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DOI: 10.1055/s-0030-1269428
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Weihnachtliches vom Zauberberg (Thomas Mann)
Medizinische und religiöse Aspekte des Totentanz-Kapitels Christmas on the Magic Mountain (Thomas Mann) The Totentanz-Chapter and its medical and religious aspectsPublication History
Publication Date:
14 December 2010 (online)

Einleitung
Vor 85 Jahren wählte Thomas Mann (Abb. [1] ) die Deutsche Medizinische Wochenschrift, um in einem offenen Brief Vom Geist der Medizin zu schreiben und dabei einige Dinge anzusprechen, die er als erklärungsbedürftig ansah [9] (verfügbar auf www.thieme-connect.de ). Zu massiv schienen ihm die Angriffe von ärztlicher Seite als Reaktion auf seine medizinischen Schilderungen im Zauberberg [1] [4] [5] [6] [14] [19] [21] [22] [27] [28]. Insbesondere die beschriebenen Zustände im Sanatorium sowie die Darstellung der Ärzte und des medizinischen Personals waren zum Gegenstand der Kritik geworden. So hieß es etwa, der Zauberberg vermittle mit seinem „Zynismus” und „Fatalismus” ein „falsches Bild über Heilstätten” [22]; und mehr noch: Es werde „eine Art von Inferno” vorgeführt, das „jegliches ethische Pathos vermissen” lasse [19]. Thomas Mann erwiderte darauf, dass die Fachkritik offensichtlich „hypnotisiert vom vordersten Vordergrund” sei und deshalb nicht imstande wäre, das „Gedankengeflecht über Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit” zu sehen und das Dargestellte als genialen Weg „zum Menschen und zur Liebe” zu verstehen [9]. Mehrfach betonte er, dass der Zauberberg einen „sozialkritischen Vordergrund” habe, und dass der „Vordergrund dieses Vordergrundes medizinische Region” sei [9].
Abb. 1 Thomas Mann am 20. April 1937. Fotograf: Carl Van Vechten.
Was der Roman hinter diesem Vordergrund bereit hält, wird seit seinem Erscheinen beständig zu ergründen gesucht. Eine mittlerweile hoch spezialisierte Thomas-Mann-Forschung beschäftigt sich mit den verschiedenen Themen und Motiven, die im Zauberberg explizit und implizit eine Rolle spielen – wie etwa philosophische und mythologische, religiöse und psychoanalytische Aspekte oder Fragen nach der Bedeutung der Musik oder von Raum und Zeit. Ganz aktuell wird das Verhältnis von Realismus und Phantastik diskutiert, nachdem Luca Crescenzi jüngst die These aufgestellt hat, die gesamte Romanhandlung stelle einen Traum des auf dem Schlachtfeld im Sterben liegenden Hans Castorp dar. Welche Bedeutung kommt bei diesen vielfältigen Deutungsangeboten der medizinischen Region des Textes zu? Ist sie in der Tat nur „vorderster Vordergrund”? Offenkundig bestimmen die Krankheit Tuberkulose und die mit ihr verbundenen Umstände des Sanatoriumsalltags einen großen Teil der Handlung. Vielerlei ist über die zeitgenössische Diagnostik und Therapeutik der Lungentuberkulose zu erfahren, und auch an detailreichen Schilderungen des Sanatoriumswesens mangelt es nicht [2] [18] [20] [24] [25] [26] . Allerdings ist die Bedeutung medizinischer Themen für den Zauberberg damit noch lange nicht erschöpft. Eine genaue Lektüre bietet Aufschluss darüber, dass auch die medizinische Dimension des Romans als „vorderster Vordergrund” sehr viel Hintergründigkeit aufweist und auf vielerlei Weise mit den tiefer liegenden Schichten des Textes verwoben ist.
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Zickgraf G.
Noch eine ärztliche Kritik über den „Zauberberg”.
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Dr. phil. Katrin Max
Institut für deutsche Philologie
Universität Würzburg
Am Hubland
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Würzburg
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