In der Politik und im Kreise der QS-Experten besteht
weitgehend Einigkeit darüber, dass wesentliche Aspekte
medizinischer Versorgungsqualität nur mit sektorenübergreifenden
Instrumenten beurteilbar sind. Der gesetzgeberische Schritt zur
sektorenübergreifenden QS im Gesetz zur Stärkung
des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG)
war deshalb zukunftsweisend, auch wenn er bisweilen von romantisch-illusionären
Rundum-Sorglos-Phantasien begleitet wird. Gleichermaßen übertrieben
sind Befürchtungen in der Ärzteschaft, die in
einer fundamentalistischen Widerstandsresolution auf dem Ärztetag
ihren prägnanten Ausdruck fand (vgl. Beschlüsse
des Deutschen Ärztetages 2011).
Die Fortschritte bei der Einführung einer sektorenübergreifenden
QS sind ernüchternd. Es ist derzeit absehbar, dass frühestens
2016 erste belastbare Zahlen diskutiert werden können – immerhin
neun Jahre nach dem parlamentarischen Beschluss (Inkrafttreten des
GKV-WSG am 01.04.2007). Nimmt man die Etablierung neuer Verfahren
zum Maßstab, dann muss man von verlorenen Jahren in der
QS reden. Ursächlich für die quälend
langsame Entscheidungsfindung im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA)
sind die sektoralen Anbieterorganisationen Deutsche Krankenhausgesellschaft
(DKG) und Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die
sektorenübergreifende Prozesse als Bedrohung der eigenen
Organisationsmacht sehen. Konzeptionelles Neuland und die in der
Tat nicht trivialen Datenprozesse sind willkommener Anlass, die
Phase sektoraler QS ad infinitum zu perpetuieren.
Zur Verzögerung der sektorenübergreifenden
QS trägt auch bei, dass, u. a. getrieben vom neuen QS-Institut
AQUA (Institut für angewandte Qualitätsförderung
und Forschung im Gesundheitswesen), die sektorenübergreifende
QS als Neukonstruktion neben die bestehenden sektoralen Verfahren
gesetzt wird. Wesentlich schneller wäre es, die bestehenden
sektoralen Verfahren in Richtung sektorgleicher Anwendung und in Richtung
sektorenübergreifender Verlaufsbeobachtung zu erweitern.
Paradebeispiel für ein insuffizientes sektorales Verfahren,
das in Richtung Verlaufsbeobachtung und sektorgleicher Anwendung
erweitert werden müsste, ist das KV-dominierte QS-Verfahren
der Dialyse. Ein erster Versuch, das Zeitfenster zu öffnen
und fallübergreifende QS-Messung zu ermöglichen,
wird derzeit für Hüft- und Kniegelenksersatz unternommen.
Gesetzgeberischer Weiterentwicklungsbedarf besteht bei der Einbeziehung
von Routinedaten zwecks aufwandsarmer Qualitätsmessung.
Aussichtsreichster erster Schritt dürfte die Verwendung
von Kassendaten zur Messung von Mortalität sein. Mittelfristig
sind auch weitere Behandlungsdaten in die QS-Messung einzubeziehen.
Die QS-Verfahren im Rahmen der integrierten Versorgung waren
im Ergebnis wenig ergiebig. Es gibt kein einziges Verfahren, das
es zu einem bundesweiten Standard für sektorenübergreifende
Versorgung gebracht hätte. Wichtig ist, dass künftig
auch Integrationsverträge und andere Formen selektiver
Vertragsgestaltung Bestandteil der bundesweit obligatorischen QS-Verfahren
bleiben.
Die größten Fortschritte sind derzeit im Bereich Transparenz
identifizierbar. Der Qualitätsbericht der Krankenhäuser
wird gemäß Änderung im Infektionsschutzgesetz
künftig jährlich erscheinen und aufgrund des G-BA-Beschlusses vom
19.05.2011 182 statt bislang 28 Indikatoren enthalten.
Die bescheidenen Fortschritte im Bereich der G-BA-Verfahren erhöhen
die Bedeutung von QS-Initiativen jenseits der kollektivvertraglichen
Bundesregelungen. Oft bahnen sie (vgl. QSR, 4QD und Endoprothesenregister)
den Weg für eine flächendeckende Anwendung in
der Zukunft.
Insgesamt bleibt die QS ein vieldimensionaler Prozess, der auch
zur Grundlage einer ergebnisorientierten Vergütung (P4P)
werden könnte. Eine Übersicht über mehr
als 2000 Indikatoren bietet der Qualitätsindikatoren-Thesaurus
Quinth des GKV-Spitzenverbandes (vgl. www.quinth.de).
Was erwartet der GKV-Spitzenverband von der sektorenübergreifenden
QS? Er erwartet, dass die QS künftig stärker aus
der Patientenperspektive erfolgt. Es wäre falsch, die Patientenperspektive
methodisch auf Patientenbefragung zu reduzieren. Da Patienten in
der Regel ambulant und stationär behandelt werden, wird
die sektorenübergreifende QS zum Normalfall werden müssen.
Sektorspezifische QS wird nur ein zunehmend seltener Spezialfall
der QS insgesamt sein.
Autorenerklärung: Es bestehen
keine finanziellen Interessenkonflikte in Bezug auf dieses Manuskript.