Dtsch Med Wochenschr 2016; 141(08): 558-560
DOI: 10.1055/s-0042-102971
Fachwissen
So wird's gemacht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Gelenkpunktion

How to do: joint puncture
Michael Renelt
1   Klinik für Rheumatologie, Rheumatologisches Kompetenzzentrum Nordwestdeutschland, Sendenhorst
,
Michael Hammer
1   Klinik für Rheumatologie, Rheumatologisches Kompetenzzentrum Nordwestdeutschland, Sendenhorst
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Prof. Dr. Michael Hammer
Klinik für Rheumatologie
Rheumatologisches Kompetenzzentrum Nordwestdeutschland
Westtor 7
48324 Sendenhorst
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Fax: +49 (2526) 300 - 1555

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Publication Date:
14 April 2016 (online)

 

Zusammenfassung

Die Gelenkpunktion ist ein wertvolles Verfahren auf dem Weg zu exakter Diagnose und effizienter Therapie. Zudem ist es komplikationsarm.


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Abstract

Arthrocentesis is a targeted way to an exact diagnosis and efficient therapy. The procedure is poor in complication.


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Mit einer Gelenkpunktion können unklare Ergüsse untersucht oder eine Infektion beurteilt werden. Die Methode dient aber nicht nur der Diagnose, sondern auch der Therapie von Gelenkerkrankungen. Bei richtiger Indikationsstellung ist die Punktion komplikations- und für den Patienten schmerzarm.

Diagnostik bei geschwollenem Gelenk | Eine Indikation für eine Gelenkpunktion ist die Synovia-Analyse (Leukozytenzahl mit Differenzialzellbild, Eiweißgehalt, LDH, Kristallanalyse, ggf. Kultur). Die Untersuchung der Gelenkflüssigkeit

  • erkennt die systemische oder lokale Natur eines Gelenkergusses,

  • misst die lokale Aktivität einer Systemerkrankung,

  • beweist eine Gelenkinfektion, inkl. mikrobielle Resistenzprüfung (ein negatives Ergebnis schließt sie nicht aus),

  • beweist eine Kristallarthropathie (ohne sie ausschließen zu können),

  • beweist einen Hämarthros.

Therapie | Weitere Indikationen sind:

  • Druckentlastung durch Erguss-Aspiration

  • Reduktion der synovialitischen Aktivität durch Injektion eines Medikaments (z. B. Kortison, Radionuklid)

Kontraindikationen

  • Hautläsion/ -infektion am Punktionsort (insuffiziente Desinfektion). Ausnahme: Hochgradiger V. a. Pyarthros

  • fehlendes Einverständnis des Patienten

Relative Kontraindikation

  • Gerinnungsstörungen / Antikoagulation: Eine vorhersehbare Muskelpenetration bei der Punktion (z. B. Schulter- und Hüftgelenke) erfordert eine Umstellung der oralen Antikoagulation auf Heparin.

  • Alle anderen Gelenkpunktionen können in der Regel auch bei Antikoagulation mit dünner Kanüle nach entsprechender Aufklärung (ggf. Hämatom, Hämarthros) erfolgen [4].

Verwendete Systeme | Kaliber und Länge der Punktionsnadel ( [ Tab. 1 ]) orientieren sich an der Gelenkgröße, dem umgebenden Weichteilmantel und der zu erwartenden Viskosität der Synovia. Die Größe der Spritze hängt von der erwarteten Aspirationsmenge vs. dem Injektionsvolumen ab. Bei der Wahl der Kanülenlänge ist die individuelle Patientenkonstitution (z. B. periartikuläre Pannikulose) zu berücksichtigen. Eine Erguss-Aspiration ist aus physikalischen Gründen erst ab einem Kanülenkaliber Gr. 12 möglich. Spritzenwechsel und Mehrfachpunktionen sollte man vermeiden.

Tab. 1 Gelenktyp und Kanülengröße

Gelenktyp

Kanülengrösse

Bezeichnung

Finger- / Zehenendgelenke

Zehenmittelgelenke

0,30 × 13 mm

Fingermittelgelenke

Daumensattelgelenke

Finger- / Zehengrundgelenke

Handgelenkkompartimente

0,45 × 25 mm

Gr. 18

Ellbogengelenke

Acromio- / Sternoclaviculargelenke

Oberes / unteres Sprunggelenk

Fußwurzel-/Mittelfußgelenke

0,70 × 30 mm

Gr. 12

Kniegelenke

0,90 × 40 mm

Gr. 1

Schultergelenke

Hüftgelenke

Sakroiliacalgelenke

0,90 × 70 mm

Behandlungsraum | Im Behandlungsraum müssen patientennahe Gegenstände und Flächen täglich gereinigt und desinfiziert werden. Nach Kontamination mit erregerhaltigem Material ist eine zusätzliche Desinfektion notwendig. Die Anforderungen an den Behandlungsraum orientieren sich an den Vorgaben des Robert-Koch-Instituts [1]. Es wird eine ausreichend große, freie Arbeitsfläche zur Herrichtung des Zubehörs benötigt. Diese muss leicht zu reinigen und zu desinfizieren sein und vor Umgebungskontamination geschützt werden. Während der Punktion ist die Anzahl der Personen im Raum auf das Notwendigste zu beschränken [1], [2]. [ Abb. 1 ] zeigt die Materialien, die für eine Gelenkpunktion benötigt werden.

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Abb. 1 Material für die Gelenkpunktion: (1) Schutzkittel, (2) Mundschutz, (3) Kanülen, (4) Medikament, (5) Lokalanästhetikum, (6) Spritzen, (7) Tupfer, (8) Pflaster, (9) Lochtuch, (10) Handschuhe, (11) Desinfektionsmittel

Patientenaufklärung | Vor der Punktion ist die ausführliche mündliche und schriftliche Information und Aufklärung des Patienten erforderlich. Informieren Sie den Patienten über Indikation, Erfolgschancen der Therapie, Alternativen, Ablauf, Risiken der Punktion und des zu injizierenden Präparats und über die Nachsorge.

Vorbereitung des Patienten | Legen Sie das Injektionsfeld so weit frei, dass es zu keiner Kontamination durch Kleidungsstücke kommen kann und Sie nicht behindert werden. Die Injektionsstelle und ihre Umgebung wird mit einem Hautantiseptikum (satte Benetzung erforderlich) im Sprüh- oder Wischverfahren behandelt.

Cave Störende Behaarung sollte nicht rasiert, sondern mit der Schere gekürzt werden.

Arzt und Assistenzpersonal | Von der Kleidung (insbesondere den Ärmeln) darf keine Infektionsgefahr ausgehen. Empfehlenswert sind täglich gewaschene Schutzkittel mit endständig durch Gummizug geschlossenen Ärmeln („Bündchenkittel“), auch wenn hierfür keine eindeutige wissenschaftliche Evidenz gegeben ist. Nach hygienischer Händedesinfektion sind sterile Handschuhe anzulegen. Gespräche sind auf das Notwendigste zu beschränken. Bei Gelenkpunktion mit Spritzenwechsel oder Atemwegsinfektionen sollten Sie eine Gesichtsmaske verwenden. Der Arzt punktiert nach Möglichkeit im Sitzen (Ausnahmen: Schulter-, Hüftgelenk).

Vorbereitung der Punktion / Injektion | Die sterilen Einmalkanülen, Einmalspritzen, verpackten Instrumente und Ampullen dürfen erst unmittelbar vor der Injektion geöffnet werden. Das Gummiseptum von Injektionsflaschen ist vor dem Einführen der Entnahmekanüle mit einem alkoholischen Mittel zu desinfizieren. Verwenden Sie für jede einzelne Gelenkpunktion eine neue sterile Spritze und Kanüle. Bei einem Wechsel oder Ablegen der Instrumente ist die sterile Abdeckung der Arbeitsfläche bzw. des Punktionsortes (z. B. durch ein Lochtuch) erforderlich. Für die Risikominimierung ultraschallgeführter Punktionen gelten ergänzende Empfehlungen [1], [2].

Sonografische Kontrolle | Machen Sie sich zunächst – nach differenzierter Anamnese – klinisch und bildoptisch (z. B. sonografisch) ein genaues Bild von der Beschaffenheit des Gelenks, der Lage, dem Volumen und der Viskosität des Gelenkergusses. Die Wahl des Punktionsorts ist abhängig von

  • Gelenkanatomie (z. B. Gefäß-, Nervenverlauf),

  • Hautbeschaffenheit und

  • Blutungsrisiko (z. B. Vermeidung von Muskelpenetration).

Die Gelenkpunktion können Sie klinisch orientiert oder bildgesteuert durchführen. Eine ruhige Sprache (optional leise Musik) trägt zu einer entspannten Atmosphäre bei.

Spritze befüllen | Abdecktuch, Punktionskanüle, sterile Tupfer und ein steriles Pflaster werden angereicht. Falls keine Fertigspritze (mit Medikament befüllt) verwendet wird, konnektiert der Arzt steril zweimal je eine Kanüle mit einer leeren Spritze. Die erste dient der Aspiration des Gelenkergusses. Die zweite wird steril mit dem zu injizierenden Medikament befüllt, indem dieses entweder durch das sterilisierte Gummiseptum einer Injektionsflasche oder sorgsam, ohne Berührung der Öffnungsränder, aus dem kurz zuvor vom Assistenzpersonal geöffneten Behältnis (z. B. Ampulle) aufgezogen wird.

Patientenlagerung | Im Bereich der oberen Extremitäten wird beim sitzenden Patienten punktiert. Das zu punktierende Ellbogen-, Hand- oder Fingergelenk ruht auf einem Behandlungstisch. Für die Intervention an den unteren Extremitäten befindet sich der Patient in bequemer Rückenlage, ausnahmsweise (z. B. Baker-Zyste) in Bauchlage.

Punktionsort finden | Den Punktionsort findet der Behandler durch Palpation des Gelenks in Orientierung an den für jedes Gelenk charakteristischen knöchernen Randkonturen. Gegebenenfalls hilft das Aufsuchen des Gelenkspalts durch passive Gelenkmobilisation, im Wissen um die jedem Gelenk eigene Gelenkkapselanatomie. Dabei sind grundsätzlich verschiedene Zugänge zum Gelenk möglich. Der gewählte Punktionsort wird mehrfach im Zeitintervall von mindestens 1 min (darf nicht unterschritten werden) desinfiziert.

Arthrosonografie | Die Arthrosonografie hat sich als Bestätigung der klinisch gestellten Indikation zur Gelenkpunktion und -injektion insbesondere bei mittleren und großen Gelenken bewährt. Sie hilft, den Punktionsort festzulegen – insbesondere bei „multikompartimentären“ Gelenken, wie dem Handgelenk (radiokarpal, interkarpal oder radioulnares Kompartiment) und dem Sprunggelenk (oberes und unteres Sprunggelenk, Talonavikulargelenk, etc.). Mit Eddingstift aufgetragene Hautmarkierungen („Fadenkreuz“) nach vorausgegangener Sonografie oder eine Durchleuchtung können als Orientierungshilfe dienen.

Bei Punktion des Hüftgelenks, der Sakroiliakal-, der Fußwurzel- und Mittelfußgelenke wird die Sonografie oder Durchleuchtung empfohlen, um den Punktionsort (meist der Gelenkspalt) korrekt zu erreichen.

Punktionsorte der verschiedenen Gelenke |

  • Die Grund-, Mittel-und Endgelenke der Finger und Zehen werden medial oder lateral vom distalwärts sitzenden Behandler punktiert, wobei die Kanüle mit einem Winkel von ca. 45 ° zur Finger- oder Zehenachse und mit Punktionsnadelschliff zum Gelenkspalt ausgerichtet ist ( [ Abb. 2 ]).

  • Die Handgelenkkompartimente werden streckseitig erreicht, z. B. radiocarpal durch Kanülenspitzenkontakt mit dem Os lunatum unmittelbar distal des Radiusendes, z. B. radioulnar durch Kontakt mit der radialen Hälfte des Caput ulnae.

  • Die Punktion des Ellbogengelenks erfolgt lateral zwischen dem Olecranon und dem Epikondylus humeri lateralis.

  • Das Schultergelenk wird dorsal nach Penetration des M. infraspinatus im Kanülenspitzenkontakt mit dem Humeruskopf, das Hüftgelenk ventral (ohne Kollisionsgefahr mit dem weiter medial gelegenen Gefäß- / Nervenstrang) am Übergang Femurfkopf/-hals erreicht.

  • Der Rezessus suprapatellaris des Kniegelenks wird von lateral in Höhe und im Mittel 2–3 cm dorsal des oberen Patellapols punktiert.

  • Punktionsziel am oberen Sprunggelenk ist die Talusrolle ventrolateral, die distal der Tibiakante und unmittelbar ventral des Außenknöchels erreicht wird (Cave: atypische Lage der A. dorsalis pedis ist durch Palpation auszuschliessen). Der Gelenkspalt des unteren Sprunggelenkes sollte lateral (je 1 cm kaudal und ventral der distalen Fibulaspitze) aufgesucht werden.

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Abb. 2 Punktion des Fingermittelgelenks.

Lokalanästhesie| Eine Lokalanästhesie ist die Ausnahme (z. B. bei ängstlichen Patienten). Bei zu erwartenden schwierigen Punktionsbedingungen kann man das Gelenkkavum mit einem Lokalanästhetikum aufsuchen. Ist die Punktionskanüle mit der Spitze respektive der Kanülenöffnung komplett im Gelenkkavum, lässt sich das Lokalanästhetikum ohne großen Widerstand am Spritzenkolben injizieren.

Punktion | Um den Patienten abzulenken, bitten Sie ihn, tief zu inspirieren. Währenddessen führen Sie die Punktionsnadel bis zum intraartikulären Knorpel- / Knochenkontakt ein, bzw. bis sich Gelenkerguss aspirieren lässt (bei mittleren und größeren Gelenken). Der Patient wird dann sofort zum Weiteratmen aufgefordert. Nach Aspiration und vollständiger Ergussentleerung (falls nötig durch wiederholten Spritzenwechsel bei in situ liegender Kanüle) wird das Medikament injziert. Hoher Injektionswiderstand oder eine lokale Schwellung am Punktionsort erfordern umgehend eine Korrektur der Nadelspitzenposition (z. B. durch Zurückziehen der Kanüle).

Nach der Injektion | Unmittelbar nach Entfernen der Punktionsnadel wird der Punktionsort mit einem sterilen Tupfer komprimiert und mit einem sterilen Pflaster oder Wundschnellverband (zum Verbleib für 12 Stunden) abgedeckt. Die alleinige Gelenkpunktion erfordert keine nachfolgende Gelenkentlastung. Je nach injiziertem Medikament, z. B. nach Glukokortikoid-Injektion, sollte das punktierte Gelenk mindestens 24 Stunden physisch entlastet werden, um das Abfluten der Wirksubstanz ins Kreislaufsystem zu mindern. Das heißt der Patient sollte nach Behandlung der unteren Extremitäten nicht mehr gehen.

Komplikationen | Werden Kontraindikationen und Sterilitätsauflagen berücksichtigt, ist das Komplikationsrisiko sehr gering. Eine Gelenkinfektion als die bedeutendste Komplikation tritt extrem selten auf (1:20 000–50 000) [2], [3]. Auch das klinisch relevante Blutungsrisiko ist unerheblich und beträgt 1:500 selbst unter Antikoagulation (INR > 2.0) mit Phenprocoumon [4]. Unverträglichkeiten der injizierten Substanz bedürfen gesonderter Betrachtung.

Konsequenz für Klinik und Praxis
  • Die Gelenkpunktion ist diagnostisch und therapeutisch hocheffizient.

  • Man braucht exakte Kenntnisse der Gelenkanatomie, um den richtigen Punktionsort zu finden.

  • Die Arthrosonografie liefert wichtige Informationen für die Indikationsstellung und das Vorgehen bei der Gelenkpunktion.

  • Die Methode ist komplikationsarm.


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Dr. med. Michael Renelt

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ist Oberarzt am Rheumatologischen Kompetenzzentrum Nordwestdeutschland in Sendenhorst.
renelt@st-josef-stift.de

Prof. Dr. med. Michael Hammer

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ist Chefarzt am Rheumatologischen Kompetenzzentrum Nordwestdeutschland in Sendenhorst.
hammer.muenster@t-online.de

Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenz

Prof. Dr. Michael Hammer
Klinik für Rheumatologie
Rheumatologisches Kompetenzzentrum Nordwestdeutschland
Westtor 7
48324 Sendenhorst
Phone: +49 (2526) 300 - 1540   
Fax: +49 (2526) 300 - 1555


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Abb. 1 Material für die Gelenkpunktion: (1) Schutzkittel, (2) Mundschutz, (3) Kanülen, (4) Medikament, (5) Lokalanästhetikum, (6) Spritzen, (7) Tupfer, (8) Pflaster, (9) Lochtuch, (10) Handschuhe, (11) Desinfektionsmittel
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Abb. 2 Punktion des Fingermittelgelenks.