RSS-Feed abonnieren
DOI: 10.1055/s-2002-35930
Lektinbezogene Mistelanwendung: experimentelle Therapieform mit präklinisch belegtem Risikopotenzial
Zum Beitrag aus DMW 9/2002, Seite 457Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
29. April 2004 (online)

Der Beitrag [1] besteht in einer Wiederholung der seit Jahren vorgebrachten Argumente. Wir erachten es für notwendig, diese Argumentation für den Leser durch Ergänzungen zu der einseitig zitierten Literatur durchsichtiger zu machen.
1. Für die Vermutung, dass Viscum-album-Extrakt (V.a.) zu einer vermehrten IL-6-Ausschüttung bei der Behandlung von Patienten führen könnte, gibt es keine Hinweise. Die im Beitrag zitierte Referenz (Nr.9) bezieht sich auf Infusionen mit Iscador®, die zu einer Temperaturerhöhung führten. Jede Temperaturerhöhung ist von einer Zytokin-Ausschüttung begleitet. Bei der für die Therapie zugelassenen subkutanen Anwendung tritt keine Temperaturerhöhung und keine IL-6-Erhöhung auf [2] [3].
2. Ein vor Beginn einer V.a.-Therapie erhöhter IL-6-Spiegel kann im Gegenteil durch die Behandlung (Iscador®) gesenkt werden [2]. Dabei spielen auch andere Zytokine, ihre membranständigen und löslichen Rezeptoren sowie Signaltransduktoren eine Rolle [2] [3]. Die vermeintliche Stimulation einzelner Zytokine ohne Berücksichtigung der netzartigen Verknüpfung mit anderen Zytokinen für eine Wirkung verantwortlich zu machen, stellt eine unrealistische Simplifizierung dar.
3. Die Proliferation kultivierter Leukose- und Lymphomzellen wird durch ein V.a. mit hohem Lektingehalt (Helixor®) auch dann nicht stimuliert, wenn es zu einer gesteigerten Produktion von IL-6 kommt [4]. Auch diverse andere Tumorzelllinien erfahren durch V.a. keinen Proliferationsstimulus [5].
4. Die „in vivo“ Ergebnisse (Tab.1) beziehen sich auf Untersuchungen, die nicht mit V.a. bzw. Mistellektin durchgeführt wurden. Es wird spekulativ vorausgesetzt, dass in dem jeweiligen experimentellen setting der aufgeführten Arbeiten eine „lektininduzierbare“ Zytokinproduktion hätte auftreten können. Es wird außerdem vorausgesetzt, dass Mistellektin die gleiche Wirkung wie ein Gesamtextrakt hat. Beide Prämissen stellen Spekulationen dar, die der konkreten Belege entbehren. Arbeiten, die eine Stimulation der IL-6 Produktion durch V.a. und deren Zusammenhang mit einem Progress der Tumorerkrankung belegen, existieren nicht.
5. Nicht zuletzt erlaubt in diesem speziellen Zusammenhang nur die klinische Erfahrung mit einer Misteltherapie im Kontext mit Messungen zum Verhalten diverser Zytokine eine Aussage über Nutzen oder potenzielle Schädlichkeit dieser Therapieform. Für die Lymphome konnte gezeigt werden, dass mit dieser Therapie reproduzierbare Teilremissionen [6] erreicht werden können, ohne dass es zu einem Anstieg von IL-6 (und CRP) kommt [3] [6] [8].
Zusammengefasst wird damit deutlich, dass es sich in dem Beitrag um eine Argumentation handelt, die von falschen Voraussetzungen ausgeht, darüber theoretisch spekuliert, mit einseitiger Auswahl der Referenzen Scheinbelege präsentiert und die Realität bei der Anwendung der Misteltherapie ausblendet. Von präklinischen Belegen für ein Risikopotenzial kann unseres Erachtens ebensowenig die Rede sein wie von einer potenziellen klinischen Gefahr.
Literatur
- 1
Gabius S, Gabius H -J.
Lektinbezogene Mistelanwendung: experimentelle Therapieform mit präklinisch belegtem
Risikopotenzial.
Dtsch med Wochenschr.
2002;
127
457-459
MissingFormLabel
- 2
Kovacs E.
Serum levels of IL-12, IL-6 and production of IFN-gamma, IL-2, IL-4 by peripheral
blood mononuclear cells in cancer patients treated with Viscum album extract.
J Cancer Res Clin Oncol.
1999;
125
(Suppl)
110
MissingFormLabel
- 3
Kovacs E, Kuehn J J.
Measurements of IL-6, soluble IL-6 receptor and gp 130 in sera of B-cell lymphoma
patients. Does Viscum album treatment affect these parameters?.
Biomed Pharmacother.
2002;
56
152-158
MissingFormLabel
- 4
Büssing A, Stein G M, Stumpf C, Schietzel M.
Release of Interleukin-6 in cultured B-chronic lymphocytic leukemia cells is associated
with both activation and cell death via apoptosis.
Anticancer Res.
1999;
19
3953-3960
MissingFormLabel
- 5
Maier G, Fiebig H H.
Absence of tumor growth stimulation in a panel of 16 human tumor cell lines by mistletoe
extracts in vitro.
Anticancer Drugs.
2002;
13
373-379
MissingFormLabel
- 6
Kuehn J J.
Langfristig guter Verlauf unter Misteltherapie bei einem Patienten mit einem zentroblastisch-zentrozytischen
Non-Hodgkin-Lymphom.
Dtsch med Wochenschr.
1999;
124
1414-1418
MissingFormLabel
- 7
Kuehn J J.
Leserbrieferwiderung zu 6.
Dtsch med Wochenschr.
2000;
125
958-960
MissingFormLabel
- 8 Kuehn J J. Non-Hodgkin-Lymphom - Immunologische Spekulation und klinische Realität. KVC Verlag Essen In: Die Mistel in der Tumortherapie. Grundlagenforschung und Klinik. Scheer, R.,
R. Bauer., H. Becker, P.A. Berg, V. Fintelmann (Hrsg.) 2001: 327-341
MissingFormLabel
Autoren
Dr. med. J. J. Kuehn
Dr. med. E. Kovacs
Lukasklinik, Onkologische Spezialklinik
CH 4144 Arlesheim
Schweiz