Psychother Psychosom Med Psychol 2009; 59(7): 251-252
DOI: 10.1055/s-0029-1220358
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kann die Psychotherapieforschung die psychosomatische Praxis verbessern?

Research in Psychotherapy – Does it Improve Psychosomatic Care?Hans-Christian  Deter1 , Manfred  Beutel2
  • 1Abteilung für Psychosomatik und Psychotherapie, Charité Campus Benjamin Franklin, Berlin
  • 2Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsmedizin Mainz
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Publication History

Publication Date:
02 July 2009 (online)

Prof. Hans-Christian Deter

Prof. Manfred Beutel

Psychotherapeutische und suggestive Techniken werden bei somatischen und psychosomatischen Patienten schon seit Jahrhunderten eingesetzt. Nicht erst seit Freud wissen wir, dass die Arzt-Patient-Beziehung für das ärztliche „Behandeln” (d. h. auch mit den Händen arbeiten) entscheidend ist. Charcot und Freud konnten zeigen, dass insbesondere konversionsneurotische oder dissoziative Phänomene einer speziellen interaktiven bzw. psychoanalytischen Behandlung zugänglich waren. Seit dieser Zeit ist Psychotherapie unter dem entscheidenden Einfluss der Psychotherapieforschung in den 50er- und 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts ein wesentlicher Bestandteil der medizinischen Versorgung in Deutschland geworden. Die Einführung des Zusatztitels Psychotherapie und des Facharztes für Psychotherapeutische Medizin sind ebenso Folge dieser einmaligen wissenschaftlichen und politischen Entwicklung in Deutschland wie das Psychotherapeutengesetz mit Einführung des psychologischen Psychotherapeuten.

Das Deutsche Kollegium für Psychosomatische Medizin hat diese Fortschritte in der Krankenversorgung in Deutschland mit ermöglicht und aktiv gestaltet, wobei ihm hierbei die Integration psychotherapeutischer Ansätze in die Allgemeine Medizin [1] und in die einzelnen Fachgebiete ein entscheidendes Anliegen war. Psychotherapie galt hier als ein interdisziplinäres Feld, in dem Psychoanalytiker, Verhaltenstherapeuten, Gesprächstherapeuten, Systemische Therapeuten u. a. gleichberechtigt unabhängig vom Facharztstatus oder Grundstudium tätig waren, aber sich an wissenschaftlichen Kriterien (wie sie vom wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie der Bundesärztekammer definiert wurden) messen lassen mussten. Entscheidend war die psychotherapeutische Kompetenz. Andererseits war dem DKPM die medizinische Versorgung auf ärztlicher Grundlage und die Integration psychotherapeutischer Techniken in die Medizin immer ein besonderes Anliegen, das zum Beispiel mit der jährlichen Vergabe des „A. E. Meyer-Preises” dokumentiert wird (in diesem Jahr erhielten ihn Almut Zeeck, Freiburg und Stefan Doering, Münster).

Dennoch stellt sich die Frage ob die aktuelle Art der Psychotherapieforschung die Ausbildung und individuelle Praxis von Psychotherapeut / Innen langfristig verbessern kann. Es finden sich immer wieder Kollegen, die das infrage stellen und die Unvereinbarkeit von methodischen Erfordernissen der Psychotherapieforschung und der individualisierten Praxisgestaltung in der Arzt-Patient-Beziehung mit einer spezifischen Übertragungs- / Gegenübertragungskonstellation behaupten.

Umgekehrt ist es im Rahmen der wissenschaftlichen Entwicklung in der Medizin, aber auch in der Psychotherapieforschung zu immer höheren methodischen Standards gekommen, die frühere wissenschaftliche Forschungsergebnisse in der psychosomatischen Forschung zunehmend hinterfragen und den Wunsch aufkommen lassen ein aktuelles „Update” auf neuester wissenschaftlicher Grundlage zu erhalten, d. h. psychotherapeutische Techniken in den unterschiedlichen medizinischen Feldern einer genaueren Evaluation zu unterziehen. Diese wird verbandsübergreifend in der Arbeitsgemeinschaft der medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften in Deutschland (AWMF) angestrebt, die die Einführung von S3-Leitlinien für die einzelnen medizinischen Bereich fördert und so einen aktuellen wissenschaftlichen Standard der Evidenz basierten Medizin ermöglicht und hierdurch die Medizin aktualisiert. Diese erarbeiteten Leitlinien bedürfen nun aber wieder einer breiten Diskussion mit den Anwendern und praktizierenden Medizinern. Wissenschaftlich und methodisch interessierten Ärzten und Psychologen diskutieren zurzeit Fragen einer „krankheits- / störungsspezifischen” oder „patientenspezifischen” Psychotherapie, die an die oben genannten Vorbehalte gegenüber den aktuellen Forschungsbemühungen anknüpft. In jedem Fall werden die Schnittstellen zwischen „Allgemeiner Patientenbehandlung”, „psychosomatischer Grundversorgung” und „speziellen psychotherapeutischen Verfahren” in ihren Auswirkungen auf die einzelnen Krankheitsbilder bedeutsam.

Leider sind wir zurzeit sehr oft praktisch gezwungen für unsere Patienten zu entscheiden ohne die evidenzbasierten Handlungsanleitungen in den einzelnen Feldern schon zu besitzen. Wir stehen hier in vielen Bereichen noch am Anfang. Der scheint aber durchaus erfolgversprechend wie die zurzeit laufenden großen DFG- / BMBF-Studien zur koronaren Herzerkrankung, zum Diabetes mellitus, zur Somatisierung, zur sozialen Phobie, zu Essstörungen und zu Panikstörungen belegen [2]. Auch die neue von der DGPT geförderte LAC-Studie wird wichtige Daten zur Differenzialindikation (TFP versus VT) bei chronisch depressiven Störungen erarbeiten. Es stellt sich dabei auch die Frage, ob sich die nun mehr methodisch hervorragend ausgefeilte Therapiemanuale in die tägliche Praxis von Psychotherapeut / Innen zurückübersetzen lassen und von diesen ohne weiteres übernommen werden können? Der letzte gemeinsame DKPM- / DGPM-Kongress unter Einbeziehung von 15 medizinischen Fachgesellschaften, die im psychosomatisch / psychotherapeutischen Feld tätig sind, hat hier neue Anstöße für die Praxis gegeben und den wissenschaftlichen Diskurs in unserem gesellschaftlichen Umfeld neu belebt, ohne die grundsätzlichen oben aufgeworfenen Fragen zu lösen. Wir verstehen dieses eher als einen Prozess der in den letzten Jahren erfolgversprechend angestoßen wurde, dessen Ergebnisse für die medizinische Versorgung in Deutschland aber noch abgewartet werden müssen.

Literatur

Prof. Dr. Hans-Christian Deter

Charité Campus Benjamin Franklin, Abteilung für Psychosomatik und Psychotherapie

Hindenburgdamm 30

12200 Berlin

Email: deter@charite.de

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