Zeitschrift für Komplementärmedizin 2011; 3(4): 1
DOI: 10.1055/s-0031-1280106
zkm | Editorial

© Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Integration und Kooperation in der Onkologie

Rainer Stange
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Publication Date:
10 August 2011 (online)

In wohl kaum einem Krankheitsfeld war der Graben zwischen konventioneller und „unkonventioneller“, „alternativer“ oder wie immer „komplementär“ sich verstehender Medizin so tief wie in der Onkologie. Schon fast vergessen wirkt heute, dass auch Ärzte hier wiederholt vor Gericht standen. Dr. Josef Issels als prominenter Vertreter dieser Richtung wurde Ende der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts verhaftet und in einem spektakulären Prozess zu 1 Jahr Gefängnis verurteilt. Nach Revision und Freispruch erfreute er sich ungebrochener Beliebtheit bei Patienten und zuweisenden Kollegen.

Ein solches Klima ist heute gottlob nicht mehr vorstellbar, wenngleich noch vereinzelt Ärzte und Methoden anzutreffen sind, die Züge einer historisch zu nennenden Unvereinbarkeit aufweisen. Der Trend geht jedoch aus verschiedenen Gründen klar in Richtung Kooperation. Einerseits stellt sich die komplementäre Onkologie allmählich und mit derzeit noch bescheidenen infrastrukturellen Möglichkeiten dem Ruf nach wissenschaftlicher Untermauerung. Andererseits belegen zahlreiche Umfragen sehr deutlich, dass die Patienten sowieso in einem hohen Ausmaß weitere Therapiemaßnahmen als die konventionellen durchführen lassen. Für die Onkologie erscheint Austausch und Information hierüber mittlerweile wichtiger als Ignorierung oder Diskriminierung. Die oft behauptete negative Interferenz für die konservative onkologische Therapie konnte bislang eh mit keinem glaubhaften Fakt belegt werden, sodass dieses Argument zusehends weniger in Anspruch genommen wird. Ganz im Gegenteil konnte etwa die Therapieforschung der letzten Dekaden mit Mistelpräparaten belegen, dass es sehr sinnvolle Effekte während einer Chemotherapie gibt.

Wir möchten Ihnen diesen Trend anhand einiger exemplarischer Aktivitäten illustrieren. Das Expertengremium ist erstmals in der noch jungen Geschichte dieser Zeitschrift gebeten worden, seine jeweiligen Erfahrungen und Praxistipps in der Parallelsituation zu relativ aggressiven Pharmaka, den Zytostatika, abzugeben. Ähnliches wäre sicherlich auch für die Rheumatologie interessant.

Der überwiegende Teil der Schwerpunktausgabe zielt bewusst auf die psychomentale Stärkung des Krebspatienten ab, auf die Weckung seiner Potenziale, die er auf seinem schwierigen Weg dringend benötigt. Die anthroposophische Medizin kann hier sicherlich auf die längste Tradition zurückblicken. Da ihr die auch mit den eigenen operativen Abteilungen abgestimmte Betreuung von jeher ein selbstverständliches Anliegen war, bestand nie die Notwendigkeit, dies als eine Kreation der Jahrtausendwende mit modernen Schlagwörtern wie „Comprehensive Cancer Center“ o. ä. auszugeben. Nunmehr gesellen sich neue Konzepte hinzu, die nicht im anthroposophischen Menschenbild ihren Ausgang haben. Langfristig stellt sich für alle die Herausforderung, neben der besseren Lebensqualität eine echte Prognoseverbesserung nachzuweisen! Die Sinnhaftigkeit dieser Bemühungen haben auch aufgeklärte konventionelle Onkologen inzwischen gut erkannt, können oder wollen jedoch aus eigener Kraft kein Konzept entwickeln. Die psychoonkologische Betreuung in der Rehaklinik kommt leider erst nach Abschluss der sog. Primärtherapie, wenn etwa ein halbes Jahr Leben mit der Diagnose und als bedrohlich empfundenen Therapien gelaufen sind! Immerhin muss ein zertifiziertes Zentrum für die Behandlung einer Krebsentität heute eine minimale psychoonkologische Betreuung vorhalten.

Wir informieren Sie auch über das Engagement der Deutschen Krebsgesellschaft, das sich zunächst noch mehr auf Forschung als auf Implementierung konzentriert, sowie über Neuigkeiten rund um ein Uraltthema, die Misteltherapie. Wir hoffen, dass Stil und Inhalt dieses Schwerpunkthefts beispielhaft für die Diskussion um die kooperative Behandlung von schwerwiegenden Krankheitsbildern sein können, die Lebensqualität und ‐erwartung deutlich einschränken.

Rainer Stange, Berlin

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