Dtsch Med Wochenschr 2000; 125(50): 1547-1549
DOI: 10.1055/s-2000-9476
Medizingeschichte
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Arthur Schopenhauer - ein philosophischer Partner des Arztes?

Eine Erinnerung an seinen 140. TodestagK. Engelhardt
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Publikationsdatum:
31. Dezember 2000 (online)

Soll ein Arzt auf einen Philosophen hören? Ist Philosophie nicht ein Spezialfach? Schopenhauer sah sie nicht als eine Angelegenheit für Experten, für ihn behandelte sie Grund- und Lebensfragen, die jeden, nicht zuletzt den Arzt, angehen. Arthur Schopenhauer (22. Februar 1788 - 21. September 1860 ) wurde in Danzig als Sohn eines Großkaufmanns geboren, seine Mutter war die später berühmte Schriftstellerin Johanna Schopenhauer. Nach dem frühen Tod des Vaters brach er eine verhaßte Kaufmannslehre ab und erwarb die Gymnasialreife [10] . 1809-1813 studierte er in Göttingen und Berlin. Neben philosophischen und historischen hörte er auch medizinische Vorlesungen. Zwar habilitierte er sich 1820 in Berlin für Philosophie, las aber nur ein Semester, weil die Studenten nicht zu ihm, sondern zu Hegel (1770-1831) gingen. Schopenhauers Universitätslaufbahn scheiterte. 1831 floh er vor der Cholera, an der Hegel starb, von Berlin nach Frankfurt a. M., dort lebte er als Privatgelehrter und Junggeselle von seinem ererbten Vermögen. Schnellen Schritts sah man ihn bei jedem Wetter mit seinem Pudel durch die Stadt gehen.

Obwohl sein Hauptwerk, der erste Band von »Die Welt als Wille und Vorstellung«, bereits 1819 erschienen war, wurde seine Philosophie Jahrzehnte ignoriert. Als er seinem Verleger Brockhaus den zweiten Band anbot, schrieb er ihm am 7. Mai 1843: »Ich wollte, Sie kennten die wahre Litterärgeschichte: da würden Sie wissen, dass alle ächten Werke, alle die, welche nachher sich einer beständigen Dauer erfreut haben, am Anfange vernachlässigt dalagen« [15]. Schopenhauer war sensibel, leidenschaftlich, schnell empört und oft unduldsam. »Die Natur hat ein übriges gethan, mein Herz zu isolieren, indem sie es mit Argwohn, Reizbarkeit, Heftigkeit und Stolz in einem mit der mens aequa des Philosophen fast unvereinbaren Maaße bedachte« [19]. Früh kam es zum Zerwürfnis mit der Mutter. Johanna Schopenhauer schrieb am 13. Dezember 1807 aus Weimar an ihren Sohn: »Auch Dein Mißmut ist mir drückend und verstimmt meinen heitern Humor... Du bist nur auf Tage bei mir zum Besuch gewesen, und jedesmal gab es heftige Szenen um nichts« [20]. Schopenhauers Philosophie war auch als Mittel gedacht, wilde Affekte zu zähmen. Er lehrte die Macht des Triebes und des blinden Dranges, die er »Willen« nannte. Seine Praxisphilosophie wollte Herr werden über Gier, Verlangen und Unruhe, die zu Leiden führen [9]. »In meinem 17ten Jahre«, erinnerte sich Schopenhauer, »wurde ich vom Jammer des Lebens so ergriffen, wie Buddha in seiner Jugend, als er Krankheit, Alter, Schmerz und Tod erblickte« [18].

Literatur

  • 1 Bergdolt K. Leib und Seele. Eine Kulturgeschichte des gesunden Lebens. Beck, München 1999: 135, 301
  • 2 Buselmeier M. Literarischer Führer durch Heidelberg. Wunderhorn, Heidelberg 1996: 97
  • 3 Freud S. Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Ges. Werke. 11. Bd. Fischer, Frankfurt a. M. 1966: 143ff
  • 4 Freud S. Das Unbehagen in der Kultur. Ges. Werke, 14. Bd., S. 438, a. a. O.
  • 5 Freud S. Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Ges. Werke, 15. Bd., S. 110, a. a. O.
  • 6 Gontscharow I A. Oblomow. Winkler, München 1976: 230
  • 7 Hildesheimer W. Marbot. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1981: 140f
  • 8 Mann T. Buddenbrooks. Aufbau, Berlin 1965: 676f
  • 9 Mann T. Schopenhauer. In: Essays 1933-1938, hg. v. Kurzke H, Stachorski S Fischer, Frankfurt a. M. 1995: 253ff
  • 10 Safranski R. Schopenhauer und die wilden Jahre der Philosophie. Eine Biographie. Rowohlt, Reinbeck 1990
  • 11 Schopenhauer A. Die Welt als Wille und Vorstellung. 1. Bd. hg. v. Hübscher A Brockhaus, Wiebaden 1972: 290
  • 12 Schopenhauer A. Die Welt als Wille und Vorstellung. 2. Bd. hg. v. Hübscher A, S. 36, 174, 528ff., 691, a. a. O
  • 13 Schopenhauer A. Parerga und Paralipomena, 2. Bd. hg. von A. Hübscher S. 229, 233, 550, a. a. O.
  • 14 Schopenhauer A. Aphorismen zur Lebensweisheit. Kröner Stuttgart 1974: 3ff, 16f, 151
  • 15 Schopenhauer A. Gesammelte Briefe. hg von Hübscher A Bouvier, Bonn 1978: 99, 475, 479, 672
  • 16 Schopenhauer A. Der handschriftliche Nachlaß. hg. von Hübscher A. 1. Bd DTV, München 1985: 154
  • 17 Schopenhauer A. Der handschriftliche Nachlaß. hg. von Hübscher A. 3. Bd., S. 514, a. a. O.
  • 18 Schopenhauer A. Der handschriftliche Nachlaß. hg. von Hübscher A. 4/1. Bd., S. 96, 123 und 263, a. a. O.
  • 19 Schopenhauer A. Der handschriftliche Nachlaß. hg. von Hübscher A. 4/2. Bd., S. 120, a. a. O.
  • 20 Schopenhauer J. Im Wechsel der Zeiten, im Gedränge der Welt. Winkler, München 1986
  • 21 Schweitzer A. Kultur und Ethik. Beck, München 1960: 252ff
  • 22 Tolstoi L. Tagebücher. Winkler, München 1979

    Prof. Dr. med. Karlheinz Engelhardt

    Jaegerallee 7

    D-24159 Kiel

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