischen Aspekt, der in dieser Kasuistik sehr eindrucksvoll zum Ausdruck kommt, völlig außer Acht gelassen haben. Es handelt sich hier um einen 86-jährigen (!) Patienten, der 17 Jahre lang mit einer Kombination von 50 mg Hydrochlorothiazid, 5 mg Amylorid 5 mg und 20 mg Timolol behandelt wurde.

Aus geriatrischer Sicht haben die Autoren es versäumt, auf die schon physiologisch eingeschränkte Nierenfunktion im hohen Lebensalter hinzuweisen. Ein 86-jähriger Patient mit einem Körpergewicht von 70 kg und einem Kreatinin von 1,0 mg/dl hat nach der Cockroft-Formel 2 eine errechnete Clearance von 52,5 ml/min. Derselbe Patient hat bei einem Kreatinin von 1,3 mg/dl nur noch eine Clearance von 40,3 ml/min. Bei der Aufnahme dieses 86-jährigen Patienten wurde ein Kreatinin von 2,66 mg/dl festgestellt , entsprechend einer Clearance von nur noch 19,7 ml/min. Der Serumkreatininwert ist bei alten Menschen irreführend, da dieser über die Lebensspanne wegen schwindender Muskelmasse und abnehmender körperlicher Aktivität relativ konstant bleibt. Die Kreatinin-Clearance nimmt dagegen deutlich ab, wie die obige Berechnung bei normalem Serumkreatinin zeigt. Die Dosierung von 50 mg Hydrochlorothiazid (HCT) zur Behandlung der Hypertonie bei einem 86jährigen ist viel zu hoch gewählt. Mutschler hat bereits 1987 darauf hingewiesen, dass Thiazide in der Hochdruckbehandlung aus pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Gründen bei alten Patienten niedrig dosiert werden sollte, d. h. die Tagesdosis sollte 25 mg/dl HCT nicht überschreiten 6. Auch andere Autoren propagieren das Niedrigdosisprinzip bei Gabe von HCT zur Behandlung der Hypertonie im hohen Lebensalter 3 5. Die Richtlinien der British Hypertension Society 1 empfehlen, dass bei alten Menschen mit Hypertonie schon die Dosis von 25 mg Hydrochlorothiazid nicht mehr angewandt werden sollte. Bei HCT-Niedrigdosis von 12,5 - 25 mg sind unerwünschte metabolische Wirkungen wie Hypokaliämie selten und daher die Gabe eines kaliumsparenden Diuretikums in der Regel nicht erforderlich 7. Dadurch wird auch die Gefahr der Hyperkaliämie gemindert. Bedauerlicherweise haben die Autoren nicht angegeben, wie hoch der Natriumspiegel und der Harnstoff bei diesem alten Patienten war. Es ist stark zu vermuten, dass aufgrund der langfristigen hochdosierten Gabe von Hydrochlorothiazid der Patient bereits so exsikkiert war, dass die Nierenfunktion nachhaltig gestört war. Die Gabe des ACE-Hemmers an einen exsikkierten und damit hypovolämischen alten Mann hat, wie die Autoren zu Recht vermuten, in diesem Fall sicher zum letalen Ausgang geführt. Der entscheidende Kunstfehler lag jedoch bereits viel früher in der zu hohen Dosis des Diuretikums. Der ACE-Hemmer 1 Woche vor Aufnahme dürfte nur den allerletzten Anstoß für die katastrophale Entwicklung gegen haben. Ein weiterer Fehler ist, dass der Verordner mit 2 mg Trandolapril (statt mit zum Beispiel 0,5 mg) gleich eine relativ hohe Dosis des ACE-Hemmers an einen bereits hypovolämischen Patienten gegeben hat. Damit hat er damit gegen die Grundregel der geriatrischen Pharmakotherapie verstoßen: „Start low, go slow“. Unter geriatrischen Gesichtspunkten ist weiterhin von hoher Bedeutung, dass die gleichzeitige Gabe eines ACE-Hemmers mit Hydrochlorothiazid und einem nicht-steroidalen Antirheumatikum - eine Kombination von Arzneimitteln, die im Hinblick auf die Multimorbidität im Alter in der Geriatrie sehr häufig vorkommt - besonders oft zu Niereninsuffizienz und in der Folge zu Hyperkaliämie führt. Eine derartige Kombination muss besonders streng überwacht werden, wenn sie nicht zu vermeiden ist. Darauf hätten die Autoren in der Diskussion hinweisen müssen. Kaliumsparende Diuretika sollten in der Geriatrie nur in Ausnahmefällen mit äußerster Vorsicht und unter regelmäßiger Kontrolle der Nierenfunktion und der Elektrolyte eingesetzt werden. Der in Folge der RALES-Studie zunehmend häufige Einsatz von Aldosteon-Antagonisten bei Herzinsuffizienz hat auch zu einer signifikanten Zunahme von Hyperkaliämien geführt (siehe auch Arzneitelegramm 12/2004). Auch wenn unter Compliancegesichtspunkten fixe Kombinationen von Antihypertensiva in der Geriatrie Vorteile haben, sollte die primäre Gabe von fixen Kombinationen in der Geriatrie vermieden werden. Erst wenn antihypertensiv wirkende Einzelsubstanzen sich als wirksam erwiesen haben und ihre Dosierung austitriert ist, kann gegebenenfalls auf fixe Kombinationen übergegangen werden.

Die Kasuistik [4] macht deutlich, dass Unkenntnis der Pharmakotherapie im hohen Alter schwerwiegende Folgen haben kann. Es ist daher notwendig, dass den Problemen der Pharmakotherapie im Alter sehr viel mehr Aufmerksamkeit in Aus-, Fort- und Weiterbildung, aber auch in der Forschung gewidmet werden muss.

Literatur

  • 1 British Hypertension Society guidelines.  J Human Hypertension. 1999;  13 569-592
  • 2 Cockroft D W, Gault M H. Prediction of creatinine clearance from serum creatinine.  Nephron. 1976;  16 31-41
  • 3 Gifford R W, Kaplan N M. Thiazides and Hypertension in the elderly.  Hypertension. 1995;  25 1052
  • 4 Jörger M, Diethelm M. Letale Polypharmazie bei einem Hypertoniker.  Dtsch Med Wochenschr. 2004;  129 2714-2716
  • 5 Kaplan N M. Clinical Hypertension. 7. Ausgabe Williams & Wilkins, Baltimore 1998: 242
  • 6 Mutschler E, Knauf H. Das Niedrigdosisprinzip bei Diuretika. Urban & Schwarzenberg. München In Kreuzer H, Mutschler E (Hrsg.): Diuretika bei kardiovaskulären Erkrankungen 1987
  • 7 Neldam S. et al . Antihypertensive treatment in elderly patients aged 75 years or over.  Drugs & Aging. 2001;  18 225-232

Dr. med. Hans Werner

Chefarzt der Klinik für Geriatrie, Ev. Krankenhaus Elisabethenstift

Landgraf-Georg-Straße 100

64287 Darmstadt

Email: hanswerner@gmx.de

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