Dtsch Med Wochenschr 2004; 129(8): 359
DOI: 10.1055/s-2004-819894
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Fortschritte in der Onkologie - Pathogenese und Individuelle Therapie

Advances in oncology - pathogenesis and individualized therapyH. E. Blum1
  • 1Abteilung Innere Medizin II, Medizinische Universitätsklinik Freiburg
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Publication Date:
11 February 2004 (online)

Prof. Dr. med. Drs. h. c. H. E. Blum

Die molekularbiologische Forschung hat in den letzten Jahren nicht nur die Diagnostik, Therapie und Prävention von Tumorerkrankungen revolutioniert, sondern auch ein zunehmendes Verständnis der molekularen Pathogenese ermöglicht. Generell sind maligne Erkrankungen charakterisiert durch genetische oder epigenetische Alterationen, die zur Inaktivierung von Tumorsuppressor- oder DNA-Reparaturgenen bzw. zur Aktivierung von Onkogenen führen. Die mit am besten molekular charakterisierten Tumore sind die hereditären und sporadischen kolorektalen Karzinome (CRC), die sich mit der Akquisition einer über Jahre zunehmenden Anzahl von genetischen und epigenetischen Alterationen aus der normalen Darmschleimhaut über Polypen zu malignen Tumoren entwickeln („stepwise oncogenesis”) Die die Tumore charakterisierende genomische Instabilität kann z. B. im allelischen Verlust (loss of heterozygosity, LOH) eines Tumorsuppressorgens (chromosomale Instabilität, CIN) bzw. in einer Mikrosatelliteninstabilität (MSI) mit z. B. Beeinträchtigung des DNA-Reparatursystems oder in epigenetischen Modifikationen (CpG island methylator phenotype, CIMP) von Tumorsuppressor- oder DNA-Reparaturgenen bestehen („gene silencing”).

Mit dem besseren Verständnis der molekularen Pathogenese von Tumorerkrankungen ist es mit modernen molekularbiologischen und biochemischen Methoden möglich, mehrere Zehntausend Gene oder Proteine (DNA-, RNA- oder Proteinarrays) von z. B. Tumorgeweben gleichzeitig zu analysieren und damit ein individuelles Tumor-spezifisches Gen- und Expressionsprofil zu erstellen. Auf der Basis dieser Daten zeigen erste Studien, dass es für einige Tumorentitäten molekulare Marker gibt, die eine individuelle Abschätzung der Prognose der Erkrankung erlauben und die Wirksamkeit einer Therapie voraussagen lassen. Die weiteren Entwicklungen lassen erwarten, dass auf der Basis molekularer Marker ein individuelles Tumorprofil mit prognostischer und prädiktiver Relevanz definiert werden kann.

In diesem Schwerpunktheft werden u. a. die klinisch relevanten Aspekte der gastrointestinalen Stromatumore (GIST) sowie des maligne entarteten Neurofibroms dargestellt. GIST sind relativ seltene Tumore, die sich erstmals durch eine gastrointestinale Blutung manifestieren können und deren Pathogenese meist durch die Aktivierung der Typ III-Tyrosinkinase KIT charakterisiert ist. Die Therapie ist primär chirurgisch. Bei inoperablen Patienten bzw. Tumoren ist heute, ähnlich wie bei der chronisch myeloischen Leukämie, Imatinib als spezifischer Inhibitor der Tyrosinkinase c-KIT Therapie der Wahl. Maligne entartete Neurofibrome sind ebenfalls sehr seltene Tumore, an die besonders bei Patienten mit Morbus Recklinghausen gedacht werden sollte. Trotz Fortschritten in der Diagnostik und Therapie des zunehmend häufigen hepatozellulären Karzinoms (HCC) hat das HCC weiterhin meist eine schlechte Prognose, da > 80 % der Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose inoperabel sind. Der Verbesserung der Frühdiagnose bei HCC-Risikopatienten und der HCC-Prävention kommt deshalb besondere Bedeutung zu. Weitere Beiträge in diesem Schwerpunktheft stellen die Fortschritte in der Betreuung von Patientinnen mit Mammakarzinom durch Sentinel-Node-Biopsie und Fortschritte in der Therapie des Ovarialkarzinoms dar. Weitere Themen des Schwerpunktheftes sind die neuesten Erkenntnisse zur Rolle von Proteasen bei Malignomen und zur therapeutischen Relevanz von Protease-Inhibitoren.

Bei wesentlichen Fortschritten im Verständnis der Pathogenese und in der Diagnostik, Therapie und Prävention von Tumorerkrankungen während der letzten Jahre wird die Optimierung der Patientenbetreuung in Zukunft ganz wesentlich vom Transfer der Grundlagenerkenntnisse in die Klinik bestimmt sein. Erste klinische Anwendungen der molekularen Diagnostik und DNA Chip-Technologie z. B. beim diffusen großen B-Zell-Lymphom (DLBCL), beim Mammakarzinom, beim nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom, beim CRC und HCC demonstrieren eindrucksvoll deren klinische Relevanz für die individuelle Prognose der Erkrankung sowie für die Wirksamkeit einer Chemotherapie im Einzelfall. Ein wichtiges Ziel der aktuellen Forschung ist deshalb, klinisch und histopathologisch gleiche Tumore molekular bzw. durch Array-Profile zu charakterisieren, mit dem Ziel prognose- bzw. therapie-relevante Subtypen zu identifizieren und die Betreuungsstrategie der Patienten durch Individualisierung zu optimieren („personalized medicine”).

Prof. Dr. med. Drs. h. c. Hubert E. Blum

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