Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(19): 577
DOI: 10.1055/s-2001-13810
Leserbriefe
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Felodipin bei hypertonen Patienten mit leichten Hirnleistungsstörungen

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Publication Date:
28 April 2004 (online)

Lehrl und Mitarbeiter [3] beschrieben, dass durch Felodipin im Vergleich zu der Kombination Hydrochlorothiazid/Amilorid die kognitive Leistungsfähigkeit älterer Patienten mit Hypertonie »in klinisch relevanter Weise« gesteigert wird. Dieser Effekt sei blutdruckunabhängig auf die verbesserte Mikrozirkulation durch den Kalziumantagonisten Felodipin zurückzuführen. Diese Aussage ist problematisch, da solche Effekte dann auch bei anderen Kalziumantagonisten auftreten müssten. Wir wissen aber aus der Arbeit von Maxwell und Mitarbeitern [4], dass kognitive Funktionen älterer Menschen (> 65 Jahre) im Verlauf von 5 Jahren durch Kalziumantagonisten im Vergleich zu anderen Antihypertensiva (Beta-Blocker, ACE-Hemmer, Diuretika) nicht verbessert werden. Durch Diltiazem oder Verapamil kommt es sogar zu einer deutlichen Verschlechterung (Odds Ratio [OR]: 3,72, 95 %-Konfidenzintervall 1,22-11,36) im Vergleich zu Beta-Blockern (OR = 1,00). Leider wurde diese Arbeit von Lehrl et al. übergangen. Das ist bedauerlich, da Maxwell und Mitarbeiter 205 Patienten über 5 Jahre beobachtet hatten, hingegen Lehrl und Mitarbeiter nur 60 Patienten über 12 Wochen. Wegen erkannter »Protokollverletzungen« betrug die definitive Zahl der ausgewerteten Patienten dann nur noch 31! Bei diesem Sachstand hätte auf eine Auswertung und Publikation a priori verzichtet werden müssen. Das ist nicht »Good Clinical Practice« und lässt sich meines Erachtens nur erklären, weil ein Koautor bei Aventis Pharma beschäftigt ist. Im Sinne von Emanuel und Mitarbeitern [1] ist dieses Vorgehen als unethisch zu charakterisieren.

Die Veröffentlichung derart zweifelhafter Daten ist auch deshalb gefährlich, weil Furberg in einer Meta-Analyse sehr guter Studien gezeigt hat, dass die Patienten durch die Applikation lang wirksamer Kalziumantagonisten gegenüber anderen Antihypertensiva einem deutlich erhöhten Risiko an kardiovaskulären Ereignissen ausgesetzt sind.

Wenig hilfreich ist in diesem Kontext auch das Editorial von Trenkwalder [5], der behauptet, dass in der SYST-EUR-Studie durch den Kalziumantagonisten Nitrendipin »das Auftreten einer Demenz gegenüber Plazebo signifikant um die Hälfte« reduziert wird. Das klingt zunächst gut. Wenn man sich die Originaldaten ansieht [2], wird man jedoch enttäuscht. Innerhalb von 2 Jahren erlitten unter Plazebo 21 von 2737 Patienten ( = 0,77 %) und unter Nitrendipin (protokollgerecht bisweilen kombiniert mit Hydrochlorothiazid und/oder Enalapril) 11 von 2885 Patienten eine Demenz. Das ist eine Ereignisreduktion von 0,39 %, die man natürlich irreführend, aber umsatzsteigernd auf 50 % aufblähen kann - vor allem wenn dann noch »vergessen« wird, »Risiko«-Reduktion zu schreiben. Die Industrie wird dankbar sein! Forette und Mitarbeiter [2] sind übrigens bei der definitiven Interpretation ihres Ergebnisses realistischer: »If 1000 hypertensive patients were treated with antihypertensive drugs for 5 years 19 cases of dementia might be prevented.« Von Kalziumantagonisten ist nicht die Rede! Sie sind bei der Behandlung des Bluthochdrucks auch ganz sicher nicht mehr die Mittel der ersten Wahl.

Literatur

  • 1 Emanuel E J, Wendler D, Grady C. What makes clinical research ethical?.  J Am med Ass. 2000;  283 2701-2711
  • 2 Forette F, Seux M L, Staessen J A. et al. on behalf of the Syst-Eur Investigators . Prevention of dementia in randomised double-blind placebo-controlled systolic hypertension in Europe (Syst-Eur).  Lancet. 1998;  352 1347-1351
  • 3 Lehrl S, Gräßel E, Eicke C. Wirkung von Felodipin bei hypertonen Patienten mit leichten Hirnleistungsstörungen in einer randomisierten Doppelblindstudie.  Dtsch med Wschr. 2000;  125 1350-1355
  • 4 Maxwell C J, Hogan D B, Ebly E M. Calcium-channel blockers and cognitive function in elderly people.  Can Med Ass J. 1999;  161 501-506
  • 5 Trenkwalder P. Kognitive Störungen und Demenz - neue Endorganschäden bei Hypertonie.  Dtsch Med Wschr. 2000;  125 1349

MR Prof. Dr. Frank P. Meyer

Institut für Klinische Pharmakologie Otto-von-Guericke-Universität

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