Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(19): 575-576
DOI: 10.1055/s-2001-13807-2
Leserbriefe
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Erwiderung

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Publication Date:
28 April 2004 (online)

Wir danken Kaboth und Trümper für ihre kritischen Kommentare zur Therapie der Polyzythämia vera (PV), die wesentliche Diskussionspunkte bei der Behandlung dieser Erkrankung ansprechen: 1. Primäreinsatz und Langzeittherapie mit Aderlässen bzw. Erythrozytapherese, 2. Stellenwert und mögliche Nebenwirkungen von Hydroxyurea und 3. die generelle Problematik bei der Durchführung von randomisierten Langzeitstudien bei der PV.

Zu 1.) Wie in unserer Übersicht [4] ausdrücklich hervorgehoben, stellt die Aderlasstherapie die primäre und in der Regel unverzichtbare Maßnahme zur raschen Absenkung des Hämatokrits bei der PV dar. Die alternativ einsetzbare isovolämische Erythrozytapherese erlaubt zwar eine schnellere Senkung des Hämatokrits [3], ihre Durchführung ist jedoch nur an dafür ausgestatteten Einrichtungen möglich, während die Aderlassbehandlung auch im Bereich der Praxis von niedergelassenen Ärzten ohne großen Aufwand durchgeführt werden kann. Kontrollierte Studien, die einen Vorteil der Erythrozytapherese gegenüber der Aderlasstherapie belegen, liegen weder für den Primäreinsatz noch für die Langzeittherapie vor.

Gegen eine alleinige Aderlasstherapie als Langzeittherapie der PV sprechen vor allem drei Gründe:

a) Eine alleinige Aderlasstherapie erwies sich in kontrollierten Studien bei einem großen Teil der Patienten mit PV als in der Praxis schwer umsetzbar. Bereits in der ersten Publikation der Polycythemia Vera Study Group (PVSG) im Jahre 1981 wurde beschrieben, dass die Rate an Protokollverletzungen in ihrer im Jahre 1967 begonnenen Studie unter Behandlung mit alleiniger Phlebotomie höher war als unter P32 und Chlorambucil. So wurden 47 von 134 (35 %) in den Phlebotomiearm randomisierte Patienten wegen Protokollverletzung oder Fehlen von Verlaufsdaten als nicht auswertbar eingestuft [2].

Längere Nachbeobachtungen von 13-26 Jahren nach Therapiebeginn wurden durch Najean et al. bei 104 französischen Patienten mit PV durchgeführt, die nach den Protokollen der PVSG mit alleiniger Phlebotomie behandelt worden waren. Die Auswertungen ergaben, dass nach 2 Jahren 27 %, nach 5 Jahren über 50 % und nach 9 Jahren etwa 90 % der ursprünglich in den Phlebotomiearm randomisierten Patienten nicht mehr mit dieser Therapie behandelt wurden. Gründe für einen frühzeitigen Ausschluss waren fortgeschrittenes Alter, Risiko für Gefäßerkrankungen, ausgeprägte Thrombozytose sowie Nachlässigkeit oder Ablehnung von Seiten des Patienten. Zusätzliche Gründe im weiteren Verlauf waren die Entwicklung einer Splenomegalie und der Übergang in die »spent phase« oder in eine Myelofibrose (OMF) [6] [9].

b) Die Langzeitresultate dieser Patienten weisen außerdem auf einen früheren und häufigeren Übergang in eine OMF unter alleiniger Aderlasstherapie im Vergleich zu zytoreduktiver Therapie (P32) hin [6] [9]. Dagegen konnte in einer britischen Studie ein eher verzögerter Übergang der PV in eine OMF beobachtet werden, wenn die Patienten zur Kontrolle der Thrombozytenzahl zusätzlich eine niedrig dosierte Chemotherapie mit Busulfan erhielten [5].

c) Der Einsatz einer zytoreduktiven Therapie reduzierte nach den Ergebnissen der PVSG auch die Rate an zum Teil tödlichen thromboembolischen Komplikationen in den ersten 3 Jahren nach Therapiebeginn, wobei sich möglicherweise eine bessere Kontrolle der Thrombozytenzahl im Vergleich zu alleiniger Phlebotomie günstig auswirkte [2].

Zu 2.) Trotz möglicher Hinweise aus der Literatur ist eine leukämogene Eigenschaft von dem in der Regel gut verträglichen und leicht applizierbaren Zytostatikum Hydroxyurea (HU) bisher weder bei der PV noch bei der essentiellen Thrombozythämie (ET) bewiesen. Daten, die zu der Annahme einer leukämogenen Wirkung führten, wurden ausschließlich an nicht randomisierten, möglicherweise selektierten Patientengruppen erhoben und bislang in keiner einzigen randomisierten Studie überprüft [4]. Auch bei den Ergebnissen, die in dem von Kaboth und Trümper zitierten Arzneimittelbrief angesprochen werden, handelt es sich um retrospektive Auswertungen bei Patienten mit ET [10]. In diesem Zusammenhang sollte hervorgehoben werden, dass außerhalb kontrollierter Studien bei PV und ET vor allem dann eine zytoreduktive Therapie mit HU eingesetzt wird, wenn eine verstärkte Myeloproliferation vorliegt. Dies kann zur Selektion solcher Patienten führen, die möglicherweise grundkrankheitsbedingt ein höheres Leukämierisiko haben als Patienten mit milden Verlaufsformen. Nach der derzeitigen Datenlage ist HU auch nach Ansicht international renommierter Experten weiterhin Standardtherapeutikum zur Kontrolle der gesteigerten Myeloproliferation bei PV-Patienten aller Altersgruppen [1]. Nach diesem Standard richtet sich auch die kürzlich begonnene Deutsche PV-Studie, wobei auch hier der Zeitpunkt des Einsatzes von HU durch das Ausmaß der Myeloproliferation bestimmt wird (Details im Studienprotokoll ersichtlich).

Zu 3.) Die lange Verlaufsdauer der PV erschwert die Durchführung randomisierter Studien und ermöglicht keine kurzfristige Einschätzung von Therapieergebnissen, wie am Beispiel der PVSG und der französischen Studien deutlich wird [2] [6,7,8,9]. So wurden grundlegende Ergebnisse für die Behandlung der PV von der PVSG erst 14 Jahre nach Studienbeginn und 8 Jahre nach Beendigung der Rekrutierungszeit publiziert [2]. Die in Nachfolge der PVSG in den randomisierten französischen Studien erhobenen Daten beruhen auf einer Beobachtungsdauer bis zu 17 Jahren [7] [8]. Auch zur Bewertung der derzeit in Deutschland bei der PV außerhalb klinischer Studien am meisten eingesetzten zytoreduktiven Therapieverfahren, HU und Interferon-α, die im Konzept der kürzlich begonnenen Deutschen PV-Studie verglichen werden sollen, sind deshalb naturgemäß lange Beobachtungszeiten erforderlich.

Literatur

  • 1 Barbui T, Finazzi G. The basis of current management strategies and future perspectives in polycythemia vera. In: Hematology 2000. American Society of Hematology. Education Program Book 61-66
  • 2 Berk P D, Goldberg J D, Silverstein M N, Weinfeld A, Donovan P B, Ellis J T, Landaw S A, Laszlo J, Najean Y, Pisciotta A V, Wasserman L R. Increased incidence of acute leukemia in polycythemia vera associated with chlorambucil therapy.  N Engl J Med. 1981;  304 441-447
  • 3 Kaboth U, Rumpf K W, Lipp T, Bigge J, Nauck M, Beyer J H, Seyde W, Kaboth W. Treatment of polycythemia vera by isovolemic large-volume erythrocytapheresis.  Klin Wochenschr. 1990;  68 18-25
  • 4 Lengfelder E, Hehlmann R. Polyzythämia vera. Aktueller Stand der Therapie.  Dtsch Med Wschr. 2000;  125 1243-1247
  • 5 Messinezy M, Pearson T C. Incidence of myelofibrosis following treatment of primary polycythaemia by venesection.  Br J Haematol. 1995;  89 228-229
  • 6 Najean Y, Dresch C, Rain J D. The very-long-term course of polycythemia: a complement to the previously published data of the polycythemia vera study group.  Br J Haematol. 1994;  86 233-235
  • 7 Najean Y, Rain J D. for the French Polycythemia Study Group . Treatment of polycythemia vera: Use of 32P alone or in combination with maintenance therapy using hydroxyurea in 461 patients greater than 65 years of age.  Blood. 1997;  89 2319-2327
  • 8 Najean Y, Rain J D. for the French Polycythemia Study Group . Treatment of polycythemia vera: the use of hydroxyurea and pipobroman in 292 patients under the age of 65 years.  Blood. 1997;  90 3370-3377
  • 9 Najean Y, Rain J D. The very long-term evolution of polycythemia vera: An analysis of 318 patients initially treated by phlebotomy or 32P between 1969 and 1981.  Semin Hematol. 1997;  34 6-16
  • 10 Sterkers Y, Preudhomme C, Lai J L, Caulier M T, Wattel E, Bordessoule D, Bauters F, Fenaux P. Acute myeloid leukemia and myelodysplastic syndromes following essential thrombocythemia treated with hydroxyurea: high proportion of cases with 17p deletion.  Blood. 1998;  91 616-622

PD Dr. Eva Lengfelder
Prof. Dr. Rüdiger Hehlmann

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