Dtsch Med Wochenschr 2002; 127(5): 207-209
DOI: 10.1055/s-2002-19897
CME
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Hyperurikämie und Gicht - Diagnostik

Hyperuricemia and Gout - DiagnosticWolfgang Gröbner1 , Ingeborg Walter-Sack2
  • 1Innere Abteilung, Kreisklinik Balingen, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Tübingen
  • 2Universitätsklinikum Heidelberg, Medizinische Klinik und Poliklinik, Abteilung Innere Medizin VI, Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie (Ärztl. Direktor: Prof. Dr. W. E. Haefeli)
Further Information
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Korrespondenz

Prof. Dr. med. Wolfgang Gröbner

Chefarzt der Inneren Abteilung, Kreisklinik Balingen, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Tübingen

Tübinger Straße 30

72336 Balingen

Email: Innere.kkbl@kreiskliniken-zollernalb.de

Publication History

Manuskript-Eingang: 26. September 2001

Annahme nach Revision: 8. Januar 2002

Publication Date:
31 January 2002 (online)

Table of Contents

Die Gicht ist eine Krankheit, die meist als akute Monarthritis beginnt, nach symptomfreien Intervallen rezidiviert und allmählich in eine chronische destruierende Gelenkerkrankung übergeht. Tophi, Gichtgeschwüre, Uratnephropathie mit Hypertonie sowie Harnsäurenephrolithiasis sind weitere klinische Manifestationen.

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Pathogenese

Ursache der Gicht ist die Hyperurikämie, das heißt eine Serumharnsäurekonzentration oberhalb 6,4  mg/dl, der Löslichkeitsgrenze von Natriumurat im Plasma. Ist die Harnsäurekonzentration auf Werte oberhalb dieser Grenze erhöht, liegt eine übersättigte Lösung mit der Neigung zur Harnsäureausfällung bei Auftreten entsprechender physikalischer Voraussetzungen vor. Eine Hyperurikämie entsteht, wenn Harnsäure vermehrt gebildet oder verringert ausgeschieden wird. In seltenen Fällen kombinieren sich beide Mechanismen ([Tab. 1] [1] [4]).

Die familiäre Hyperurikämie ist bei Männern wesentlich häufiger als bei Frauen (vor allem vor der Menopause [5] ), und beruht bei der Mehrzahl der Patienten (ca. 99 %) auf einer Störung der renalen Harnsäureausscheidung, nämlich der tubulären Harnsäuresekretion. Eine vermehrte endogene Harnsäuresynthese wird lediglich bei ca. 1 % aller Patienten beobachtet (verminderte Aktivität der Hypoxanthinguaninphosphoribosyl-Transferase = Kelley-Seegmiller-Syndrom; Überaktivität der Phosphoribosylpyrophosphat-Synthetase). Von diesen familiären Hyperurikämien zu unterscheiden sind sekundäre Formen.

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Diagnostik

Die Diagnose der Gicht beruht auf der typischen Anamnese, der Gelenkentzündung, gegebenenfalls dem Ansprechen des Gichtanfalls auf Colchicin sowie dem Nachweis von Uratablagerungen und einer Hyperurikämie [1].

Tab. 1 Einteilung der Hyperurikämien.

Familiäre (primäre) Hyperurikämie

  • Störung der tubulären Harnsäuresekretion (ca. 99 % aller Patienten)

  • Vermehrte endogene Harnsäuresynthese infolge von Enzymdefekten des Purinstoffwechsels (ca. 1 % aller Patienten)

Sekundäre Hyperurikämie

  • Vermehrte Harnsäurebildung (z. B. bei Blutkrankheiten oder bei vermehrter Purinzufuhr mit der Nahrung)

  • Verminderte renale Harnsäureausscheidung, z. B. bei Niereninsuffizienz, unter saluretischer Therapie mit Thiaziden oder bei Ketoazidose (z. B. bei Fasten oder entgleistem Diabetes mellitus)

  • Vermehrte Harnsäurebildung und verminderte renale Harnsäureausscheidung (z. B. bei Glykogenspeicherkrankheit Typ I oder bei reichlicher Alkoholzufuhr)

Die Bestimmung der Serumharnsäure (2 - 3 Bestimmungen an verschiedenen Tagen zur Bestätigung der Diagnose Hyperurikämie) sollte aus dem Nüchternblut erfolgen. Bei der Bewertung des Befundes muss die bisherige Arzneimitteltherapie berücksichtigt werden [Tab. 2]. In den Tagen vor der Blutentnahme sollte sich der Patient wie gewohnt ernähren (einschließlich der Flüssigkeitszufuhr). Wird eine Hyperurikämie festgestellt, müssen weitere Maßnahmen zur Erkennung der Ursache der Hyperurikämie sowie zur Erkennung von klinischen Komplikationen einer erhöhten Serumharnsäurekonzentration getroffen werden [Tab. 3]. Bei jugendlichen Gichtpatienten, schwerer Verlaufsform einer Gicht oder rezidivierender Harnsäurenephrolithiasis sollte zur weiteren Abklärung einer Hyperurikämie (Nachweis einer vermehrten Harnsäuresynthese) neben der Serumharnsäure auch die Harnsäureausscheidung im 24 h-Urin gemessen werden (Normalbereich unter Normalkost 500 - 600 mg/d).

Tab. 2 Einfluss von Arzneimitteln auf die Serumharnsäurekonzentration [2] [3] .

Senkung der Serumharnsäure durch

Erhöhung der Serumharnsäure durch

Xanthinoxidasehemmer (Allopurinol)

Saluretika

Urikosurika

Cyclosporin A

Zytostatika

Salicylate (über 3 g/die)

Salicylate (unter 3 g/die)

Phenylbutazon in höherer Dosierung

Phenylbutazon in niedriger Dosis

Oxyphenbutazon in höherer Dosierung

Oxyphenbutazon in niedriger Dosis

Phenylindandion

Probenecid in niedriger Dosis

Cumarine

Niridazol in niedriger Dosis

Corticoide

Nicotinsäure

L-Dopa

Pyrazinamid

Ethambutol

Fructose-, Sorbit-, Xylit-Infusionen

Tab. 3 Wichtige Untersuchungen bei Hyperurikämie [3].

1. Zur Diagnose bzw. zum Ausschluss sekundärer Hyperurikämien

Familienanamnese, gesamtes Blutbild Nierendiagnostik, Arzneimittelanamnese, gegebenenfalls spezielle Untersuchungen wie z. B. Lactatbestimmung im Serum.

2. Zur Diagnose bzw. zum Ausschluss von Enzymdefekten des Purinstoffwechsels bei familiärer Hyperurikämie

Renale Tagesharnsäureausscheidung unter Normalkost oder standardisierten Ernährungsbedingungen, eventl. unter isoenergetischer purinfreier Formeldiät. Bestimmung der Aktivität von Schlüsselenzymen des Purinstoffwechsels (Hypoxanthinguaninphosphoribosyltransferase, 5-Phosphoribosylpyrophosphat-Synthetase) aus Erythrozyten (Speziallaboratorien).

3. Zur Diagnose bzw. zum Ausschluss von Komplikationen einer Hyperurikämie

Anamnese: Gichtanfälle? Nephrolithiasis? Befunde: Tophi (Weichteile, Knochen)? Uratnephropathie? Nephrolithiasis? (Blutdruck, Harnstatus, Kreatinin, Harnstoff und Elektrolyte im Serum, Sonographie der Nieren, eventl. i. v.-Pyelogramm, Steinanalyse)

4. Zur Diagnose bzw. zum Ausschluss von weiteren Stoffwechselstörungen

Cholesterin und Triglyzeride im Serum, Blutzucker, HbA1c, evtl. orale Glucosebelastung

Bei jeder akuten Monarthritis des Erwachsenen besteht der Verdacht auf eine Gicht, besonders wenn eine schmerzhafte Gelenkschwellung vor Wochen, Monaten oder Jahren bereits einmal aufgetreten und abgeheilt ist sowie ein Großzehengrundgelenk, ein Sprunggelenk, ein Kniegelenk oder ein Gelenk der Hand betroffen ist. Die Inspektion der Gelenkgegend zeigt eine Schwellung und Rötung; das Gelenk ist hochgradig schmerzhaft, jede Bewegung, Erschütterung oder Berührung kann unerträglich sein. Nur selten fehlen die allgemeinen Zeichen der Entzündung. Der therapeutische Effekt einer ausreichenden und am 1. Tag einsetzenden Colchicintherapie gilt als diagnostisch beweisend.

Eine Gelenkpunktion mit dem Nachweis von Harnsäurekristallen in den polymorphkernigen Leukozyten der Gelenkflüssigkeit kann gelegentlich diagnostisch notwendig sein. Im Polarisationsmikroskop ist der Harnsäurekristall bei Rotpolarisation negativ doppelbrechend und parallel zur Kompensatorachse gelb, senkrecht dazu blau.

Besondere diagnostische Bedeutung kommt auch dem Nachweis von Tophi zu, die in der Regel in einem fortgeschrittenen Stadium der Gicht zu beobachten sind. Weichteiltophi finden sich vor allem im Bereich der Ohrmuscheln, der Bursa olecrani und der Sehnenscheiden an der Streckseite der Finger. Knochentophi kommen bevorzugt im Bereich der Großzehengrund- und Fingergelenke, meist in Form runder Defekte ohne sklerosierten Randsaum vor. Sie sitzen zunächst subchondral, erreichen aber bald die Gelenkflächen.

Wichtig bei einer Hyperurikämie ist auch die Untersuchung der Niere. Proteinurie, Leukozyturie, Hämaturie und Blutdruckerhöhung weisen auf eine Beteiligung der Niere bei Hyperurikämie hin [1]. Wiederholte Untersuchungen des Urins auf Eiweiß und pathologische Sedimentbestandteile sowie die Bestimmung der renalen Retentionswerte und der Serumelektrolyte sind notwendig. Eine Sonographie der Nieren ist immer empfehlenswert. Bei Hämaturie sowie bei der Vorgeschichte von Nierensteinkoliken oder Steinabgängen sollte eventuell eine Pyelographie durchgeführt werden. Abgegangene Steine sind zu analysieren.

Hyperurikämie und Gicht sind häufig mit dem sog. metabolischen Syndrom assoziiert, das als Zusammentreffen von Adipositas mit androider Fettverteilung, Dyslipoproteinämie, essentieller Hypertonie und Glucosetoleranzstörung bzw. Typ-2-Diabetes mellitus definiert ist, wobei jede dieser Komponenten die Entstehung einer Arteriosklerose fördert. Bei jedem Patienten mit einer Hyperurikämie bzw. Gicht ist deshalb die Bestimmung von Serum-Cholesterin und -Triglyzeriden sowie des Blutzuckers zu empfehlen. Die Hyperurikämie selbst ist zumindest als Risikoindikator anzusehen; inwieweit sie einen Risikofaktor darstellt, ist nicht geklärt.

kurzgefasst: Die Diagnose der Gicht beruht auf der typischen Anamnese, der Gelenkentzündung, gegebenenfalls dem Ansprechen des Gichtanfalls auf Colchicin sowie dem Nachweis von Uratablagerungen und einer Hyperurikämie. Die Diagnostik muss auch sicher unterscheiden können zwischen einer primären Hyperurikämie bzw. Gicht und sekundären Formen, damit keine behandlungsbedürftigen Grund- oder Begleiterkrankungen übersehen werden. Dabei muss der (unbeabsichtigte) Einfluss einer vorbestehenden Arzneimitteltherapie auf die Serumharnsäurekonzentration berücksichtigt werden.

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Differentialdiagnosen

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Hyperurikämie

Differentialdiagnostisch ist die familiäre Hyperurikämie von sekundären Formen abzugrenzen. Zum Nachweis eines angeborenen Stoffwechseldefektes dienen die Familienanamnese und Verwandtenuntersuchungen. Zum Nachweis sekundärer Hyperurikämieformen sollten ein vollständiges Blutbild angefertigt sowie Harnstoff, Kreatinin und Elektrolyte im Serum bestimmt werden. Weiterhin ist ein Harnstatus anzufertigen. Empfehlenswert ist auch eine Oberbauchsonographie. Unerlässlich ist eine präzise Arzneimittelanamnese.

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Gichtanfall

Im Vordergrund steht die Differentialdiagnose der akuten Mono- oder Oligoarthritis. Nahezu alle rheumatischen Erkrankungen können in einer dieser beiden Formen beginnen. Arthritis bei Gonorrhoe und anderen bakteriellen Infekten inklusive Borelliose und bei Viruserkrankungen sind ebenfalls in die Differentialdiagnose einzubeziehen. Gezielte anamnestische Fragen zu Hautveränderungen (z. B. Psoriasis, Erythema nodosum), Durchfällen und Sehstörungen (Iridocyclitis) können differentialdiagnostisch hilfreich sein. Differentialdiagnostische Probleme bereiten gelegentlich Schmerzen, Schwellungen, Rötungen und Überwärmungen, die nicht von einem Gelenk ausgehen, jedoch in der Nähe eines für einen Gichtanfall sehr typischen Gelenks lokalisiert sind. So kann eine Phlegmone am medialen Vorfuß oder Fußrücken einem akuten Gichtanfall ähnlich sein. Eine Bursitis an der Medialseite eines Großzehengrundgelenkes, hervorgerufen durch mechanische Irritation, oder ein Zustand nach Trauma ist ein weiteres Beispiel.

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Tophus

Der Tophus ist durch die klinische Untersuchung sowie durch Lokalisation und radiologische Charakteristika differentialdiagnostisch von Rheumaknoten (chronische Polyarthritis), Kalkknoten (Sklerodermie, Dermatomyositis), Xanthomen (familiäre Hypercholesterinämie), Fingerknöchelpolstern sowie Heberden-Knötchen (Fingerpolyarthrose) abzugrenzen.

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Harnsäurenephrolithiasis und Uratnephropathie

Bei der Differentialdiagnose der Nephrolithiasis geben Serum- und Harndiagnostik sowie Ausscheidungsurographie wichtige Aufschlüsse. Bei röntgennegativen Konkrementen sind neben Harnsäuresteinen auch 2,8-Dihydroxyadenin- sowie Xanthinsteine differentialdiagnostisch in Erwägung zu ziehen. Jeder abgegangene Stein sollte infrarotspektrometrisch analysiert werden, um eine gezielte Rezidivprophylaxe zu ermöglichen.

Die Differentialdiagnose der Uratnephropathie umfasst in erster Linie die Nierenfunktionseinschränkung infolge Hypertonie, die chronische Glomerulonephritis, die chronische Bleinephropathie sowie die Niereninsuffizienz bei HGPRTase-Mangel [Tab. 3].

kurzgefasst: Die Differentialdiagnose muss im Einzelfall jeweils für die Hyperurikämie, den Gichtanfall, den Tophus und die Harnsäure-Nephrolithiasis bzw. die Uratnephropathie getrennt erfolgen. Besonders wichtig ist die sorgfältige Untersuchung der Nieren auch bei bisher fehlender Symptomatik.

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Literatur

  • 1 Gröbner W, Gross M, Zöllner N. Krankheiten durch Störungen des Purin- und Pyrimidinstoffwechsels. Schattauer-Verlag In: Die Innere Medizin, 10 Auflage. Hrsg. Gerok W, Huber CHR, Meinertz TH., Zeidler H 2000: 1165-1175
  • 2 Gröbner W, Walter-Sack I. Gichttherapeutika: Physiologische Grundlagen, Klinik und Pharmakologie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 1993
  • 3 Gröbner W, Zöllner N. Hyperurikämie.  Internist. 1995;  36 1207-1221
  • 4 Kelley W N, Wortmann R L. Gout and Hyperuricemia. Philadelphia, Saunders In: Textbook of Rheumatology, 5. Auflage, Eds. Kelley W. N, Harris E, Ruddy S, Sledge C 1997: 1313-1346
  • 5 Peichl P. Epidemiologie, Häufigkeit und geschlechtsspezifische Unterschiede der primären Gicht.  Wien Med Wochenschr. 1997;  147 370-372
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Literatur

  • 1 Gröbner W, Gross M, Zöllner N. Krankheiten durch Störungen des Purin- und Pyrimidinstoffwechsels. Schattauer-Verlag In: Die Innere Medizin, 10 Auflage. Hrsg. Gerok W, Huber CHR, Meinertz TH., Zeidler H 2000: 1165-1175
  • 2 Gröbner W, Walter-Sack I. Gichttherapeutika: Physiologische Grundlagen, Klinik und Pharmakologie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 1993
  • 3 Gröbner W, Zöllner N. Hyperurikämie.  Internist. 1995;  36 1207-1221
  • 4 Kelley W N, Wortmann R L. Gout and Hyperuricemia. Philadelphia, Saunders In: Textbook of Rheumatology, 5. Auflage, Eds. Kelley W. N, Harris E, Ruddy S, Sledge C 1997: 1313-1346
  • 5 Peichl P. Epidemiologie, Häufigkeit und geschlechtsspezifische Unterschiede der primären Gicht.  Wien Med Wochenschr. 1997;  147 370-372
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