Klin Monbl Augenheilkd 2012; 229(3): 213-214
DOI: 10.1055/s-0031-1299344
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Augenerkrankungen und Genetik – Bedeutung der molekularen Diagnostik und Forschung

Eye Diseases and Genetics – Relevance of Molecular Diagnostics and Research
G. Rudolph
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Publication Date:
02 March 2012 (online)

Genetisch oder auch familiär bedingte Augenerkrankungen wurden schon seit langer Zeit als solche erkannt, konnten aber aufgrund mangelnder Analysemethoden nicht hinreichend zugeordnet werden. Einer der ersten Erkrankungen mit hereditärem Hintergrund sind die x-chromosomalen Farbsinnstörungen, welche im angelsächsischen Raum mit dem Begriff Daltonismus bezeichnet werden. Ein Bericht des englischen Physikers John Dalton aus dem Jahre 1798 beschreibt die Symptomatik der Farbsinnstörung bei Dalton selbst, wie auch bei seinem Bruder. Dalton stellte post mortem seine Augen für wissenschaftliche Untersuchungen zur Verfügung und der Arbeitsgruppe von Nathans et al. gelang es vor wenigen Jahren, den Nachweis zu erbringen, dass es sich molekulargenetisch um eine Deuteranopie handelte. Genetisch bedingte Augenerkrankungen zählen in der Mehrzahl der Diagnosen zu den sogenannten seltenen Erkrankungen, wenngleich es inzwischen als gesichert gilt, dass auch epidemiologisch bedeutende Augenerkrankungen, wie z. B. die altersbedingte Makuladegeneration, ursächlich eine wesentliche genetische Komponente aufweisen und über eine gestörte genetisch bedingte Immunmodulation die Manifestation der Erkrankung wesentlich beeinflusst wird.

Der Katalog der monogenen, mendelischen, also erblichen Veränderungen umfasst mehrere tausend Erkrankungen im Gesamtspektrum der Medizin (www.ncbi.nlm.nih.gov./omim). Bis dato sind allein mehr als 180 verschiedene Gene identifiziert, welche bei Mutationen zu definierten Krankheitsbildern der Netzhaut führen. Das Auge, als Mikrokosmos des Körpers, eignet sich in besonderer Weise für die genetische Forschung, da es teilweise unmittelbar die Zuordnung zu Phänotypen erlaubt, andererseits ein eigenes abgeschlossenes Kompartiment darstellt, mit der Möglichkeit gentherapeutischer Interventionen. Dennoch ist die Phänotyp/Genotyp-Korrelation nicht immer schlüssig und Faktoren der inter- und intrafamiliären variablen Expressivität noch nicht hinreichend geklärt. Der Faktor der Heterogenität, also der Tatsache, dass Mutationen in unterschiedlichen Genen in einem ähnlichen Phänotyp resultieren, erschwerte bisher die Diagnostik erheblich. Der Einfluss übergeordneter Regulatorgene (homeobox genes) wie SOX2, OTX2 und PAX6 werden zum Teil verstanden und erklären Krankheitsbilder im Rahmen der Vorderabschnitts-Dysgenesien, wie auch Kolobome, Aniridie, Mikrophthalmus oder Anophthalmus. Übergeordnete Regulatorgene sind phylogenetisch betrachtet hoch konservierte Gene und daher nicht nur beim Menschen, sondern über einen weiten Bereich des Tierreichs erhalten. Es kann daher im Mausmodell geforscht und teils gezielt die Genexpression gesteuert werden, sodass die Funktion des Gens, respektive Genprodukts, in bestimmten Entwicklungsstufen dargestellt werden kann. Die Erkenntnis, dass Stammzellen in verschiedenen Gewebestrukturen auch beim erwachsenen Menschen gefunden werden, öffnet Ausblicke für therapeutische Ansätze, da in diesen Stammzellen PAX6 und SOX2 exprimiert werden. SOX2-exprimierende Müller-Zellen und PAX6-Expression im Ziliarzellenbereich lassen die Hoffnung aufkommen, dass hier erneutes Zellwachstum auch im neuroretinalen Gewebe stimuliert werden kann.

Das Auge scheint aufgrund seiner abgeschlossenen Struktur und seines Immunprivilegs im besonderen Maße Voraussetzung für gentherapeutische Behandlungen oder auch für eine Stammzelltherapie darzustellen. Zunehmende Erkenntnisse über zugrunde liegende molekulare Mechanismen retinaler Dystrophien und die Entwicklung von Methoden zum Gentransfer mittels adenoassoziierter Viren sind Voraussetzungen für effektive gentherapeutische Vorgehensweisen. Marius Ueffing, Karsten Boldt und Mitarbeitern vom Forschungsinstitut für Augenheilkunde der Universität Tübingen ist es gelungen, für eine Form der Leber‘schen kongenitalen Amaurose (LCA5) die zugrunde liegenden molekularen und zellphysiologischen Mechanismen zu entschlüsseln. Erste Versuche an Kliniken in London und Philadelphia zur Gentherapie bei der Leber‘schen kongenitalen Amaurose (LCA/RPE65) sind bereits im Gange, für 9 der 16 bekannten Formen von LCA sind die wissenschaftlichen Vorarbeiten für eine Gentherapie inzwischen weit fortgeschritten. Weitere Erkrankungen mit möglichen therapeutischen Optionen stellen Formen der Retinitis pigmentosa, der x-chromosomalen Form der RP (RP3), oder Formen von Achromatopsie dar (CNGB3).

Wenngleich bereits eine große Anzahl von Genen für nicht syndromische Formen der Retinitis pigmentosa bekannt ist, bleibt die Umsetzung in ein therapeutisches Prinzip immer noch ein schwieriges Unterfangen. Die Mutationsanalyse im individuellen Fall wird effektiver und kostengünstiger werden durch den Einsatz neuer Strategien in der Diagnostik, wie z. B. der Anwendung von Methoden des „exome-sequencing“, also der molekularen Analyse in den nur informationstragenden, kodierenden Anteilen der DNA. Neuere und effektivere molekulare Analyseverfahren stehen durch den Einsatz des Retina-Diagnose-Chips/RetChip v1.0 vom Zentrum für Humangenetik in Regensburg (www.humangenetik-regensburg.de/) Prof. Dr. Bernhard Weber zur Verfügung. Das Center for Genomics and Transcriptomics in Tübingen (Dr. Dr. Saskia Biskup und Mitarbeiter) arbeitet mit dem Verfahren der „Next generation sequencing technology“, einem Hochdurchsatzverfahren, und bietet hierfür 14 unterschiedliche Retina-Panels an für die gleichzeitige Untersuchung in 187 Genen. Zum Beispiel im Retina-Panel 2 für autosomal dominante und x-linked RP die Mutationsanalyse in 26 Genen, im Retina-Panel 3 für autosomal rezessive Formen der RP die Analyse in 37 Genen (www.cegat.de).

Die klinische Diagnostik hereditärer Augenerkrankungen wird differenzierter durch den Einsatz hochauflösender bildgebender Verfahren, wie dem OCT und der routinemäßigen Anwendung der Autofluoreszenz in Ergänzung zur elektrophysiologischen Diagnostik und dem Einsatz der Farbsinnprüfung (z. B. Arden-Chroma-Test).

In den folgenden Beiträgen von Prof. Thomas Langman und Prof. Dr. Olaf Strauß wird auf die grundlagenorientierte Forschung und ihre klinische Relevanz für ophthalmogenetische Erkrankungen eingegangen.

Seltene genetisch bedingte Augenerkrankungen werden, neben epidemiologisch bedeutenden Erkrankungen wie der AMD und der diabetischen Retinopathie, in der Zukunft eine besondere Stellung in der Diagnostik und Therapie einnehmen.

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