Dtsch Med Wochenschr 2023; 148(14): 916-920
DOI: 10.1055/a-2091-4029
Review

Finanzielle Beeinflussung medizinischer Entscheidungen in Deutschland – Eine Übersichtsarbeit zu Ursachen und Forschungsstand von ökonomischen Einflüssen in der stationären Versorgung

Financial Influence on Medical Decisions in Germany – A Review of the Reasons and State of Research on Economization in Inpatient Care
Sara Lena Lückmann
1   Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik, Medizinische Fakultät, Martin Luther University Halle Wittenberg, Halle (Ringgold ID: RIN9176)
,
Grit Böhme
1   Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik, Medizinische Fakultät, Martin Luther University Halle Wittenberg, Halle (Ringgold ID: RIN9176)
,
Felix Krüger
1   Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik, Medizinische Fakultät, Martin Luther University Halle Wittenberg, Halle (Ringgold ID: RIN9176)
2   Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insb. Empirische Mikroökonomik, Juristische und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,
,
Sonja Hiemer
3   Zentrum für Interdisziplinäre Krebsmedizin (ZIK), Klinikum St. Georg gGmbH, Leipzig,
,
Haifa-Kathrin Al-Ali
4   Krukenberg Krebszentrum, Universitätsmedizin Halle,
,
Amelie Wuppermann
2   Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insb. Empirische Mikroökonomik, Juristische und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,
› Institutsangaben
Preview

Zusammenfassung

Der verstärkte finanzielle Druck im deutschen Gesundheitswesen kann auch medizinische Entscheidungen beeinflussen. Diese selektive Literaturrecherche stellt den aktuellen Forschungsstand zu finanzieller Beeinflussung der stationären Versorgung in Deutschland dar. Durch den aktuell bestehenden wirtschaftlichen Druck im Gesundheitswesen fühlen sich Ärzte zunehmend auch bei Indikationsstellung und Behandlungsentscheidungen finanziellen Zwängen unterworfen. Es gibt Evidenz für finanziell initiiertes Upcoding und Mengenausweitungen. Zum Ausmaß, zu Risikogruppen und zum Einfluss auf die Qualität der Versorgung ist wenig bekannt. Gut erforscht ist die Auswirkung des finanziellen Drucks auf die Arbeitszufriedenheit, den empfundenen Stress und die Gesundheit der behandelnden Ärzte. Die aktuelle Diskussion zur Ökonomisierung ärztlichen Handelns ist wichtig, vor allem zu Fehlanreizen und Arbeitszufriedenheit. Zu Patientenwohlgefährdungen ist wenig bekannt.

Abstract

Increased economization in the German health care system may have an impact on medical decisions. A selective literature search presents an overview of the current evidence on the influence of financial incentives on inpatient healthcare in Germany. Due to the current economic pressure, physicians increasingly feel subjected to financial constraints concerning indication and treatment decisions. There is evidence for financially initiated upcoding and volume expansion. Little is known about the extent, the impact on quality of care, nor on vulnerable groups. The literature clearly documents effects of financial pressure on job satisfaction, perceived stress, and the health of attending physicians. The current discussion on the economization of physician practice is important, especially with regard to disincentives and job satisfaction. Little is known about the risks to patient health.

Kernaussagen
  • Der finanzielle Druck im Gesundheitswesen kann sich auch auf die medizinische Entscheidungsfindung auswirken.

  • Studien zeigen, dass sich Ärzte zunehmend unter Druck fühlen, betriebswirtschaftliche Belange bei medizinischen Entscheidungen mitzuberücksichtigen, was als stressend wahrgenommen wird und sich auf die Arbeitszufriedenheit auswirkt.

  • Finanziell intendiertes Upcoding ist im stationären Sektor für die Neonatologie gut beschrieben, scheint sich aber nicht negativ auf die Qualität der Versorgung auszuwirken.

  • Mengenausweitungen sind für die stationäre Versorgung belegt, können aber schwer einzelnen Ursachen zugeordnet werden – neben finanziellen Gründen sind für die Ärzte auch Sorgen vor Behandlungsfehlern und Druck vonseiten der Patienten relevante Beweggründe.

  • Erste Hinweise auf finanziell intendierte Mengenausweitungen zeigen, dass diese häufiger in städtischen Krankenhäusern, in Gebieten mit starkem Wettbewerb, bei älteren Patienten sowie in den Fachgebieten Orthopädie und Kardiologie vorkommen.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
07. Juli 2023

© 2023. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany