Dtsch Med Wochenschr 2013; 138(21): 1095
DOI: 10.1055/s-0033-1343154
Editorial
Gastroenterologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Obere gastrointestinale Blutungen außerhalb der regulären Dienstzeiten: Was bringen prognostische Scores?

Acute upper gastrointestinal bleeding outside regular working hours: Do prognostic scores make sense?
J. Mössner
1   Department für Innere Medizin, Neurologie und Dermatologie, Klinik und Poliklinik für Gastroenterologie und Rheumatologie, Universitätsklinikum Leipzig AöR
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Publication Date:
15 May 2013 (online)

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Giese et al. gehen in der Originalarbeit dieser DMW Ausgabe [2] der Frage nach, ob eine Vorhersage des klinischen Verlaufs bei Verdacht auf eine obere gastrointestinale Blutung anhand vor der Notfallendoskopie erhobener Parameter möglich ist. Es handelt sich um eine retrospektive Erhebung an Patienten, die außerhalb der regulären Dienstzeiten notfallmäßig endoskopiert wurden. Die Autoren analysierten 112 Fälle und fanden für den Blatchford-Score, den klinischen Rockall-Score und den Adamopoulos-Score eine Sensitivität von 100/97,7/93 % bezüglich der Vorhersage der Notwendigkeit einer klinischen Intervention, d.h. endoskopische Intervention, Operation oder Bluttransfusion. Der Blatchford-Score hatte auch eine etwas höhere Sensitivität bezüglich der Vorhersage einer Rezidivblutung und der Letalität.

Die Klärung der Frage, wie gefährdet ein Patient mit einer oberen gastrointestinalen Blutung noch unklarer Genese ist und wie rasch daher auch eine Notfallendoskopie durchgeführt werden muss, hat gerade außerhalb der regulären „Dienstzeiten“ aufgrund limitierter Zahlen ärztlicher und pflegerischer Präsenz und auch geringerer klinischer Kompetenz bezüglich des Vorgehens bei Blutung eine besondere Relevanz. Die Anwendung eines prä-endoskopischen Scoring-Systems mag daher sinnvoll sein. Dieses Thema wurde auch in anderen prospektiven, meist Multicenter-Studien unter Verwendung weiterer Scores und auch größerer Fallzahlen behandelt [1] [3] [4] [5] [6] [7] [8]. Interessanter Gesichtspunkt dieser Arbeit ist die Fokussierung auf das Vorgehen außerhalb der regulären „Dienstzeiten“. Es wäre interessant, in einer prospektiven Studie mit höherer Patientenzahl zu evaluieren, ob die Anwendung eines Scores außerhalb der Dienstzeiten wirklich das Risiko, an einer oberen gastrointestinalen Blutung zu sterben, senkt oder Ressourcen einspart, da der Endoskopie-Notdienst bei niedrigen Score-Punkten nicht angefordert wird. Ändert sich das ärztliche Procedere bei Anwendung eines Scores, d.h. lässt man sich bis zur Endoskopie bei geringerem Risiko mehr Zeit, werden keine Blutkonserven gekreuzt oder entscheidet der erfahrene Arzt doch primär anhand der Klinik (Hämatemesis, Meläna, Schockindex, Anämie, Hb-Abfall), ohne einen tabellarischen Score zu bemühen?

In dieser Studie wurden alle Patienten endoskopiert. Die Autoren bleiben die Antwort schuldig, ob die 16 (14,5 %) Todesfälle auftraten, weil zu spät adäquate Maßnahmen – wie Endoskopie oder Gabe von Erythrozytenkonzentraten – durchgeführt wurden. Wurde bei den Patienten, die aufgrund der gastrointestinalen Blutung operiert werden mussten, eine interventionell radiologische Blutstillung vorher versucht? Die Autoren empfehlen die Anwendung eines Scores, da außerhalb der normalen Dienstzeit der erfahrene Endoskopiker vielleicht nicht anwesend ist. Sollte in der klinischen Praxis in einem Land mit hohem Niveau der medizinischen Versorgung eine Endoskopie erst am nächsten Morgen durchgeführt werden, weil der Score in Sicherheit wiegt?

Zusammenfassend zeigt diese interessante, leider nur retrospektive Analyse, dass die Anwendung des Blatchford-Scores doch bezüglich der Geschwindigkeit der einzuleitenden Maßnahmen eine gewisse Sicherheit gibt. Eine retrospektive Analyse an relativ kleiner Fallzahl erlaubt aber aus meiner Sicht nicht, den an vielen Zentren als Standard verwendeten Rockall-Score abzulehnen. Eine prospektive Multicenter-Studie sollte vielleicht zur Klärung der von mir aufgeworfenen Fragen durchgeführt werden.