PiD - Psychotherapie im Dialog 2009; 10(3): 199-200
DOI: 10.1055/s-0029-1223320
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mode, Macke oder?

Bettina  Wilms, Maria  Borcsa
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
04. September 2009 (online)

Wo immer mehr oder weniger interessierte Psychotherapeuten, Berater, Psychiater zurzeit hinlesen oder hinschauen: Das Wort „Burnout” scheint in aller Munde zu sein, ist in zahlreichen Veröffentlichungen zu finden, wird als „Hingucker” für Anzeigenteile von Fachzeitschriften immer häufiger. Im Internet auf der Suche werden zu den Stichworten Burnout / Beruf allein 220 000 deutschsprachige Seiten ausgewiesen.

Wir dachten also, es sei an der Zeit, auch ein PiD-Heft zu diesem Thema zusammenzustellen.

Allerdings nicht ohne Ambivalenz: Einerseits beschäftigt sich die Tagespresse immer öfter zwischen Ab- und Aufwertung mit dem Thema, andererseits wird in psychiatrischen Fachkongressen über eine neu zu definierende diagnostische Kategorie nachgedacht. In beiden Fällen geschieht dies gleichzeitig aber auch mit dem teilweise pointiert ausgesprochenen Hintergedanken, dass es eine Mode sei, von Burnout zu reden, dass es möglicherweise eine moderne, vielleicht gesellschaftlich anerkannte Form des Drückebergertums sei und der für viele von uns Psychotherapeuten beunruhigenden Befürchtung, selbst davon betroffen sein zu können (als ob das für andere als psychisch beschriebene Störungen nicht gelten würde).

Die wohl augenfälligste Konsequenz dieser Konstellation fanden wir Herausgeberinnen in dem Bemühen nahezu aller unserer Autoren, sich zunächst erst einmal gründlich mit der Definition des Begriffs „Burnout” zu beschäftigen, Erstbeschreiber und Meinungsbildner ausführlich zu zitieren. Um nicht missverstanden zu werden: Es ist nicht so, dass uns das Bemühen um eine klare Begrifflichkeit nicht sachgerecht erscheint, dennoch fiel es uns im Vergleich zu anderen Themen als Unterschied auf.

Einerseits spricht dies dafür, dass der Begriff als Terminus technicus noch nicht fest etabliert ist, möglicherweise in verschiedenen Kontexten und Bedeutungen benutzt wird. Andererseits ist dies vielleicht auch ein Hinweis darauf, dass Autoren, die sich mit Burnout-Mechanismen beschäftigen, offenbar ein großes Bedürfnis haben, sich durch Klärung der Begrifflichkeit auch von etwas abzugrenzen, was immer das auch sein mag.

Aber was macht den Begriff „Burnout” und die Diskussion über Entstehung und Abhilfe in der psychosozialen „Szene” so aktuell, virulent, kontrovers und so drängend?

Ist es das Bewusstsein, dass wir Psychotherapeuten letztlich ebenfalls zu der Hochrisikogruppe der professionellen Helfer gehören, oder das Ringen um die Ätiologie eines Phänomens – wo wir uns doch jahrelang damit befasst haben, uns von Ätiologien in unseren Klassifikationssystemen zu befreien?

Ein anderer Aspekt ist der Markt, der sich um den Begriff „Burnout” gebildet hat: In Fachzeitschriften, im Internet und insbesondere in den Gazetten der Berufsvertretungen finden sich zunehmend wohl gut zahlende Anzeigenkunden, die für Angebote zur Prophylaxe, zur Behandlung von durch Burnout hervorgerufenen Störungen werben und zu verschiedensten Formen von Seminaren, Gruppen- und Einzelinterventionen einladen. Gemeinsam scheint allen diesen Anbietern zu sein, dass sie, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, von einer finanziell solventen Klientel ausgehen, der neben allem, was da möglicherweise auch als Psychoedukation und / oder Therapie daherkommt, insbesondere der Wohlfühleffekt schmackhaft gemacht werden soll. So finden sich mühelos Angebote dieser Art an Orten, die der gemeine Bundesbürger mit „Urlaub” assoziieren würde: Toskana, Mallorca, Südtirol …

Geht es hierbei um Hilfe im psychosozialen Sinne, gegebenenfalls auch um Behandlung im Sinne der gesetzlichen oder privaten Krankenkassen? Sollten solche Leistungen durch die Rentenversicherung bei drohender Erwerbsminderung getragen werden?

Wo ist der Unterschied zwischen Wohlfühlen, Wellness und Walking in der Toskana und einem seriösen Unterstützungsangebot bei beruflicher Überlastung oder bereits eingetretener psychischer / psychosomatischer Störung? Und was passiert mit den Nutzern dieser Angebote, wenn der Aufenthalt in einer Spezialeinrichtung beendet ist, das „Auftankseminar auf Mallorca” nach nur zwei Tagen am Arbeitsplatz gefühlte Jahrhunderte in der Vergangenheit zu liegen scheint?

Sie merken schon, die Liste der Fragen ließe sich mühelos erweitern. Dabei wird deutlich, dass das Thema hochkomplex ist, somit einfache Antworten schwer zu finden sind und es in aller Regel um unterschiedliche Sichtweisen geht.

Spätestens jetzt sollte es Sie nicht mehr wundern, dass dieses Heft von zwei Herausgeberinnen gestaltet wurde, die ihre therapeutische Heimat im systemischen Ansatz sehen. Dennoch werden Sie auch in diesem Heft Beiträge finden, die andere therapeutische Zugangswege nutzen – und sie miteinander kombinieren: Hierbei wird insbesondere im Beitrag von Eva Kopka und ihren Kollegen deutlich, dass diese Kombinationen auch andere nicht ausschließlich verbal arbeitende Berufsgruppen, in diesem Fall die Ergotherapie, einschließen. Noch umfassender tritt dies im Gespräch mit Prof. Weber zutage: In seinem Plädoyer für eine enge Zusammenarbeit mit Arbeitsmedizinern stellt er die reale Praxis der Abgrenzung zwischen Arbeitsmedizin und Psychotherapie nicht nur infrage, sondern fordert auch veränderte Interventionsformen und Strategien. Über eine zunächst sehr ungewöhnlich anmutende Form von Frühintervention und Prophylaxe durch kabarettistische Liveshows und Literatur konnten wir mit Eckart von Hirschhausen sprechen: Unsere Idee, er sei früher mal Arzt gewesen und mache jetzt beruflich etwas grundlegend anderes, wurde dabei ziemlich irritiert …

So dreht sich dieses Heft immer wieder um den Beruf – aber nicht nur: Mit einem Beitrag zur Situation von Angehörigen psychisch Kranker nehmen wir den Aspekt des Überganges von Burnout in andere Lebensbereiche auf – wie wir hoffen, konkret und nicht diffus inflationiert. Es ist eben nicht alles Burnout, was sich nach Erschöpfung anfühlt und nicht alles Folge beruflichen Engagements, was diagnostisch als depressive Episode oder Angsterkrankung eingeordnet wird.

Und gleichzeitig möchten wir dafür werben, sich mit den Menschen zu beschäftigen, die in dieser Zeit zu uns kommen, weil sie irgendetwas über Burnout gehört, gesehen oder gelesen haben, und sich fragen, ob sie betroffen sind. Manch einer wird da eher zögernd bei längerem Nachfragen einräumen, dass er schon mal über Burnout im Internet nachgesucht hat. Und die eine oder andere potenzielle Klientin wird nahezu fordernd in unserer Tür stehen, das Selbsthilfebuch in der Hand, mit dem Satz: „Ich habe Burnout, und ich brauche jetzt ihre Hilfe. Dafür habe ich mir drei Wochen Urlaub genommen und jetzt machen Sie mal …”.

Beide haben etwas gemeinsam: den Wunsch, dass sich irgendetwas verändert … und vielleicht verändert dieses Heft ja auch Ihre Sichtweise auf das Thema Burnout …

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