Gesundheitswesen 2005; 67(3): 196-203
DOI: 10.1055/s-2005-857957
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Steuerungs- und Verteilungswirkungen der Praxisgebühr im Bereich der zahnmedizinischen Versorgung - eine Kosten-Nutzen-Analyse

Effects of the New German Quarterly Practice Fee on Dental Treatment - Cost-Benefit AnalysisD. Klingenberger1
  • 1Institut der Deutschen Zahnärzte
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Publication Date:
23 March 2005 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund: Mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG) vom 19. November 2003 hat der Gesetzgeber die Einführung einer sog. „Praxisgebühr” in der ambulanten ärztlichen und zahnärztlichen Versorgung verfügt. Der Gesetzgeber erhofft sich von der Einführung der Praxisgebühr eine Stärkung der Lotsenfunktion des Hausarztes sowie eine Reduktion medizinisch unnötiger Nachfrage, die sich kostendämpfend auswirken und eine Konsolidierung der Kassenfinanzen möglich machen soll. In der Öffentlichkeit wird das Steuerungsinstrument der Praxisgebühr äußerst kontrovers beurteilt. Ziel der Analyse ist die Abwägung des Nutzens und der Kosten der Praxisgebühr unter Berücksichtigung der Besonderheiten des zahnmedizinischen Versorgungssystems. Im Ergebnis verdeutlicht die Analyse der allokativen und distributiven Effekte, dass die Praxisgebühr den Besonderheiten des zahnmedizinischen Versorgungsbereiches zu wenig Rechnung trägt und dass aus gesundheitsökonomischer wie sozialmedizinischer Perspektive die Nachteile überwiegen. Mittel- bis langfristig ist weder mikro- noch makroökonomisch eine spürbare Kostendämpfung durch die Praxisgebühr zu erwarten.

Abstract

Background: In the German Law on the Modernisation of the Statutory Healthcare System of 19 November 2003 the legislator enacted payment of a so-called quarterly practice fee for ambulant medical and dental care. The legislator hopes that by the introduction of this fee the central “steering” function of the family doctor is strengthened and that medically unnecessary treatment will be reduced, thus reducing cost and consolidating health insurance funds. In public, however, the introduction of the practice fee as a steering instrument is very controversially discussed. The aim of the analysis is to balance the cost-effectiveness of a quarterly practice fee with regard to the specific features of the dental care system. Results: Analysis of the allocative and distributive effects shows that the practice fee does not adequately take into account the specific features of the dental care sector and that the adverse effects prevail if seen under the aspect of health economics and social medicine. Neither on the micro-economic nor on the macro-economic level a noticeable medicine-term or long-term cost containment effect may be expected.

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Dr. rer. pol. David Klingenberger

Institut der Deutschen Zahnärzte

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