Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(7): 188-189
DOI: 10.1055/s-2001-11196
Kommentare
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Antibiotikatherapie bei Herzinfarkt?

W. Koenig
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
31. Dezember 2001 (online)

Die Erwartungen waren hoch. Mancher glaubte an eine ähnliche Revolution in der kardiovaskulären Medizin, wie sie in der Gastroenterologie nach der Entdeckung des Helicobacter pylori und der damit verbundenen antibiotischen Therapie des Ulcusleidens stattfand. Wie ist also der aktuelle Wissensstand zur Infektionshypothese der Atherosklerose?

Inflammatorische Veränderungen in der Gefäßwand spielen eine wesentliche Rolle in der Pathogenese der Atherothrombose [1] . Eine inflammatorische Reaktion lässt sich auch systemisch nachweisen durch erhöhte Plasmaspiegel bestimmter proinflammatorischer Zytokine und Adhäsionsmoleküle, sowie durch Akute-Phase-Proteine wie zum Beispiel das mittels hochsensitiver Assays bestimmte C-reaktive Protein. Für sämtliche dieser molekularen Marker konnte in prospektiven Studien bei initial gesunden Personen aber auch bei Patienten mit stabiler und instabiler Angina eine unabhängige Assoziation mit verschiedenen kardiovaskulären Endpunkten gezeigt werden [2]. Die Ursache dieser inflammatorischen Antwort im Rahmen der Atherosklerose und ihrer Komplikationen ist nur zum Teil durch die klassischen Risikofaktoren erklärt. Ein möglicher zusätzlicher Mechanismus könnte in der Induktion einer chronischen, geringgradigen Inflammation durch bakterielle Lipopolysaccharide bestehen [3].

Seit der ersten Arbeit von Saikku et al. 1988 zum Zusammenhang zwischen Chlamydia pneumoniae und der koronaren Herzkrankheit ist eine Vielzahl seroepidemiologischer Studien veröffentlicht worden, nicht nur zu Chlamydia pneumoniae, sondern auch zu Helicobacter pylori und verschiedenen viralen Erregern wie dem Cytomegalievirus und dem Herpes- simplex-Virus. Die zunächst veröffentlichten kleineren, meist unzureichend kontrollierten Querschnittsstudien zeigten einen starken Zusammenhang zwischen der Seropositivität bezüglich verschiedener Erreger und der Prävalenz eines Myokardinfarktes. Das Bild änderte sich jedoch, nachdem eine Reihe großer prospektiver Langzeitstudien veröffentlicht wurde. Für Helicobacter pylori liegen derzeit mindestens 6 Studien vor, die keinen signifikanten Zusammenhang zur KHK erkennen lassen, und für Chlamydia pneumoniae wurde unlängst eine Metaanalyse von 15 Studien publiziert, in der sich nur ein geringer, statistisch jedoch nicht signifikanter Zusammenhang zeigen ließ (relatives Risiko für einen Myokardinfarkt bei Vorliegen von Seropositivität 1,15, das heißt Erhöhung des Risikos um 15 %!) [4] . Das Fazit aus diesen methodisch sauberen Studien lautet daher, dass die Seropositivität weder für Helicobacter pylori noch für Chlamydia pneumoniae einen starken Risikofaktor für einen Myokardinfarkt darstellt. In einigen Studien war zudem kein Zusammenhang zwischen der Seropositivität bezüglich eines Erregers und einer Reihe systemischer Inflammationsmarker zu sehen [5] [6]; sodass ein durch infektiöse Erreger induzierter geringgradiger systemischer chronischer Entzündungsprozess wohl als Erklärung für ein erhöhtes koronares Risiko wenig wahrscheinlich ist. Auch für die Hypothese einer »infektiösen Last« (»infectious« oder »pathogen burden«), das heißt des Zusammenwirkens mehrerer Erreger auf das kardiovaskuläre Risiko, findet sich keine solide Datenbasis. Allerdings muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden, dass speziell die Diagnose einer Infektion mit Chlamydia pneumoniae methodisch problematisch ist und die Seropositivität möglicherweise keinen guten Marker darstellt. Im Gegensatz zu den mehrheitlich negativen epidemiologischen Langzeitstudien stehen Untersuchungen, die bei Identifizierung von Chlamydia pneumoniae in koronarem Plaquegewebe mittels unterschiedlicher Methoden ein ca. 20fach erhöhtes Risiko für ein akutes Koronarsyndrom zeigen konnten (Übersicht bei 4).

Chlamydia pneumoniae, immunhistochemisch nachgewiesen mittels Erreger-spezifischem OMP1-Protein, fand sich sowohl in Plaques von Patienten mit stabiler und instabiler Angina, war bei letzteren jedoch deutlich häufiger detektierbar, insbesondere in Plaquearealen mit verminderter Ausheilungstendenz bzw. mit Rupturneigung (84 % versus 30 %; p < 0,001) [7]. Ähnliche Ergebnisse zeigten sich, wenn Atheromgewebe auf das Vorhandensein von chlaymydialem Hitzeschockprotein 60 als spezifischem Marker eines chronisch-persistierenden infektiösen Prozesses untersucht wurde [8].

Allerdings sind alle diese Studien in ihrem Design retrospektiv und lassen deshalb die Schlussfolgerung einer kausalen Beteiligung von Chlamydia pneumoniae in der Pathogenese der koronaren Herzkrankheit nicht zu. Chlamydia pneumoniae könnte durchaus aber neben anderen Keimen beim akuten Koronarsyndrom eine Triggerfunktion besitzen. Dies wäre im Einklang mit der klinischen Erfahrung und einer Reihe größerer Studien, die zeigen, dass vor allem bronchopulmonale Infektionen innerhalb von 2 - 4 Wochen vor Auftreten eines akuten Koronarereignisses gehäuft vorkommen (9). Kompliziert wird die Sachlage noch durch die Publikation von drei Interventionsstudien mit Makrolidantibiotika bei Patienten mit manifester korornarer Herzkrankheit. Zwei von ihnen berichteten nach einem Beobachtungszeitraum von drei Monaten über eine Reduktion koronarer Ereignisse, die nach 6 Monaten letztlich aber nicht signifikant waren [4]. Das 2-Jahres-Ergebnis der dritten, etwas größeren Studie (n = 302) mit einer längeren Therapiedauer (3 Monate) wurde gerade publiziert und ist ebenfalls negativ (10). Allerdings waren alle Studien relativ klein, die Therapiedauer war bei zwei von ihnen kurz und die Zahl der Endpunkte war gering. Derzeit laufen mehrere größere Interventionsstudien mit mehreren tausend Patienten, deren Ergebnisse in den nächsten Jahren zu erwarten sind. Doch auch sie werden die Frage einer kausalen Beteiligung von Chlamydia pneumoniae in der Pathogenese der Atherothrombose wahrscheinlich nicht beantworten können. Alle Studien sind so von ihrer Größe so angelegt, dass sie in der Lage sind eine Risikoreduktion koronarer Ereignisse um minimal 25 % zu entdecken. Die Erhöhung des koronaren Risikos bei Seropositivität für Chlamydia pneumoniae aufgrund der unlängst publizierten prospektiven Studien liegt jedoch, wie oben bereits erwähnt, nur bei 15 %.

Als Fazit ergibt sich daher für die Praxis, dass es zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein wissenschaftlich begründbares Argument für eine Antibiotikatherapie zur Prävention der Atherosklerose und ihrer Komplikationen gibt. Akute, klinisch manifeste Infektionen bei Patienten mit einer koronaren Herzkrankheit sollten allerdings möglichst frühzeitig antibiotisch behandelt werden!

Literatur

  • 1 Ross R. Atherosclerosis - an inflammatory disease.  N Engl J Med. 1999;  340 115-121
  • 2 Danesh J, Whincup P, Walker M, Lennon L, Thomsen A, Appleby P, Gallimore R J, Pepys M B. Low grade inflammation and coronary disease: Prospective studies and updated meta-analyses.  BMJ. 2000;  321 199-204
  • 3 Libby P, Egan D, Skarlatos S. Roles of infectious agents in atherosclerosis and restenosis.  Circulation. 1997;  96 4095-4103
  • 4 Danesh J, Whincup P, Walker M, Lennon L, Thomsen A, Appleby P, Wong Y, Bernardes-Silva M, Ward M. Chlamydia pneumoniae IgG titres and coronary heart disease: prospective study and meta-analysis.  BMJ. 2000;  321 208-213
  • 5 Koenig W, Rothenbacher D, Hoffmeister A, Miller M, Bode G, Adler G, Hombach V, März W, Pepys M B, Brenner H. Infection with Helicobacter pylori is not a major independent risk factor for stable coronary heart disease. Lack of a role of cytotoxin-associated protein A-positive strains and absence of a systemic inflammatory response.  Circulation. 1999;  100 2326-2331
  • 6 Hoffmeister A, Rothenbacher D, Wanner P, Bode G, Persson K, Brenner H, Hombach V, Koenig W. Seropositivity to chlamydial lipopolysaccharide and Chlamydia pneumoniae, systemic inflammation and stable coronary artery disease.  J Am Coll Cardiol. 2000;  35 112-118
  • 7 Bauriedel G, Welsch U, Likunga J A, Welz A, Lüderitz B. Chlamydia pneumoniae in koronarem Plaquegewebe: Vermehrter Nachweis bei akutem Koronarsyndrom.  Dtsch med Wschr. 1999;  124 375-380
  • 8 Bauriedel G, Andrie R, Likunga J A, Welz A, Braun P, Welsch U, Lüderitz B. Persistenz von Chlamydia pneumoniae in koronarem Plaquegewebe. Ein Beitrag zur Infektions- und Immunhypothese bei instabiler Angina pectoris.   Dtsch med Wschr. 1999;  124 1408-1413
  • 9 Meier C R, Jick S S, Derby L E, Vasilakis C, Jick H. Acute respiratory tract infections and risk of first-time acute myocardial infarction.  Lancet. 1998;  351 1467-1471
  • 10 Muhlestein J B, Anderson J L, Carlquist J F, Salunkhe K, Horne B D, Pearson R R, Bunch T J, Allen A, Trchan S, Nielson C. Randomized secondary prevention trial of azithromycin in patients with coronary artery disease. Primary clinical results of the ACADEMIC study.  Circulation. 2000;  102 1755-1760

Korrespondenz

Prof. Dr. Wolfgang Koenig

Abteilung Innere Medizin II - Kardiologie Medizinische Universitätsklinik

Robert-Koch Straße 8

89081 Ulm

Telefon: 0731/502-4441

Fax: 0731/503-3872

eMail: wolfgang.koenig@medizin.uni-ulm.de

    >