Sprache · Stimme · Gehör 2006; 30(2): 45-46
DOI: 10.1055/s-2006-941528
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Editorial

L. Fried1
  • 1Institut für Sozialpädagogik, Erwachsenenbildung und Pädagogik der frühen Kindheit, Universität Dortmund
Further Information

Publication History

Publication Date:
22 June 2006 (online)

Sprache und Bildung hängen eng miteinander zusammen. So wird Weltaneignung ganz wesentlich durch Sprache ermöglicht und werden Bildungsgüter vor allem mittels Sprache tradiert usw. Macht man sich dies klar, so wird deutlich, dass sich die Pädagogik in der Vergangenheit entschieden zu selten mit der Verbindung von Sprache und Bildung beschäftigt hat. Infolge der aufrüttelnden Ergebnisse verschiedener internationaler Leistungsvergleichsstudien ist das anders geworden. Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass wir in Deutschland mehr für die Bildung unserer Kinder tun müssen. Da Sprache eine der wesentlichsten Schlüsselkompetenzen für Bildung ist, gilt es zukünftig zu gewährleisten, dass Kindergartenkinder und Schulanfänger über diejenige Sprachkompetenz verfügen, die sie benötigen, um sich die Welt möglichst optimal zu erschließen.

Dass dies noch längst nicht gewährleistet ist, unterstreichen die Ergebnisse diverser empirischer Studien, in denen man den Sprachentwicklungsstand, die Sprachentwicklungsprobleme von Kindern im Kindergartenalter bzw. zur Schulanfangszeit erhoben hat. In der Regel handelt es sich dabei um regional begrenzte Untersuchungen, die aber, wie z. B. in Berlin, Bielefeld, Mannheim, Recklinghausen usw. der Fall, insofern aussagekräftig sind, als man dort jeweils ganze Altersjahrgänge möglichst vollständig erfasst hat. Diese Erhebungen haben, je nach Erfassungsinstrument und -strategie, zu dem (auch durch internationale Studien untermauerten) Schluss geführt, dass ein erheblicher Teil jedes Altersjahrgangs, nämlich etwa 25 bis 30 Prozent, Sprachentwicklungsauffälligkeiten aufweist, die sich am häufigsten in Form von Artikulationsstörungen manifestieren (vgl. z. B. [1]). Allerdings überwindet der größere Teil der davon betroffenen Kinder diese Schwierigkeiten im Laufe der Zeit; und nur ein kleinerer Teil, nämlich etwa 5 bis 10 Prozent, steht in Gefahr, eine dauerhafte Sprachentwicklungsstörung bzw. Lese-Rechtschreib-Schwäche auszubilden (vgl. z. B. [2] [3]) bzw. Das gilt verstärkt, wenn Kinder einen Migrationshintergrund haben oder aus bildungsfernen Schichten kommen. Dann soll das Risiko etwa doppelt so groß sein. Internationale Studien kommen zu vergleichbaren Ergebnissen (vgl. [4]).

Bedenkt man nun, dass Sprachentwicklungsstörungen, die nicht behandelt werden, häufig bis die spätere Kindheit und Jugend persistieren (z. B. [1] [5]); und macht man sich noch dazu klar, dass sie häufig Folgeprobleme nach sich ziehen, wie z. B. sozial-emotionale Schwierigkeiten, Handicaps beim Schriftspracherwerb und dadurch dann auch Probleme in der Schule (z. B. [6] [7]), so dürfte klar sein, dass Kinder, die Sprachentwicklungsauffälligkeiten aufweisen, besonderer Beachtung und Betreuung bedürfen, um zu gewährleisten, dass sie möglichst optimale Bildungschancen eröffnet bekommen. Dazu gehört, nicht erst in der Schulzeit, sondern bereits in der Kindergartenzeit genau hinzuschauen, bei welchen Kindern die Sprachentwicklungsprozesse temporär oder strukturell abweichen. Denn zumindest ein Teil dieser Kinder kann - laut einzelnen empirischen Studien - im Kindergarten wirksam unterstützt werden; vor allem, wenn sie früh und systematisch gefördert werden.

Literatur

  • 1 Law J, Boyle J, Harris F, Harkness A, Nye C. Prevalence and natural history of primary speech and language delay: findings from a systematic review of the literature.  International Journal of Language & Communication Disorders. 2000;  35 (2) 165-188
  • 2 Grimm H. Störungen der Sprachentwicklung: Grundlagen - Ursachen - Diagnose - Intervention - Prävention 2. überarb. Aufl Göttingen; Hogrefe 2003
  • 3 Schöler H, Roos J, Schäfer P, Dreßler A, Grün-Nolz P, Engler-Thümmel H. Einschulungsuntersuchungen 2002 in Mannheim. Heidelberg; Pädagogische Hochschule Heidelberg, Fakultät I - Institut für Sonderpädagogik, Sonderpädagogische Psychologie, Arbeitsberichte aus dem Forschungsprojekt „Differentialdiagnostik” 2002
  • 4 Ruben R J. Redefining the survival of the fittest: Communication disorders in the 21st century.  Laryngoscope. 2000;  111 241-245
  • 5 Schakib-Ekbatan K, Schöler H. Zur Persistenz von Sprachentwicklungsstörungen: Ein 10-jähriger Längsschnitt neun spezifisch sprachentwicklungsgestörter Kinder.  Heilpädagogische Forschung. 1995;  21 (2) 77-84
  • 6 Klicpera C, Gasteiger Klicpera B. Sind Rechtschreibschwierigkeiten Ausdruck einer phonologischen Störung?.  Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie. 2000;  32 (3) 134-142
  • 7 Willinger U, Brunner E, Diendorfer-Radner G, Sams J, Sirsch U, Eisenwort B. Behavior in children with language development disorders.  Canadian Journal of Psychiatry. 2003;  48 (9) 607-614

Prof. Dr. Lilian Fried

Universität Dortmund - Fachbereich 12

Institut für Sozialpädagogik, Erwachsenenbildung und Pädagogik der frühen Kindheit

Gebäude EF50

Raum 1.115

Emil-Figge-Straße 50

44221 Dortmund

Email: lfried@fb12.uni-dortmund.de

    >