Schlüsselwörter
Alveoläre Echinokokkose - Echinococcus multilocularis - Diagnostische Herausforderung
- Ultraschall - Kontrastverstärkte Sonographie (CEUS)
Keywords
Alveolar Echinococcosis - Echinococcus multilocularis - Diagnostic challenge - Sonography
- Contrast-enhanced sonography (CEUS)
Einleitung
Die alveoläre Echinokokkose ist eine seltene, potenziell tödliche Zoonose [1]. Süddeutschland zählt zu den Hochendemiegebieten in Deutschland [2]
[3]. Seit einigen Jahren beobachtet man die geographisch-parasitäre Expansion des Hauptvektors
Rotfuchs (Vulpes vulpes) in Deutschland, wie auch den zeitlich versetzten Anstieg humaner Manifestationsfälle
[4]. Insbesondere der Risikofaktor Hundehaltung scheint für die Übertragung auf den
Menschen zunehmend an Bedeutung zu gewinnen [5]. Mit einer langen asymptomatischen Latenz von 5–20 Jahren manifestiert sich die
alveoläre Echinokokkose (AE) in humanen Fehlzwischenwirten meist als hepatischer Tumor,
mit unterschiedlichen Manifestationsformen und hohem differenzialdiagnostischem Verwechslungspotential
[6]
[7]
[8]. Bei frühzeitiger Diagnose stellt die chirurgische Resektion der Leberläsionen die
Methode der Wahl dar, in fortgeschrittenen, nicht operablen Stadien wird dem weiteren
Wachstum der parasitären hepatischen Läsionen mit Benzimidazolen entgegengewirkt [1]. Derzeit sind Benzimidazole (BMZ) die einzigen verfügbaren Medikamente zur Behandlung
einer AE. Es bleibt zu berücksichtigen, dass Benzimidazole lediglich eine parasitostatische
Wirkung haben [1]
[9].
In den letzten Jahren hat die bildgebende Diagnostik zunehmend gegenüber der serologischen
Diagnostik bei AE an Bedeutung gewonnen [7]
[10]
[11]. Im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen oder Oberbauchsonografien wegen anderen Beschwerden
werden vermehrt Leberraumforderungen als Zufallsbefund detektiert. Diese bleiben eine
differenzialdiagnostische Herausforderung und initiieren oft eine weitere umfangreiche
Diagnostik [7]
[12]
[13]. Aufgrund der schwierigen und verzögerten Diagnosestellung einer AE können Patienten
von Krankheitsprogression, inoperablen Erkrankungsstadien, verzögerter Therapieeinleitung,
sowie Auftreten von Komplikationen und vermehrter Strahlenbelastung betroffen sein
[8]. Neben den somatischen Befunden stellen die Diagnose AE und der diagnostische Abklärungsprozess
für die Patienten eine erhebliche psychische Belastung dar [8]
[14]
[15]
Ziel dieser Querschnittsstudie war die Analyse des diagnostischen Workflows von Patienten
mit Verdacht auf eine alveoläre Echinokokkose bzw. Patienten mit bestätigter alveolärer
Echinokokkose sowie die Identifikation möglicher diagnoseverzögernder Faktoren.
Patienten und Methoden
Einschluss- und Ausschlusskriterien
Patienten mit den von Brunetti et al. definierten WHO-Falldefinitionen „probable“ (AE-kompatible Bildgebung und positive Serologie) oder „confirmed“ (AE-kompatible Bildgebung und positive Serologie und pathologischer oder mikrobiologischer parasitärer Direktnachweis anhand entnommenem
Gewebematerial) wurden eingeschlossen [16]. Patienten mit der Falldefinition „possible“ (positive Serologie oder AE-kompatible Bildgebung) wurden ebenso wie Patienten mit nicht rekonstruierbarer
Datenabdeckung des Studienzeitraums ausgeschlossen. Die Datenerhebung fand von Juni 2019 bis Juli 2019 statt.
Selektion der Studienkohorte
Die vorliegende Querschnittstudie setzt sich aus einem Patientenkollektiv der Nationalen Echinokokkose-Datenbank für Fuchsbandwurmerkrankung zusammen (1992–2018, n = 622) [3]. Das nationale Erkrankungsregister wurde im Rahmen eines durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft
geförderten Projektes etabliert [3]. Die Aufnahme der Patienten in das Erkrankungsregister erfolgte auf freiwilliger
Basis. Nach Ausschluss ungeeigneter Patientenfälle umfasste die vorläufige Studienkohorte
n = 223 Patienten. Die Rücklaufquote des an diese Patienten versandten Fragebogens
betrug 51,1% (n = 114). Insgesamt n = 5 Fragebögen wurden aufgrund der hohen Anzahl
analyselimitierender fehlender Werte von der Studie ausgeschlossen. Somit umfasste
die Studienkohorte final n = 109 Studienteilnehmer.
Ethische Aspekte
Von der örtlichen Ethikkommission der Universität Ulm liegt für die vorliegende Studie
im Rahmen von Registerstudien der Nationalen Echinokokkose-Datenbank für Fuchsbandwurmerkrankung ein positives Votum entsprechend der Deklaration von Helsinki vor (Ref. Nr. 440/15).
Die Aufnahme der Daten in das nationale Erkrankungsregister erfolgte auf freiwilliger
Basis, alle Studienteilnehmer gaben ihre schriftliche Einwilligung.
Fragebogen
Der Fragebogen wurde im interdisziplinären Team nach Erfahrungswerten und derzeit
gegebener wissenschaftlicher Evidenzlage von Mitgliedern der Arbeitsgruppe für Echinokokkose
entwickelt. Der hieraus entwickelte Fragebogen wurde initial an gesunden Probanden
im Hinblick auf orthographische Schwierigkeiten und Verständnisprobleme getestet.
Der pseudonymisierte Fragebogen setzt sich dabei aus 9 übergeordneten Kategorien mit
weiterer Unterteilung in jeweils untergeordnete Kategorien zusammen. Diese decken
detailliert verschiedene Aspekte des diagnostischen Abklärungszeitraumes vor Diagnosestellung
ab. Antworten konnten entweder als single oder multiple choice, als Freitext oder als Kombination aus beidem getätigt werden. Nach umfangreicher
Datenextraktion und Datenergänzung aus der klinikinternen Patientenakte wurde jedem
patientenspezifischen Daten-Item eine Zahl zugeordnet („Codierung“). Anschließend
erfolgte die tabellarische, kategoriegestützte Systematisierung dieser Daten-Items
in Anlehnung an die thematische Struktur des Fragebogens. Für die statistische Auswertung
der Daten im Rahmen der Studie wurde der Datensatz entsprechend anonymisiert.
Statistische Analyse
Die statistische Auswertung erfolgte mit der SAS-Version 9.4, die grafische Darstellung
mit der Microsoft-Excel-Version 16.43. Berechnet wurden, neben absoluten und relativen Häufigkeiten,
Mittelwerte, der Median sowie Minimal- und Maximalwerte. Patientinnen und Patienten
mit einer hohen Anzahl analyselimitierender fehlender Werte im Fragebogen wurden entsprechend
den Ein- und Ausschlusskriterien komplett aus der Analyse ausgeschlossen.
Ergebnisse
Charakterisierung der Studienkohorte
An der Studie nahmen n = 69/109 (63,3%) Frauen und n = 40/109 (36,7%) Männer teil.
Das mittlere, geschlechterunabhängige Alter bei Erstdiagnose einer AE betrug 56,5
± 16,7 Jahre (Mittelwert ± Standardabweichung). N = 40/109 (36,7%) Patienten wiesen
bei Studieneinschluss die WHO-Falldiagnose „probable“, n = 69/109 (63,3%) die Falldiagnose „confirmed“ auf. Mit n = 74/109 (67,9%) war der Hauptteil zu Beginn mit einem Zufallsbefund
konfrontiert, n = 37/109 (33,9%) wiesen neu aufgetretene, körperliche Symptome auf.
Der initiale Zufallsbefund (ZB)
N = 56/74 (75,7%) aller initialen ZB wurden im ambulanten ärztlichen Rahmen erhoben,
der Hauptteil davon bei Hausärzten (n = 40/56, 71,4%). Bei n = 15/74 (20,3%) Studienteilnehmern
fand die Entdeckung eines ZB im klinischen Umfeld eines Krankenhauses statt (Ambulanz,
Station), ([Abb. 1]a). Ein ZB wurde am häufigsten in der Bildgebung (n = 44/74, 59,5%) erhoben, hierbei
dominierte der sonografische Anteil mit n = 31/44 (70,5%). N = 10/44 (22,7%) fielen
erstmals CT-grafisch und n = 3/44 (6,8%) initial MR-grafisch auf.
Abb. 1 (a) Ärztlicher Rahmen bei Erhebung eines Zufallsbefundes (n ges = 74); (b) Spektrum und Häufigkeit der diagnostischen Modalitäten bei Erhebung eines Zufallsbefundes.
Der zweithäufigste ZB zeigte sich bei laborchemischer Analyse in Form veränderter
Blutwerte (n = 24/74, 32,4%), wobei pro Patient teilweise Abweichungen mehrerer laborchemischer
Teilbereiche gleichzeitig vorlagen: Insgesamt 22 Patienten zeigten erhöhte Leberwerte,
davon n = 2 (9,1%) eine Transaminasen-Erhöhung, n = 9 (40,1%) eine GGT-Erhöhung (davon
lag bei n= 1 eine gleichzeitige AP-Erhöhung vor), beim überwiegenden Anteil von n
= 13 Studienteilnehmern (59,1%) konnten bei der retrospektiven Datenerhebung jedoch
die von der Norm abweichenden Leberwerte nicht genauer präzisiert werden. Eine Person
(4,2%) wies zusätzlich zu erhöhten Leberwerten eine gleichzeitige CRP-Erhöhung auf.
Bei n = 2 Patienten lag allerdings eine laborchemische Abweichung als initialer ZB
vor.
Anderweitige Zufallsbefunde spielten zahlenmäßig keine Rolle – so konnte bei operativer
Einsicht in den Situs mit anderweitig zugrunde liegender Indikation (n = 3/74, 4,1%),
bei einer Gastroskopie (n = 1/74, 1,4%) sowie der körperlichen Untersuchung (n = 1/74,
1,4%) ein ZB gestellt werden ([Abb. 1]b).
Die diagnostische Abklärungsphase
Am häufigsten wurden im Mittel 4,4 ± 3,9 Blutprobenanalysen pro Patient (p. P.) (min–max:
0–23, Median = 3) durchgeführt. Das zweithäufigste Diagnostikum umfasste durchschnittlich
2,1 ± 2,3 sonografische Abklärungen p. P. (min–max: 0–15, Median = 2). Bildgebend
fand ein CT im Durchschnitt 0,9 ± 0,9-mal p. P. (min–max: 0–5, Median = 1) statt,
eine kontrastmittelgestützte Sonografie (CEUS) hingegen 0,3 ± 0,5-mal p. P. (min–max:
0–2, Median = 0) und ein MRT wurde durchschnittlich 0,5 ± 0,8-mal p. P. (min-max:
0–4, Median = 0) zur weiteren Abklärung durchgeführt. An dritthäufigster Stelle erhielten
unsere Studienteilnehmer durchschnittlich 1,2 ± 1,1 körperliche Untersuchungen (min–max:
0–6, Median = 1). Die restlichen Diagnostiken sind hinsichtlich ihrer durchschnittlichen
Häufigkeit in [Tab. 1] aufgeführt.
Tab. 1 Durchschnittliche Anzahl durchgeführter Untersuchungsmodalitäten mit Standardabweichungen
(SD), Median, Minimal- und Maximalwert (min–max).
Untersuchungsmodalität
|
Mittelwert ± SD
|
Median (min–max)
|
MRT: Magnetresonanztomografie; CT: Computertomografie; CEUS: Contrast-Enhanced-Ultrasonography;
FDG-PET-CT: F-18-Fluorodesoxyglukose-Positronen-Emissions-Tomografie
|
Körperliche Untersuchung
|
1,2 ± 1,1
|
1 (0–6)
|
Sonografie
|
2,1 ± 2,3
|
2 (0–15)
|
MRT
|
0,5 ± 0,8
|
0 (0–4)
|
CT
|
0,9 ± 0,9
|
1 (0–5)
|
Endoskopie
|
0,5 ± 0,7
|
0 (0–4)
|
Bronchoskopie
|
0,0 ± 0,2
|
0 (0–1)
|
Laparoskopie
|
0,1 ± 0,3
|
0 (0–1)
|
Labor
|
4,4 ± 4,0
|
3 (0–23)
|
Liquorpunktion
|
0,0 ± 0,1
|
0 (0–1)
|
Biopsie
|
0,6 ± 1,0
|
0 (0–7)
|
CEUS
|
0,3 ± 0,5
|
0 (0–2)
|
Mammografie
|
0,1 ± 0,2
|
0 (0–1)
|
Röntgen
|
0,3 ± 0,7
|
0 (0–6)
|
Hepatobiliäre Sequenz-Szintigrafie
|
0,0 ± 0,1
|
0 (0–1)
|
Endosonografie
|
0,0 ± 0,3
|
0 (0–2)
|
FDG-PET-CT
|
0,1 ± 0,2
|
0 (0–1)
|
Im Durchschnitt durchlief jeder Studienteilnehmer modalitätsübergreifend eine absolute
Anzahl von 11,3 ± 8,2 (min–max: 0–56, Median = 10) diagnostische Prozeduren im gesamten
Zeitraum der Abklärungsphase bis zur finalen Diagnose einer AE. Hierbei sah sich jeder
Patient mit durchschnittlich 1,1 ± 1,2 (min–max: 0–11, Median = 1) strahlenemittierender
bildgebender Diagnostik (CT, FDG-PET-CT, Röntgen, Mammografie) konfrontiert.
Im Folgenden wurden Untersuchungen, die während der diagnostischen Abklärungsphase
eher weniger herangezogen wurden, weiter betrachtet: [Abb. 2] beschreibt die absoluten und relativen Häufigkeiten in der Studienkohorte, mit der
ein CT, MRT, CEUS und eine Biopsie unklarer Läsionen zur weiteren Abklärung eingesetzt
wurden, speziell, wie häufig die bildgebende Untersuchung nicht, einmal oder häufiger
als einmal eingesetzt wurde. Dabei ergab sich für risikoarme und strahlenfreie Bildgebungen
wie MRT und CEUS lediglich eine geringe Inanspruchnahme.
Abb. 2 Absolute [n] und relative Häufigkeiten [%] durchgeführter diagnostischer Untersuchungen
während der Abklärungsphase (n ges = 109).
Differential-, Verdachts- und Fehldiagnosen
N = 105/109 (96,3%) der Patienten erhielten mindestens eine benigne hepatische Differenzialdiagnose
und n = 104/109 (95,4%) mindestens eine maligne hepatische Differential- und/oder
maligne extrahepatische Verdachts- bzw. Fehldiagnose. [Abb. 3]a und 3b geben einen Überblick über die häufigsten benignen und malignen Verdachtsdiagnosen.
Die überwiegende Mehrheit von n = 104/109 Patienten (95,4%) sah sich während des diagnostischen
Abklärungsprozesses mit mindestens n = 1 hepatischen und/oder extrahepatischen malignen
Differenzial-, Verdachts- oder Fehldiagnose konfrontiert. Der Zeitraum in Ungewissheit
einer solchen möglichen malignen Erkrankung bis zur korrekten Diagnose einer AE umfasste
im Mittel 4,1 ± 16,5 Monate (min–max: 0 –133,8 Monate p. P., Median = 1).
Abb. 3 (a) Spektrum und Häufigkeit benigner Differenzialdiagnosen während der diagnostischen
Abklärungsphase; (b) Spektrum und Häufigkeit maligner Differenzial-, Verdachts- und Fehldiagnosen während
der Abklärungsphase.
Die finale Diagnose einer alveolären Echinokokkose
Die Dauer zwischen dem Zufallsbefund bzw. dem Auftreten neuer, körperlicher Symptome
bis zur finalen Diagnose einer AE betrug durchschnittlich 26,5 ± 65,0 Monate (min–max:
0–344 Monate p. P., Median = 3).
Diskussion
Die alveoläre Echinokokkose birgt trotz wachsendem Erkenntnisgewinn der letzten Jahrzehnte
fortwährend umfassende diagnostische Herausforderungen [1]
[8]. Allgemeinhin wird ein Wandel hin zu einer Mehrheit asymptomatischer Zufallsbefunde
bei AE-Patienten, übereinstimmend mit denen unserer Studie beobachtet [17].
Hepatische Zufallsbefunde bei asymptomatischen Patienten sind zu über 95% benigne,
was jedoch im starken Gegensatz zum großen Anteil vermuteter maligner Diagnosen bei
Patienten unserer Studie steht [18]. Kaltenbach et al. wiesen in einer breit angelegten retrospektiven Studie nach, dass in absteigender
Reihenfolge die fokale Minderverfettung (6,3%), hepatische Zysten (5,8%) sowie Hämangiome
(3,3%), gefolgt von fokal nodulären Hyperplasien (FNH) (0,2%) sowie Adenomen (0,04%)
die häufigsten dieser benignen Läsionen darstellen [12]. Hepatische AE-Herde präsentieren sich bildmorphologisch sehr verschiedenartig und
können in Form eines neu aufgefallenen Inzidentaloms anderen, z.B. den oben genannten,
weitaus häufigeren fokalen Leberläsionen (FLL), bis hin zur fehlenden Unterscheidbarkeit,
stark ähneln und somit zu Fehldiagnosen führen [8]
[19]. Dieser Umstand wurde anhand einer ultraschallbasierten Klassifikation (EMUC-US)
systematisch aufgearbeitet und ist inzwischen etablierter Beurteilungsstandard bei
der Zuordnung hepatischer Echinokokkus-multilocularis-Läsionen nach ihrer B-Bild-morphologischen Ähnlichkeit [6]. Ein hämangiomartiges sowie pseudozystisches Erscheinungsbild ist neben dem metastasenartigen
Muster u.a. Teil der Klassifikation, und kann, wie aktuelle Studien zeigen, ohne die
kontrastverstärkte Sonografie nicht sicher von echten Hämangiomen oder Metastasen
differenziert werden [20]
[21]. Es ist zudem bereits vielfach beschrieben worden, dass AE-Läsionen aufgrund des
infiltrativen Wachstumsverhaltens augenscheinlich einen malignen Prozess imitieren
[8]
[22]. Gerade aus diesem Grund sollte eine maligne hepatische Verdachtsdiagnose bei asymptomatischen
Patienten, insbesondere ohne zusätzlich zugrunde liegende Risikofaktoren (z.B. „HCC“
ohne Leberzirrhose, Hepatitis-B-/Hepatitis-C-Infektion oder ohne übermäßigen Alkoholkonsum,
„hepatische Filiae“ ohne B-Symptome) stets kritisch hinterfragt und differenzialdiagnostisch
reevaluiert werden. Maligne Verdachtsdiagnosen haben nicht nur therapeutische Konsequenzen,
sondern insbesondere einen ausgeprägten Einfluss auf das mentale Empfinden und die
Lebensqualität betroffener AE-Patienten [23]. Es ist anzunehmen, dass die psychische Belastung unserer Patienten zusätzlich durch
den langen Zeitraum in Ungewissheit aggraviert wird und sich zur mentalen Herausforderung
einer zum Diagnosezeitpunkt meist nicht mehr kurativ angehbaren Parasitose hinzu addiert
[15]. An dieser Stelle sind jedoch weitere Studien nötig.
Während des diagnostischen Abklärungszeitraums fiel innerhalb unserer Studienkohorte
auf, dass strahlenstarke Bildgebungsmodalitäten häufig und bei einem Teil der Patienten
sogar wiederholt ohne Mehrgewinn eines anschließend eindeutigen Befundes eingesetzt
wurden. Im Vergleich fand die kontrastmittelverstärkte Sonografie (CEUS) als flächendeckend
verfügbare und nebenwirkungsarme Alternative deutlich seltener Verwendung. Aus Sicht
des Strahlenschutzes macht jede Möglichkeit zur Reduktion der medizinischen Strahlenbelastung
nach Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses Sinn: Die effektive Dosis [Sv] der jährlich
einwirkenden natürlichen Hintergrundstrahlung beträgt im Durchschnitt 2,1 mSv pro
Person (Schwankungsbreite zwischen 1–10 mSv) [24]
[25]. Dem gegenüberstehend stammt die Strahlenbelastung durch sogenannten künstliche
Strahlenquellen (durchschnittlich 1,8 mSv/Jahr/Person) zu knapp 95% aus ionisierenden
und radioaktiven Strahlenquellen im medizinischen Sektor (durchschnittlich 1,7 mSv/Jahr/Person).
Insbesondere die Röntgenstrahlung trägt hierbei mit durchschnittlich 1,7 Röntgenuntersuchungen
pro Jahr und Einwohner zur medizinisch angesiedelten Strahlenbelastung in Deutschland
bei [24]
[25]. Zum Vergleich zur mittleren natürlichen Hintergrundstrahlung: Die effektive Dosis
einer einzelnen computertomografischen Aufnahme des Abdomens, welche bei der Mehrheit
unserer Patienten mit (mindestens) einer abklärenden CT-Bildgebung durchgeführt wurde,
beläuft sich auf 8–20 mSv. Folglich wollen wir den Stellenwert primär der kontrastverstärkten
Sonografie (CEUS) sowie alternativ des MRT mit leberspezifischem Kontrastmittel und
dessen frühestmöglichem Einsatz als potente Modalitäten zur genaueren ätiologischen
Differenzierung bestärken [20]
[21]
[22]
[26].
Die definitive Diagnose einer AE erhielten unsere Patienten durchschnittlich nach
über 2 Jahren. Unsere Analyse konnte zeigen, dass die von uns untersuchten Patienten
von einer frühzeitigen kontrastverstärkten Sonografie, einer möglichen Punktion sowie
der Zuweisung an ein spezialisiertes Zentrum für Echinokokkose-Erkrankungen profitieren
können. Im Falle einer Biopsie der unklaren Läsion ist das Risiko für Blutungen sowie
das Risiko einer Impfmetastase oder weiteren Aussaat zu vernachlässigen.
Limitationen der Fragenbogenstudie begründen sich in der retrospektiven Datenerhebung
aufgrund einem möglichen Erinnerungsbias, wodurch Schwierigkeiten der vollständigen
chronologischen Rekonstruktion der medizinischen Ereignisse ggf. nicht ausgeschlossen
werden können. Weitere Verzerrungen bzw. eine Über- oder Unterschätzung ist aufgrund
des Charakters der vorliegenden Studie nicht auszuschließen. Dennoch stellen retrospektive
Untersuchungen weiterhin ein wichtiges Tool zur Identifizierung von entscheidenden
Einflüssen und Zusammenhängen bei der Erforschung seltener Erkrankungen dar. Des Weiteren
muss die geringe Fallzahl als eine weitere, wichtige Limitation angesehen werden.
Weitere multizentrische Studien mit höheren Fallzahlen sind notwendig, um die vorliegenden
Studienergebnisse zu bestätigen. Aufgrund unterschiedlicher Gesundheitssysteme und
Ansätze beim Management und der Versorgung von Patienten mit alveolärer Echinokokkose
können die vorliegenden Ergebnisse nicht auf andere Länder übertragen werden. Für
die Situation in Deutschland sind die Ergebnisse aufgrund der Rücklaufquote und aufgrund
der Äquivalenz zu den Meldezahlen im Rahmen des Infektionsschutzgesetztes (IfSG) als
repräsentativ anzusehen.
-
Epidemiologische Daten zeigen einen Anstieg der humanen alveolären Echinokokkose (AE)
in Deutschland – ein weiterer Anstieg in den nächsten Jahren ist wahrscheinlich.
-
Hausärzte spielen eine entscheidende Rolle bei der Detektion sonografischer hepatischer
Zufallsbefunde.
-
Bei einer unbekannten und unklaren hepatischen Raumforderung sollte frühzeitig und
primär ein CEUS, alternativ ein leberspezifisches MRT, durchgeführt werden.
-
Bei einer bis dahin unbekannten, unklaren, aber malignitätsverdächtigen hepatischen
Raumforderung – insbesondere bei asymptomatischen Patienten – muss frühzeitig die
Differenzialdiagnose einer AE mit einbezogen werden.
-
Bei anhaltender Unklarheit trotz CEUS und MRT empfehlen wir eine Biopsie der unklaren
Läsion; das Risiko einer Impfmetastase oder weiteren Aussaat bei einer Leberbiopsie
ist zu vernachlässigen.