Dtsch Med Wochenschr 2003; 128(10): 512
DOI: 10.1055/s-2003-37620
Arztrecht in der Praxis
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Vergütungsanspruch des Arztes bei Behandlung nach Außenseitermethoden

Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 16.04.2002 - 1 (14) U 71/2001H.-J Rieger
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Publication Date:
06 March 2003 (online)

Problem: Gegenstand des Urteils ist die Frage, ob der Arzt für eine naturheilkundliche Behandlung eines Privatpatienten, die nicht der Schulmedizin entspricht, keinen nachweisbaren Erfolg hat und nur Symptome lindern soll, eine Vergütung verlangen kann.

Zum Sachverhalt: Bei dem Patienten war eine stetig progrediente Amyotrophische Lateral-Sklerose (ALS) diagnostiziert worden. Er wurde seit 1994 nicht mehr kausal behandelt. Der Beklagte, ein Arzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren, war dem Patienten und seiner Ehefrau als ein Arzt, der auch besondere Behandlungen durchführe, empfohlen worden. Er übernahm Mitte Juni 1998 die Behandlung und führte sie bis Ende 1999 fort. Die Ehefrau des im Jahr 2001 Verstorbenen verlangte als Alleinerbin vom Beklagten die Rückerstattung von Honoraren für die ärztliche Behandlung und Ersatz von Aufwendungen für Medikamente, therapeutische Substanzen, Infusionen usw. Die private Krankenkasse des Patienten hatte die Erstattung der Behandlungskosten abgelehnt mit der Begründung, die nicht der Schulmedizin entsprechenden Behandlungen durch den Beklagten seien nicht geeignet gewesen. Das Landgericht hatte der Krankenkasse Recht gegeben.

Entscheidung des Gerichts: Das Oberlandesgericht hat das Urteil des Landgerichts bestätigt und die Klage unter Berufung auf § 1 Abs. 2 Satz 2 GOÄ abgewiesen. Nach dieser Vorschrift darf der Arzt Vergütungen nur für Leistungen berechnen, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst für eine medizinisch notwendige ärztliche Versorgung erforderlich sind. Leistungen, die über dieses Maß hinausgehen, darf er nur berechnen, wenn sie auf Verlangen des Zahlungspflichtigen erbracht worden sind. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts war es nach dem übereinstimmenden Willen von Arzt und Patient Ziel der Behandlung durch den Beklagten, zu klären, ob mit den weiteren Möglichkeiten einer naturheilkundlich orientierten Behandlung der Zustand des Patienten, der nach schulmedizinischen Gesichtspunkten „austherapiert” war, zu verbessern sei. Anders als im vorausgegangenen Prozess mit der Krankenkasse, wo es um die Frage ging, ob die Behandlungsmaßnahmen des Beklagten für die Behandlung einer ALS medizinisch notwendig waren, kam es im vorliegenden Rechtsstreit hierauf nicht an. Denn der Beklagte hatte eine kausale, die ALS angehende Therapie nicht übernommen. Für die - von der Frage der Erstattungsfähigkeit von Behandlungskosten durch die Krankenkasse zu unterscheidende - Frage des Honoraranspruchs des Arztes gegen den Patienten ist allein der Inhalt des Behandlungsvertrages, d. h. das konkrete Leistungsersuchen des Patienten maßgebend. Dieses war im vorliegenden Fall auf die Erbringung von Leistungen außerhalb der Schulmedizin und damit außerhalb der medizinisch notwendigen ärztlichen Versorgung nach der Regelung in § 1 Abs. 2 GOÄ gerichtet.

Das Urteil hebt hervor, dass es in Fällen wie dem vorliegenden zu den Pflichten der Behandlungsseite auch gehört, einen Patienten vor möglichen Kosten und unverhältnismäßigen finanziellen Belastungen zu bewahren, soweit sie aus ihrer Expertenstellung heraus über bessere Erkenntnisse und ein besseres Wissen verfügt (so genannte „wirtschaftliche Aufklärungspflicht”). Hierfür ist es jedoch als ausreichend anzusehen, wenn der behandelnde Arzt den Patienten darauf hinweist, dass dessen Krankenkasse möglicherweise die Kosten der beabsichtigten Behandlung nicht übernehmen werde. Im vorliegenden Fall hatte der Beklagte vorgetragen, man habe versuchen wollen, die Kosten von der Kasse erstattet zu bekommen, die Eheleute hätten aber die Behandlung durch den Beklagten nicht von einem Bescheid der Krankenkasse abhängig machen wollen. Diesen Vortrag konnte die insoweit beweisbelastete Klägerin nicht widerlegen. Hinzu kam, dass der Verstorbene die Weiterbehandlung durch den Beklagten selbst noch zu einer Zeit wünschte, als die ablehnende Haltung der Versicherung durch Nichterstattung der ersten eingereichten Rechnungen des Beklagten offenkundig wurde. Jedenfalls hieraus ergab sich für das Gericht unzweifelhaft, dass die Frage der Kostenerstattung durch die Krankenversicherung keine Bedingung für die Aufnahme der Tätigkeit des Beklagten sein sollte.

Praktische Konsequenzen aus dem Urteil: Die Entscheidung stellt klar, dass der Patient eine Vergütung auch für eine Behandlung verlangen kann, die nicht der Schulmedizin entspricht, keinen nachweisbaren Erfolg hat und nur Symptome lindern soll, vorausgesetzt, dass eine entsprechende Vereinbarung mit dem Arzt getroffen wurde. Beweispflichtig hierfür ist der Arzt. Ihm ist daher dringend anzuraten, den Inhalt der Vereinbarung sorgfältig zu dokumentieren; darüber hinaus wäre eine ausdrückliche schriftliche Einverständniserklärung des Patienten wünschenswert. Entsprechendes gilt für die Dokumentation der Aufklärung des Patienten über das in diesen Fällen bestehende Risiko der Ablehnung der Kostenübernahme durch die Krankenkasse, auch wenn die Beweislast insoweit beim Patienten liegt.

Rechtsanwalt

Dr. H.-J. Rieger

Zeppelinstraße 2

76185 Karlsruhe

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