MSK – Muskuloskelettale Physiotherapie 2021; 25(03): 104-109
DOI: 10.1055/a-1510-6778
Forum

„Weiterbildungs-Dschungel“ Physiotherapie in Deutschland: Zertifikate als Chance für berufliche Weiterqualifikation

Nadja Himmelseher
,
Wilko Huisman

Einleitung

Als Weiterbildungsanbieter Manuelle Therapie (MT) bleibt es uns nicht verborgen, dass aktuell national und international zahlreiche Diskussionen über die Evidenz der MT geführt werden. Zeitgleich kommt es seit Jahren in Deutschland wiederholt zu berufspolitischen Debatten über die Sinnhaftigkeit von Zertifikatspositionen in der Physiotherapie (PT). Diese Debatten betreffen unsere berufliche Zukunft als Weiterbildungsanbieter MT unmittelbar und den Stellenwert des Fachbereichs MT allgemein.

Mit dem vorliegenden Artikel möchten wir, Nadja Himmelseher und Wilko Huisman, diese Themen im Kontext eines – zumindest nach unserer Wahrnehmung – immer undurchsichtiger werdenden „Weiterbildungs-Dschungels“ in der deutschen PT erörtern. Unserer Ansicht nach fehlt die Transparenz in der PT bei der Anerkennung von beruflichen Qualifikationen. Der Bologna-Prozess [1] hat dazu geführt, dass PT in Deutschland seit dem Jahre 2000 studiert werden kann, dennoch stellt eine 3-jährige Berufsausbildung an einer Fachschule bis jetzt die Regelausbildung in der deutschen PT dar. Da Studiengänge weiterhin offiziell Modellcharakter in Deutschland haben, stellen wir als Weiterbildungsanbieter die Hypothese auf, dass es neben dem Akademisierungsbestreben in der PT lohnend wäre, berufliche Weiterbildung als Anpassungs- und Aufstiegsfortbildung neu zu denken. Unter Berücksichtigung von PT als Ausbildungsberuf halten wir es für erforderlich, den Blick nicht ausschließlich auf den Bologna-Prozess (Hochschulbereich) zu richten, sondern ebenfalls den Kopenhagen-Prozess (berufliche Bildung) miteinzubeziehen (s. Bologna-Prozess & Kopenhagen-Prozess). Der Kopenhagen-Prozess benennt als wichtigste Handlungsfelder Transparenz und Anerkennung von Qualifikationen und die Qualitätssicherung in der beruflichen Bildung [2]. Diese Möglichkeit, vorhandene Weiterbildungsangebote zu prüfen und gemäß der Kopenhagener-Erklärung zu reformieren, bestünde auch im Bereich der PT. Wir sind überzeugt, dass vorhandene Weiterbildungsstrukturen in der PT genutzt werden könnten, um langfristig durchlässige und nachvollziehbare Bildungswege und berufliche Aufstiegsmöglichkeiten zu schaffen.

KOPENHAGEN-PROZESS

2002 vereinbarten die für Berufsbildung zuständigen Minister/-innen und die europäische Kommission eine verstärkte Zusammenarbeit in der beruflichen Bildung, wobei es sich um einen Parallelprozess zum Bologna-Prozess handelt. Das wichtigste Ziel ist die Förderung von Transparenz und Anerkennung von Qualifikationen und Qualitätssicherung von beruflicher Bildung. Verwendete Instrumente sind der EQR und das Europäische Kreditpunktesystem für die berufliche Bildung (ECVET)[2].

BOLOGNA-PROZESS

Ziel des Bologna-Prozesses ist die Schaffung eines einheitlichen Hochschulraumes in Europa. Der Prozess wurde 1999 initiiert. Inhaltlich geht es um die Schaffung eines gemeinsamen, europäischen Kulturraums in Sachen Bildung und um die Konzeption eines gemeinsamen Punktesystems (ECTS-Punkte), sowie Neustrukturierung von Bachelor-, Master- und Doktor-Abschlüssen [1].



Publication History

Article published online:
19 July 2021

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