Dtsch Med Wochenschr 2014; 139(39): 1921-1922
DOI: 10.1055/s-0034-1387251
Editorial
Kardiologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Design von klinischen Studien – Neue Ansätze jenseits von randomisierten Untersuchungen

Design of clinical studies: new approaches beyond randomised investigations
C. A. Nienaber
1   Universitätsmedizin Rostock, Herzzentrum, Med. Klinik I – Kardiologie
,
S. Willems
2   Klinik für Kardiologie mit Schwerpunkt Elektrophysiologie, Universitäres Herzzentrum, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
,
E. Erdmann
3   em. Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie, Pneumologie und Internistische Intensivmedizin Herzzentrum der Universität zu Köln
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
16. September 2014 (online)

Das aktuelle Schwerpunktheft der DMW gibt uns die Möglichkeit, fokussiert zur Problematik von klinischen Studien und deren Design Stellung zu beziehen. Klassische randomisierte kontrollierte Studien (RCT) haben den relevantesten Stellenwert und bilden die Grundlage unserer mit wissenschaftlichen Methoden gewonnenen medizinischen Erkenntnisse. Dennoch sind RCT mit einer Reihe von Nachteilen behaftet. Ihre Organisation und Durchführung ist extrem aufwendig und teuer, und außerdem bilden sie aufgrund ihrer definierten Einschlusskriterien nur ein hoch selektioniertes Patientenkollektiv ab.

Damit gelten die Erkenntnisse häufig nur für Bedingungen, die mehr oder weniger künstlich sind und nicht der klinischen Realität entsprechen. Die Bedingungen innerhalb einer RCT gelten daher nur für wenige Patienten; in der Regel können zwischen 10 und 20 % der gescreenten Patienten tatsächlich zur Randomisierung zugelassen werden. Dennoch werden Studien mit randomisiertem kontrollierten Design hinsichtlich ihrer wissenschaftlich fundierten Ergebnisse hoch bewertet und sind damit relevant für Leitlinien. Und dies, obwohl sie nur einen Bruchteil der in Frage kommenden Patienten aufgrund der gegebenen und definierten Einschlusskriterien erfassen können. Auch können technische Verbesserungen aufgrund des häufig langen Rekrutierungszeitraumes eines RCT nicht berücksichtigt werden; die publizierten Ergebnisse bilden dann eine technologische Vergangenheit ab.

Wesentlicher Kritikpunkt ist aber die Superselektion von Patienten und die nicht zwingend repräsentative Sachlage, um ein wichtiges klinisches Problem zeitnah zu adressieren [3] [11] [12] [13]. Weiterhin können bei bereits klinisch eingeführten und allgemein akzeptierten symptomatischen Therapien die grundsätzlich notwendigen klinischen randomisierten Studien auf ethische und praktische Limitationen stoßen.

Beispiele hierfür sind die Katheterablation bei Vorhofflimmern und das Stenting bei Aortendissektion Typ B. Bei beiden Krankheitsbildern war in bisherigen RCT im Vergleich zur medikamentösen Therapie die „crossover rate“ zur interventionellen Therapie sehr hoch [10] [11]. Im Rahmen laufender bzw. geplanter RCT mit der Frage nach prognostischen Vorteilen (z.B. CABANA oder INTACT-AD) wird es zunehmend schwieriger werden, überhaupt genug Patienten für eine klassische Randomisierung zu gewinnen.

Eine Alternative zu den RCT und eine zunehmend beliebte kostengünstige Methode sind Register – auf nationaler und internationaler Ebene. Sie können die medizinische Realität in der Klinik bei neuen Therapieformen abbilden, erfassen große Populationen häufig lückenlos und reflektieren damit die Realität besser. Andererseits sind Register nicht geeignet, die präklinische Phase vor Einführung einer Methode oder eines Medikamentes zu beleuchten, in der neue Strategien getestet werden. Sobald eine Methode oder Strategie etabliert oder auch nur zugelassen ist, sind organisierte Register gut geeignet, frühzeitig eine repräsentative Analyse nach Markteinführung bei unselektiertem Patientenkollektiv zu liefern, das Verhalten gegenüber neuen Methoden abzubilden und bei kontrollierter Datenqualität eines Registers auch relevante wissenschaftliche Erkenntnisse zu liefern. Kritiker billigen allerdings auch qualitativ hochwertigen Registern nur einen Erkenntnisgewinn zu, der bestenfalls geeignet ist, neue Hypothesen zu generieren, die danach in RCT überprüft werden sollten.

Ein wesentlicher Vorteil von Registern ist, dass sie die Realität im klinischen Alltag abbilden und im Unterschied zu einer RCT kaum Patienten ausschließen. Auch seltene Erkrankungen können in relevanter Qualität erfasst und nachverfolgt werden. Es ist damit eine realitätsnahe Darstellung einer Methode oder einer Therapie möglich, was ein wesentlicher Vorteil gegenüber den künstlichen Bedingungen eines RCT ist [6] [7].

Allerdings werden Register im Vergleich zu RCT aufgrund ihrer fehlenden Randomisierung für einen statistisch validen Vergleich zu etablierten Methoden (Kontrollgruppe) wissenschaftlich nicht hoch bewertet; damit können sie nicht vergleichbar relevant sein für Empfehlungen in Leitlinien. Grundsätzlich kann der Verdacht, dass im Einzelfall therapeutische Zwischenfälle für ein Register nicht gemeldet wurden, nicht immer ausgeschlossen werden.

Eine gewisse Synthese von RCT und Registern mit gesteigertem Erkenntnisgewinn ist das Konstrukt von RCT mit sogenannten „nested registries“ neben randomisierten Armen. Dies erlaubt es, weitgehend alle Patienten zu erfassen, die generell für einen randomisierten Vergleich in Frage kommen, sich aber aufgrund des rigiden Randomisierungsprotokolls nicht in eine RCT einschließen lassen. Mit den „nested registries“ gelingt es, eine reale Abbildung neuer Verfahren und deren Akzeptanz zu liefern und in der Regel alle Patienten, die grundsätzlich in Frage kommen, zu erfassen und zu verfolgen – selbst wenn sie nicht in die hochselektionierten randomisierten Studienarme eingeschlossen werden können. Eine Reihe aktueller weltweit wichtiger Studien in der Kardiologie wurden mit diesem Konzept erstellt, u. a. SYNTAX und FREEDOM [7] [14].

Eine moderne Variante dieses Studiendesigns sind randomisierte Register. Sie sind nur in gewissen Gesundheitssystemen möglich, in denen eine Dokumentation von neuen Therapieformen und des Outcomes obligat erfolgt (z. B. Mortalität) [4] [5]. Dies ist in Schweden und in einigen skandinavischen Ländern möglich, aber nicht in Mitteleuropa, Deutschland oder in den USA aufgrund unterschiedlicher Regelungen von Dokumentationspflicht, Datenanonymität und ärztlichem Geheimnis. Der Vorteil randomisierter Registerstudien ist die Erfassung großer Populationen mit dem Anspruch an eine Randomisierung, womit relativ kostengünstig bei vorhandener Dokumentationskultur qualitativ hochwertige Datensätze geschaffen werden. Ein gewisser Nachteil ist die Tatsache, dass nur eindeutige, harte Endpunkte verglichen werden können, die sicher und einfach zu ermitteln sind, wie zum Beispiel Gesamtmortalität.

Ein typisches Beispiel dafür ist die TAPAS-Studie. Sie relativierte und neutralisierte an einem großen repräsentativen Patientenkollektiv den Nutzen der Thrombusaspiration bei Herzinfarkt, obwohl in vorangegangenen randomisierten Untersuchungen ein Vorteil nachgewiesen wurde [1] [5] [14] [17] [18].

Eine quasi ideale Form und Weiterentwicklung dieser randomisierten Registerstudien ist ein neuartiges Studiendesign: Neben den klassischen randomisierten Armen fungiert ein „best medical arm“ als weiteres Vergleichskollektiv [14]. Der Anspruch eines randomisierten Studiendesigns wird so erfüllt und die klinische Realität abgebildet. Dieses Konzept erlaubt es, neben den Testgruppen im Rahmen des randomisierten Designs eine empirisch optimal behandelte Gruppe mitzuführen, was unter anderem auch dafür sorgt, dass nur wenig Patienten des in Frage kommenden Patientenkollektivs ausgeschlossen werden müssen und nahezu alle Patienten in einem „Studienprotokoll“ bleiben. Auf diese Art und Weise wird neben qualitativ hochwertiger Datenakquise in den randomisierten Armen ein Abbild der Realität auf der Basis von empirischen Erkenntnissen geliefert, was erhebliche Konsequenzen für die Dateninterpretation hat; der beste empirische Standard kann so unter Umständen mit zwei Studienarmen verglichen werden und durchaus erfolgreich abschneiden [8] [15]. Wesentlicher Vorteil ist, dass nur wenig Patienten von der wissenschaftlichen Analyse ausgeschlossen werden, ein großes Patientenkollektiv im Rahmen der konzipierten Studie erfasst wird und sogar ein empirischer „best medical treatment arm“ mitgeführt wird, der nach der gegenwärtigen medizinischen Qualitätsauffassung behandelt wird.

Ein Beispiel für dieses moderne, vielleicht derzeit optimale Konzept, ist die PROCESS-Studie. Hier wurde in einer randomisierten Untersuchung ein neues Therapiekonzept bei Sepsis mit einem empirisch behandelten Kollektiv verglichen [8] [15]. Auch wenn die Ergebnisse teilweise ernüchternd und die neuen Therapiekonzepte gegenüber empirischen Erkenntnissen nicht besser sind, darf bei PROCESS von einer randomisierten Studie mit entsprechend validem Ansatz die Rede sein. Die Erkenntnisse werden sicherlich den Weg in Leitlinien finden. Mit diesem neuartigen Design einer klinischen Studie wird unter dem heutigen Kostendruck dennoch ermöglicht, einen großen Anteil der in Frage kommenden Patienten in einer Studie abzubilden und eine repräsentative Qualität der Daten zu sichern. Wesentlich ist der kostengünstige Einschluss großer Patientenzahlen. Eine Qualität, die im klassischen randomisierten und kontrollierten Studiendesign kaum zu gewährleisten ist.

In der Summe wurden mit den geschilderten innovativen Konzepten für groß angelegte klinische Studien neue Möglichkeiten eröffnet, um die Vorteile einer Randomisierung zu konservieren und um ein repräsentatives großes Patientenkollektiv zeitnah abzubilden und zu vergleichen, im Unterschied zur strengen Auswahl von Patienten bei RCT [9]. Ferner können auf diese Weise die klinische Realität besser abgebildet und empirische Erkenntnisse wissenschaftlich aufgewertet werden [1] [8] [15]. Wahrscheinlich ist dieser neuartige Ansatz valider als der Versuch, mit Metaanalysen von mehreren RCT, [16] die ihrerseits unter völlig verschiedenen Bedingungen durchgeführt werden, zu einem Erkenntnisgewinn zu kommen.

 
  • Literatur

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  • 3 Farkouh ME, Domanski M, Sleeper LA et al. Strategies for multivessel revascularization in patients with diabetes. N Engl J Med 2012; 367: 2375-2384
  • 4 Fröbert O, Lagerqvist B, Gudnason T et al. Thrombus Aspiration in ST-Elevation myocardial infarction in Scandinavia (TASTE trial). A multicenter, prospective, randomized, controlled clinical registry trial based on the Swedish angiography and angioplasty registry (SCAAR) platform. Study design and rationale. Am Heart J 2010; 160: 1042-1048
  • 5 Fröbert O, Lagerquist B, Olivecrona GK et al. Thrombus Aspiration during ST-Segment Elevation Myocardial Infarction. N Engl J Med 2013; 369: 1587-1597
  • 6 Hagan PG, Nienaber CA, Isselbacher EM et al. The International Registry of Acute Aortic Dissection (IRAD): new insights into an old disease. JAMA 2000; 283: 897-903
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  • 8 Lilly CM. The ProCESS Trial – A New Era of Sepsis Management. N Engl J Med 2014; 370: 1750-1751
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  • 10 Nienaber CA, Rousseau H, Eggebrecht H et al. Randomized comparison of strategies for type B aortic dissection: the INvestigation in STEnt graft aortic dissection (INSTEAD) trial. Circulation 2009; 120: 2519-2528
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  • 12 Sacco RL, Diener HC, Yusuf S et al. Aspirin and Extended-Released Dipyridamole versus Clopidogrel for Recurrent Stroke. N Engl J Med 2008; 359: 1238-1251
  • 13 Serruys PW, Morice MC, Kappetein AP et al. Percutaneous coronary intervention versus coronary-artery bypass grafting for severe coronary artery disease. N Engl J Med 2009; 360: 961-972
  • 14 Svilaas T, Vlaar PJ, van der Horst IC et al. Thrombus aspiration during primary percutaneous coronary intervention. N Engl J Med 2008; 358: 557-567
  • 15 The ProCESS Investigators. A Randomized Trial of Protocol-Based Care for Early Septic Shock. N Engl J Med 2014; 370: 1683-1693
  • 16 Verma S, Farkouh ME, Yanagawa B et al. Comparison of coronary artery bypass surgery and percutaneous coronary intervention in patients with diabetes. Lancet Diabetes Endocrinol 2013; 1: 317-328
  • 17 Vlaar PJ, Svilaas T, van der Horst IC et al. Cardiac death and reinfarction after 1 year in the Thrombus Aspiration during Percutaneous coronary intervention in Acute myocardial infarction Study (TAPAS). Lancet 2008; 371: 1915-1920
  • 18 Waksman R. The Conundrum of Thrombus Aspiration: The TAPAS TASTE Sour. Cardiov Revasc Med 2013; 14: 305-306