Dtsch Med Wochenschr 2004; 129(31/32): 1698
DOI: 10.1055/s-2004-829019
Leserbriefe

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Können wir uns die Fortschritte der Intensivmedizin noch leisten? - Zuschrift Nr. 2

Zum Beitrag aus DMW 1-2/2004
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Publication Date:
23 July 2004 (online)

Wir danken Herrn Boldt für seine persönliche Bewertung und sein Plädoyer für eine offene Debatte [3]. Nicht erst seit der Einführung der DRGs wird zunehmend über Kosten und damit unweigerlich über die Möglichkeit der Kostenersparnis nachgedacht. Die von Herrn Boldt hervorgehobenen Entwicklungen sind alle samt kostenintensive Substanzen, die wie schon im Titel der Arbeit vermerkt, zu Fortschritten in der Intensivmedizin geführt haben. Der Autor kommt zu der Schlussfolgerung, dass wir uns unter den gegeben Rahmenbedingungen eine moderne und damit wohl kostenintensive Intensivtherapie, zukünftig nicht mehr leisten können. Die Interpretation der vorhandenen Daten bedarf unserer Meinung nach jedoch einiger Kommentare.

Behandlung des blutenden Patienten: Wie Herr Boldt in seiner Arbeit ausgeführt hat, gibt es keine anerkannte Dosierung von rVIIa für diesen „off label“ Einsatz. Bei der Kostenberechnung wurde eine Dosierung von 100 µg/kg Körpergewicht eingesetzt und in die Gesamtkosten eine „häufig notwendige“ zweite Dosierung mitberechnet. Dies ist unserer Meinung nach nicht korrekt. In der Analyse von 40 Patienten, die rekombinanten Faktor VIIa (rVIIa) außerhalb der Zulassung bei lebensbedrohlichen Blutungen erhalten haben erhielten die Patienten eine mittlere Dosierung von 90 µg/kg [4]. In unserem Patientenkollektiv haben wir 19 Patienten mit lebensbedrohlicher Blutung und ohne vorbestehende Blutgerinnungsstörung behandelt. Alle Patienten erhielten nur einen einzigen Bolus von rund 90 µg/kg Körpergewicht. Prinzipiell halten wir es für gewagt, ohne etablierte Dosierungsschemata und bei einer „off label“ Therapie eine Kostenberechnung anzustellen. Wenn wir dies in Anlehnung an Herr Boldt dennoch tun, so betragen die Kosten für unsere Patienten rund 5250 EUR. Bei einem Körpergewicht von 80 kg und einer Dosierung von 90 µk/kg applizieren wir eine Ampulle 4,8 mg und eine Ampulle mit 2,4 mg rVIIa. Nicht nur das wir dadurch allen unseren Patienten eine lebensrettende Therapie haben zukommen lassen, so war der Bedarf an Blutprodukten nach rVIIa signifikant geringer als vor der Gabe. Auch wir glauben, dass große kontrollierte Studien notwendig sind, um zu beweisen, dass eine Gabe von rVIIa zu Einsparungen von Blutprodukten führen kann. Trotz der Tatsache das diese Daten bisher fehlen, ist unserer Meinung nach rVIIa eine ernstzunehmende Therapieoption bei Patienten mit lebensbedrohlicher Blutung.

Behandlung des Patienten mit Sepsis: Herr Boldt folgert aus der Tatsache, dass es sich bei rekombinantem aktiviertem Protein C (aPC) um eine gerinnungsaktive Substanz handelt, deren Anwendung auf operativen Intensivstationen deutlich eingeschränkt sei. Richtig ist zweifelsohne, dass „nur“ 474 von insgesamt 1690 Patienten der PROWESS-Studie operierte Patienten waren. Darunter befanden sich 315 Patienten mit einem intraabdominellem Fokus der Sepsis. Hier war die Reduktion der Todesrate mit absolut 9,1 % noch deutlicher ausgeprägt als in der Gesamtgruppe aller Patienten mit 6,1 % [1]. Sollte man daraus schließen, dass gerade Patienten der Allgemeinchirurgie mit schwerer Sepsis von aPC profitieren?

Zunehmend wird der frühzeitige Einsatz von aPC propagiert. Herr Boldt sieht hier die Gefahr einer dramatischen Zunahme der Kosten. Wie unlängst eindrucksvoll gezeigt wurde, ist gerade die frühe und aggressive Therapie der Sepsis mit einer deutlichen Mortalitätssenkung verbunden [6]. Dies gilt auch für den Einsatz von aPC [2]. Unserer Meinung nach sollte frühzeitig über den Einsatz von aPC bei Patienten mit schwerer Sepsis nachgedacht werden und nicht erst, wenn die herkömmliche „moderne“ Sepsistherapie nicht zur Stabilisierung beigetragen hat.

Können wir uns die moderne Intensivtherapie noch leisten? Bei aPC müssen „nur“ 8 schwerkranke Patienten mit einem APACHE > 24 behandelt werden, um ein Leben zu retten [5]. Im Gegensatz dazu müssen zwischen 44 und 133 Patienten, abhängig vom individuellen Risikoprofil einer koronaren Herzkrankheit, über einen Zeitraum von 5 Jahren mit Acetylsalicylsäure behandelt werden, um einen Myokardinfarkt, nicht wie bei aPC ein Sterben, zu verhindern [7]. Die Gefahr von Blutungskomplikationen erhöht sich darunter durchschnittlich um 69 %. Wenn schwere Blutungskomplikationen mitberechnet werden, müssen gar bis zu 256 Patienten behandelt werden.

Wir sind mit Herrn Boldt einig, dass es nicht die Frage sein kann „ob wir auch die richtigen Patienten aus unseren Intensivstationen behandeln“. Vielmehr müssen wir uns die Frage stellen was ein Menschenleben wert ist und dafür Sorge tragen, dass die moderne Intensivmedizin geleistet werden kann.

Literatur

  • 1 Barie P S. Drotrecogin alfa (activated) has a favorable benefit/risk profile in surgical patients with severe sepsis.  Crit Care Med. 2002;  30 A 102
  • 2 Bernard G R. Early administration of Drotrecogin alfa (activated) improves survival, reduces costs of treating patients with severe sepsis. http://www.peerviewpress.com/search.do?month=11&year=2003&keyword=Bernard
  • 3 Boldt J. Können wir uns die Fortschritte in der Intensivmedizin noch leisten?.  Dtsch Med Wochenschr. 2004;  129 36-40
  • 4 Laffan M OC, Niamh M, Perry D J, Hodgson A J, O’Shaughnessy D, Smith O P. Analysis and results of the recombinant factor VIIa extended-use registry.  Blood Coagul and Fibrinolysis. 2003;  14 S35-S38
  • 5 Reinhardt K, Brunkhorst F M, Bloos F. Fortschritte in der Therapie der Sepsis.  Dtsch Arzteblatt. 2003;  100 A 2080-2086
  • 6 Rivers E, Nguyen B, Havstad S. et al . Early Goal-Directed Therapy in the Treatment of Severe Sepsis and Septic Shock.  N Engl J Med. 2001;  345 1368-1377
  • 7 Sanmuganathan P S, Ghahramani P, Jackson P R, Wallis E J, Ramsay L E. Aspirin for primary prevention of coronary heart disease: safety and absolute benefit related to coronary risk derived from meta-analysis of randomised trials.  Heart. 2001;  85 265-271

Dr. Armin Kalenka

Institut für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum Mannheim

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