Dtsch Med Wochenschr 2003; 128(10): 514
DOI: 10.1055/s-2003-37628-2
Leserbriefe
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Erwiderung: Primärvention des plötzlichen Herztodes - und die Angst vor der Wahrheit

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Publication Date:
29 April 2004 (online)

Die Senkung der Gesamtletalität von 19,8 % auf 14,2 % entspricht in der MADIT-II-Studie einem „hazard ratio“ von 0,69, entsprechend 31 % Senkung der Gesamtsterblichkeit. Dies als nicht aussagekräftige Zahl zu bezeichnen würde eine geringe Kenntnis über das Problem des plötzlichen Herztodes bei Postinfarkt-Patienten mit deutlich eingeschränkter linksventrikulärer Funktion offenbaren. Es hat in den letzten 10 Jahren keine größere Studie einer Primärpräventionstherapie gegeben, die ein derart günstiges hazard ratio bzw. eine derart große relative Senkung der Gesamt-Letalität und eine etwa 60 %ige Reduktion des plötzlichen Herztodes (von 9,4 % auf 3,6 %) gezeigt hat wie jetzt bei MADIT-II.

Im Fall von MADIT-II wäre es völlig verfehlt, das Resultat als „marginal“ abzutun. Die FDA und die amerikanischen kardiologischen Fachgesellschaften haben 3 bzw. 6 Monate später die Indikation zur ICD-Im-plantation für Postinfarkt-Patienten mit einer LV-EF von < 30 % als Primärprävention des plötzlichen Herztodes festgelegt.

Überdies geht der Leserbrief von Meyer am Kernproblem meines Editorals vorbei. Eine der wichtigsten und derzeit schwierigsten Fragen unserer Gesellschaft ist die nach dem Wert des Menschenlebens. Wie viel sind wir bereit zu bezahlen für eine als effektiv angesehene Therapie, die es ermöglicht, einen unter 18 Bedrohten vor dem plötzlichen Herztod zu bewahren und ihm einige Jahre weiteres Leben zu gewähren? Ich bin der Meinung, dass es sich lohnt, dies zu tun - auch wenn dadurch die Wahrscheinlichkeit einer späteren Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz zunimmt. Es ist nicht der Defibrillator, der die Herzinsuffizienz erzeugt, sondern durch Verhinderung des arrhythmiebedingten plötzlichen Herztodes ist die Wahrscheinlichkeit, bei längerem Überleben mit eingeschränkter Ventrikelfunktion eine Herzinsuffizienz zu erleiden und damit stationär behandelt werden zu müssen, größer. Dies ist nämlich der Grund, warum die Anzahl der Hospitalisierungen in der ICD-Gruppe von MADIT-II nicht signifikant zugenommen haben. Im Gegensatz zu Meyer möchte ich formulieren: Im Vergleich mit der konventionellen Therapie kann durch den ICD schon jeder 18. Patient innerhalb der nächsten 20 Monate vor dem plötzlichen Herztod gerettet werden und lebt länger.

Meyer bemängelt, dass die Dosierung der ACE-Hemmer nicht bekannt gewesen sei. Dies verwundert umso mehr, als er als Mitglied der Magdeburger Ethikkommission bei der Genehmigung der Studiendurchführung in Magdeburg beteiligt war und daher auch das Studienprotokoll und das zweiseitige Sequential-Design mit festgelegten Grenzen für Effektivität, keine Wirksamkeit oder Schaden gekannt haben sollte. Daher ist er selbstverständlich auch über die in der Studienhypothese festgelegte zu erreichende relative Risikoreduktion informiert gewesen.

Alle Patienten wurden - wie es in einer großen prospektiven Studie gar nicht anders sein kann - nach der Meinung des behandelnden Arztes mit der für den Patienten optimalen Postinfarkt-Therapie behandelt. Dies ist eben nicht eine Dosis-Wirkungs-Berechnungsfrage, wie sie ein Pharmakologe anstellt, sondern eine klinische Realität. Überdies wurde die Therapie durch permanente Kontrolle des „data safety and monitoring committee“ überprüft. Glücklicherweise ist es auch in Deutschland noch so, dass der erfahrene Kliniker die individuelle „optimale Dosis“ bestimmt und nicht der Pharmakologe. Anders als in Deutschland erhalten - wie auch in der MADIT-II-Studie - annähernd alle Patienten in USA Acetylsalicylsäure nach ihrem Infarkt. Dies brauchte in der Originalarbeit im NEJM nicht extra aufgeführt werden.

Literatur

  • 1 Klein H. Primärvention des plötzlichen Herztodes - und die Angst vor der Wahrheit.  Dtsch Med Wochenschr. 2002;  127 2113

Autor

Prof. Dr. med. H. Klein

Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie, Zentrum für Innere Medizin, Otto-von-Guericke-Universität

Leipziger Straße 44

39120 Magdeburg

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