Notfall & Hausarztmedizin 2007; 33(10): 492-493
DOI: 10.1055/s-2007-992858
Blickpunkt

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kommentierung der Arbeit von Elliott & Meyer, Lancet 2007 - Diabetesentwicklung unter Antihypertensiva

Further Information
#

Korrespondenz

Priv.-Doz. Dr. med. Peter Bramlage

Institut für Klinische Pharmakologie

Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus

Technische Universität Dresden

Fiedlerstraße 27

01307 Dresden

Email: peter.bramlage@mailbox.tu-dresden.de

Publication History

Publication Date:
05 November 2007 (online)

 
Table of Contents

Zwischen der Höhe des Blutdrucks und dem kardiovaskulären Risiko besteht ein linearer Zusammenhang [1]. Um einen Schwellenwert für die Erhöhung des Blutdrucks festzulegen und damit die Notwendigkeit einer Behandlung anzuzeigen, wurde ein Grenzwert von 140/90 mmHg festgelegt [2]. Dieser Grenzwert soll jedoch bei kardialen Risikopatienten deutlich unterschritten werden (Diabetes: <130/<80 mmHg) [2]. Trotz einer Vielzahl von verfügbaren Antihypertensiva ist die Blutdruckeinstellung aber vielfach nicht optimal [3] und selbst bei guter Blutdruckeinstellung bleibt ein Restrisiko der arteriellen Hypertonie bestehen, das über das kardiale Risiko normotensiver Vergleichspersonen hinausgeht. Ursachen dafür sind ausweislich einer Analyse der HOT(Hypertension Optimal Treatment)-Studie weitere metabolische Risikofaktoren, die trotz optimaler Blutdruckeinstellung persistieren. Sie sind zum Teil durch die Art der Pharmakotherapie determiniert.

#

Studie untersucht Diabetes-Inzidenz durch Pharmakotherapie

Schon seit 1958 ist bekannt, dass einzelne Antihypertensiva die Glukosetoleranz verschlechtern und die Patienten häufiger einen Diabetes mellitus entwickeln, als wenn sie mit Placebo behandelt worden wären ([4], [5]). Bisher war es allerdings schwierig, die mit der Hypertonie und begleitenden Risikofaktoren einhergehende Diabetes-Inzidenz gegenüber einer Pharmakotherapie induzierten Diabetes-Inzidenz abzugrenzen. Um diese Frage zu beantworten, wurde von Elliott und Meyer eine Netzwerk-Metaanalyse durchgeführt und im Lancet veröffentlicht [6]. Sie umfasst die Daten von 143153 Patienten aus 22 randomisierten klinischen Studien.

Von besonderem Interesse war in diesem Kontext der Vergleich von ACE-Hemmern mit AT1-Rezeptorblockern, da für beide Substanzen bereits ein günstiger Effekt im Hinblick auf die Diabetes-Entwicklung gezeigt wurde. AT1-Rezeptorblocker waren in einer traditionellen Metaanalyse in allen bisher durchgeführten Vergleichen den jeweiligen Vergleichssubstanzen überlegen. Hier lagen aktuelle Daten zu Losartan im Vergleich zu Betablockern aus der LIFE-Studie (OR 0,73; 95% CI 0,62-0,87), zu Valsartan im Vergleich zu Kalziumantagonisten aus der VALUE-Studie (OR 0,78; 95% CI; 0,70-0,88) und zu Candesartan vor. Candesartan reduzierte in der ALPINE-Studie die Diabetes-Inzidenz gegenüber Thiaziden (OR 0,12; 95% CI 0,01-0,97), sowie in den kombinierten Daten aus SCOPE und CHARM im Vergleich zu Placebo (OR 0,80; 95% CI 0,67-0,95). AT1-Rezeptorblocker wurden jedoch bisher nicht direkt mit ACE-Hemmern in randomisierten Studien mit dem Endpunkt Diabetes-Entwicklung verglichen. Die methodische Besonderheit der Netzwerk-Metaanalyse erlaubt jedoch auch den indirekten Vergleich zweier Therapiestrategien, die in direkten Vergleichsstudien nicht untersucht wurden.

#

Vergleich von AT1-Rezeptorblockern und ACE-Hemmern

Unter der Behandlung mit AT1-Rezeptorblockern, ACE-Hemmern, Kalziumantagonisten oder auch Placebo zeigte sich eine deutlich geringere Diabetes-Inzidenz. Referenz war eine Diuretika-Therapie. Diese Aussage galt nicht für Patienten, die mit Betablockern behandelt wurden (Abb. [1]).

Zoom Image

Abb. 1 Patienten mit einem AT1-Rezeptorblocker (ARB), ACE-Hemmern, Kalziumkanalblockern (CCBs) oder nur Placebo-Medikation entwickeln seltener einen Diabetes als Patienten mit Diuretika-Behandlung. (nach Elliott (6))

Nahm man dagegen Placebo als Referenz, konnte keine statistisch unterschiedliche Diabetes-Inzidenz für ACE-Hemmer, Kalziumantagonisten und Betablocker gezeigt werden (Abb. 2). Während Diuretika-behandelte Patienten allerdings signifikant häufiger einen Diabetes entwickelten (OR 1,30; 95% CI 1,07-1,58) als unter Placebo, war die Diabetes-Inzidenz unter einer Behandlung mit AT1-Rezeptorblockern deutlich reduziert (OR 0,75; 95% CI 0,61-0,91). Individuelle Vergleiche zwischen ACE-Hemmern und AT1-Rezeptorblockern beziehungsweise zwischen Betablockern und Diuretika erbrachten allerdings keine statistische Signifikanz.

Zoom Image

Abb. 2 Patienten mit einem AT1-Rezeptorblocker (ARB) entwickeln seltener einen Diabetes und Patienten mit einer Betablocker- oder Diuretika-Therapie häufiger einen Diabetes als Patienten unter Placebo. CCBs = Kalziumkanalblocker. (nach Lam [7])

Die Ergebnisse der Metaanalyse wurden in zwei Leserbriefen von Lam & Owen [7] sowie von Johnston [8] diskutiert. Lam & Owen merkten an, dass das von Elliott gewählte Modell nicht für zufällige Effekte aus randomisierten Studien mit mehreren Behandlungsarmen korrigiert sei. Sie schlugen eine Bayesian Netzwerk-Analyse vor und präsentierten auch deren Ergebnisse: Zusätzlich signifikant höhere Diabetes-Inzidenz unter der Verwendung von Betablockern im Vergleich zu Placebo (OR 1,25; 95% CI 1,06-1,50) bei ansonsten vergleichbaren Aussagen. Johnston bemerkte in seiner Stellungnahme, dass, je neuer ein Medikament sei, umso weniger Diabetes-Entwicklung zu beobachten sei und führte das auf die weniger lange Erfahrung mit diesen Medikamenten zurück. Dieser Aussage wurde von Elliott mit dem Einwand widersprochen, dass neuere Medikamente - sozusagen als Zulassungskriterium - besser sein müssten als alte und dass die nicht zugelassene Substanzklasse der Vasopeptidase-Inhibitoren beziehungsweise der Endothelin-Antagonisten dafür ein gutes Beispiel sei.

#

"Rangordnung" der Substanzen mit diabetogener Potenz belegt

Zusammenfassend scheinen die Daten der vorliegenden Analyse hinreichend robust, um Unterschiede in der diabetogenen Potenz verschiedener Substanzklassen zu belegen. Die Autoren folgern aus ihrer Arbeit, dass es sozusagen eine "Rangordnung" gebe, die von AT1-Rezeptorblockern angeführt werde und bei welcher Diuretika das Schlusslicht bilden.

#

Kommentar - Was bedeuten die Studienergebnisse für die Therapie?

Diuretika sind heute zu Recht aufgrund der Senkung von Morbidität und Mortalität wichtige Bausteine in der Therapie von Patienten mit arterieller Hypertonie. Vielfach sind sie unverzichtbarer Bestandteil einer antihypertensiven Kombinationstherapie, dessen Einsatz eine adäquate Blutdrucksenkung überhaupt erst erlaubt. Sinnvoll ist hier ein in vielen Fixkombinationen von zum Beispiel AT1-Rezeptorblockern mit niedrig dosierten Diuretika umgesetztes Therapieprinzip, das erst kürzlich in einer Analyse von Law und Kollegen bestätigt wurde [9]. Er konnte in seinen Analysen zeigen, dass es bei Diuretika, Betablockern und Kalziumantagonisten zu einer Dosis-abhängigen Zunahme nicht nur der Wirksamkeit, sondern auch der Nebenwirkungen kommt, während die Nebenwirkungen einer RAS-Blockade in allen Dosierungen vergleichbar waren. Seine Empfehlung, eine hoch dosierte RAS-Blockade mit niedrig dosierten Nicht-RAS-Blockern zu kombinieren, hat sich bis heute auch in der Praxis durchgesetzt.

Diuretika und Betablocker nur begrenzt geeignet

Als Monotherapie erscheinen Diuretika allerdings auf der Basis der vorliegenden Daten nur begrenzt geeignet. Während die amerikanischen Guidelines des Joint National Committee on the Prevention, Detection, Evaluation and Treatment of High Blood Pressure (JNC VII) [10] die Verwendung von Diuretika weiterhin empfehlen, halten sich europäische Empfehlungen hier deutlich zurück [2]. Großbritannien geht mit den Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen noch deutlich weiter. Aufgrund der befürchteten ökonomischen Konsequenzen einer Diabetes-Entwicklung werden Diuretika und Betablocker hier als Medikamente der dritten beziehungsweise vierten Wahl eingestuft [11]. Eingewendet wird in diesem Kontext gelegentlich die fehlende Evidenz für die kardiovaskuläre Bedeutung der Diabetesentwicklung [12]. Dieses Fehlen erscheint allerdings aufgrund der Langfristigkeit der beschriebenen Veränderungen nur zu verständlich und kann nicht als Legitimation für Medikamente mit geringeren Stückkosten herhalten [13].

Problematik bei jüngeren und kardialen Risikopatienten

Insbesondere bei zwei definierten Patientengruppen erscheint der Einsatz von Diuretika und auch Betablockern problematisch: Bei jüngeren Patienten ist die Nachhaltigkeit der beschriebenen metabolischen Veränderungen unter Diuretika und Betablockern ein wichtiger Aspekt. Bei einer Diagnosestellung im Alter von 35 Jahren und einer voraussichtlichen Behandlungsdauer von mehr als 40 Jahren sollte metabolischen Komplikationen ein besonderes Augenmerk gewidmet werden. Obwohl randomisierte, kontrollierte Studien zu dieser Fragestellung aufgrund der niedrigen kurzfristigen Inzidenz von kardiovaskulären Ereignissen in dieser Patientengruppe fehlen, ist hier einer RAS-Blockade und im Hinblick auf die niedrigere Inzidenz von weiteren Nebenwirkungen (Stichwort: Husten bei ACE-Hemmern) den AT1-Rezeptorblockern der Vorzug zu geben [14]. Das NICE empfiehlt daher gerade für junge Patienten den Einsatz von RAS-blockierenden Substanzen. Eine weitere Patientengruppe, bei denen der Einsatz von hoch dosierten Diuretika schwierig erscheint, sind kardiale Risikopatienten (z. B. Patienten mit metabolischem Syndrom). Diese Patienten weisen neben der arteriellen Hypertonie eine Reihe weiterer metabolischer Veränderungen auf. Das metabolische Syndrom ist vor allem bei älteren Patienten Hinweis auf eine begleitende Glukosetoleranzstörung, eine spätere Diabetesentwicklung und häufigere kardiovaskuläre Ereignisse. Daher erscheint der Einsatz von Diuretika hier kontraproduktiv.

Von AT1-Rezeptorblockern profitieren besonders zwei Patientengruppen

Zusammenfassend sehe ich auf Basis der vorliegenden Analyse einen Einsatz von AT1-Rezeptorblockern insbesondere bei jüngeren Patienten, deren Bluthochdruck häufig durch eine Angiotensin-II-Erhöhung gekennzeichnet ist und bei denen die langfristige metabolische Neutralität und gute Verträglichkeit ein wichtiges Anliegen ist. Darüber hinaus profitieren Patienten mit Metabolischem Syndrom sowie Patienten mit Typ-2-Diabetes vom Einsatz von AT1-Rezeptorblockern, da diese im Hinblick auf die Entwicklung eines Diabetes, aber auch weiterer Endorganschäden günstige Effekte nachgewiesen haben. Häufig ist der AT1-Rezeptorblocker hier Bestandteil einer antihypertensiven Kombinationstherapie.

Zoom Image
#

Literatur

  • 01 Lewington S . Clarke R . Qizilbash N . et al . Lancet. 2002;  360 1903-1913
  • 02 Mancia G . De Backer G . Dominiczak A . et al . J Hypertens. 2007;  25 1105-1187
  • 03 Sharma AM . Wittchen HU . Kirch W . et al . J Hypertens. 2004;  22 479-486
  • 04 Goldner MG . Zarowitz H . Akgun S . N Engl J Med. 1960;  262 403-405
  • 05 Hollis WC . JAMA. 1961;  176 947-949
  • 06 Elliott WJ . Meyer PM . Lancet. 2007;  369 201-207
  • 07 Lam SK . Owen A . Lancet. 2007;  369 1513-1514; author reply 4-5
  • 08 Johnston GD . Lancet. 2007;  369 1514-author reply 4-5
  • 09 Law MR . Wald NJ . Morris JK . Jordan RE . BMJ. 2003;  326 1427-1431
  • 10 Chobanian AV . Bakris GL . Black HR . et al . JAMA. 2003;  289 2560-2571
  • 11 National Institute for Health and Clinical Excellence: Hypertension: management of hypertension in adults in primary care, a partial update of NICE clinical guideline 18. 2006. 
  • 12 Barzilay JI . Davis BR . Cutler JA . et al . Arch Intern Med. 2006;  166 2191-2201
  • 13 Fox CS . Sullivan L . D'Agostino RB Sr . Wilson PW . Diabetes Care. 2004;  27 704-708
  • 14 Belcher G . Hubner R . George M . et al . J Hum Hypertens. 1997;  11 Suppl 2 S85-S89
#

Korrespondenz

Priv.-Doz. Dr. med. Peter Bramlage

Institut für Klinische Pharmakologie

Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus

Technische Universität Dresden

Fiedlerstraße 27

01307 Dresden

Email: peter.bramlage@mailbox.tu-dresden.de

#

Literatur

  • 01 Lewington S . Clarke R . Qizilbash N . et al . Lancet. 2002;  360 1903-1913
  • 02 Mancia G . De Backer G . Dominiczak A . et al . J Hypertens. 2007;  25 1105-1187
  • 03 Sharma AM . Wittchen HU . Kirch W . et al . J Hypertens. 2004;  22 479-486
  • 04 Goldner MG . Zarowitz H . Akgun S . N Engl J Med. 1960;  262 403-405
  • 05 Hollis WC . JAMA. 1961;  176 947-949
  • 06 Elliott WJ . Meyer PM . Lancet. 2007;  369 201-207
  • 07 Lam SK . Owen A . Lancet. 2007;  369 1513-1514; author reply 4-5
  • 08 Johnston GD . Lancet. 2007;  369 1514-author reply 4-5
  • 09 Law MR . Wald NJ . Morris JK . Jordan RE . BMJ. 2003;  326 1427-1431
  • 10 Chobanian AV . Bakris GL . Black HR . et al . JAMA. 2003;  289 2560-2571
  • 11 National Institute for Health and Clinical Excellence: Hypertension: management of hypertension in adults in primary care, a partial update of NICE clinical guideline 18. 2006. 
  • 12 Barzilay JI . Davis BR . Cutler JA . et al . Arch Intern Med. 2006;  166 2191-2201
  • 13 Fox CS . Sullivan L . D'Agostino RB Sr . Wilson PW . Diabetes Care. 2004;  27 704-708
  • 14 Belcher G . Hubner R . George M . et al . J Hum Hypertens. 1997;  11 Suppl 2 S85-S89
#

Korrespondenz

Priv.-Doz. Dr. med. Peter Bramlage

Institut für Klinische Pharmakologie

Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus

Technische Universität Dresden

Fiedlerstraße 27

01307 Dresden

Email: peter.bramlage@mailbox.tu-dresden.de

 
Zoom Image

Abb. 1 Patienten mit einem AT1-Rezeptorblocker (ARB), ACE-Hemmern, Kalziumkanalblockern (CCBs) oder nur Placebo-Medikation entwickeln seltener einen Diabetes als Patienten mit Diuretika-Behandlung. (nach Elliott (6))

Zoom Image

Abb. 2 Patienten mit einem AT1-Rezeptorblocker (ARB) entwickeln seltener einen Diabetes und Patienten mit einer Betablocker- oder Diuretika-Therapie häufiger einen Diabetes als Patienten unter Placebo. CCBs = Kalziumkanalblocker. (nach Lam [7])

Zoom Image