Aktuelle Traumatol 2007; 37(1): 51-55
DOI: 10.1055/s-2007-965179
Originalarbeit

Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Beeinflusst die Kooperationsfähigkeit das funktionelle Resultat operativ behandelter proximaler Oberarmfrakturen im Senium?

Is Functional Outcome of Operatively Treated Proximal Humeral Fractures in Elderly Patients Influenced by Patient's Capability?M. Walz1 , B. Kolbow2 , E. Esmer1
  • 1Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Handchirurgie (Chefarzt: Priv.-Doz. Dr. med. M. Walz), Klinikum Herford
  • 2Abteilung für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Klinikum Uelzen (Komm. Leiter: B. Kolbow)
Further Information

Priv.-Doz. Dr. med. Martin Walz

Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Handchirurgie
Klinikum Herford

Schwarzenmoorstraße 70

32049 Herford

Phone: 05221/94-2423

Email: walzmed@web.de

Publication History

Publication Date:
22 May 2007 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Studienziel: Die proximale Humerusfraktur ist eine typische osteoporoseassoziierte Verletzung des alten Menschen. Mit dieser Arbeit sind wir der Frage nachgegangen, ob die Kooperationsfähigkeit das funktionelle Resultat operativ behandelter proximaler Oberarmfrakturen beeinflusst. Methode: Die Daten von 60 Patienten im Alter > 69 Jahre mit 2- und 3-Fragment-Frakturen, die mit einem proximalen Humerusnagel versorgt worden waren, wurden analysiert. Anhand zweier pflegerischer Assessments (Barthel-Index, Norton-Skala) wurden die Patienten in kooperationsfähige (K-Gruppe, n = 32) und nicht-kooperationsfähige (NK-Gruppe, n = 28) unterschieden. 6 Wochen, 6 Monate und 12 Monate postoperativ erfolgten klinische und radiologische Kontrollen, bei denen der Constant-Score ermittelt wurde. Ergebnisse: Das Durchschnittsalter lag bei 77,8 (70 - 93) Jahren, wobei sich die K-Gruppe mit 76,3 (71 - 93) Jahren und NK-Gruppe mit 78,2 (70 - 91) Jahren nicht wesentlich unterschieden. Im Rahmen der Nachuntersuchung wurden folgende Constant-Scores ermittelt: K-Gruppe 60,2/67,3/70,2 Punkte und NK-Gruppe 54,3/56,1/57,3 Punkte. Die Werte des Constant-Scores unterschieden sich zwischen den beiden Gruppen trotz ähnlicher Altersverteilung zu allen Nachuntersuchungszeitpunkten signifikant (p < 0,0001) voneinander. Ebenso zeigten die kooperationsfähigen Patienten im Verlauf eine signifikant (p < 0,0001) höhere Zunahme der Score-Werte. Schlussfolgerung: Neben der in der Literatur beschriebenen Altersabhängigkeit besteht nach unseren Ergebnissen eine Beeinflussung des funktionellen Resultates proximaler Humerusfrakturen im Senium durch die Kooperationsfähigkeit des Patienten, sodass diese zukünftig bei Untersuchungen an Patienten im höheren Lebensalter Berücksichtigung finden sollte.

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Abstract

Aim: Proximal humeral fracture is a common injury in elderly people suffering from osteoporosis. The purpose of this study was to examine whether the mental capability has influence on the functional outcome of proximal humeral fractures treated operatively. Method: We have studied datas of 60 patients older than 69 years with 2- and 3-part-fractures of the proximal humerus treated with antegrade intramedullary nailing. Patients were divided into a mental capable (C-group, n = 32) and non-capable group (NC-group, n = 28) using the Barthel-Index (Disability-Score) and the Norton-Scale (decubitus-risk-evaluation), which are used in nursing assessment. Clinical and radiological follow-up was performed at 6 weeks, 6 and 12 months after operation. Functional outcome was measured using the Constant-Score. Results: The mean age was 77.8 (70 - 93) years for all patients, 76.3 (71 - 93) for the C-group and with 78.2 (70 - 91) years similar for the NC-group. At the time of 6 weeks, 6 and 12 months Constant-Score was 60.2/67.3/70.2 points for the C-group and 54.3/56.1/57.3 points for the NC-group. Differences were significant (p < 0.0001) comparing both groups at every follow-up point as well as for the increase of the Constant-Score from 6 weeks to 12 months despite a comparable mean age. Conclusion: Age-depending functional outcome after proximal humeral fracture has been described in the literature before. Regarding to our results functional outcome is even markely influenced by the capability in elderly patients. Due to these results functional outcome after proximal humeral fractures in elderly treated operatively should be studied with respect to the mental capability of these patients.

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Einleitung

Die proximale Humerusfraktur ist eine häufige Verletzung des alten Menschen und gehört neben Wirbelsäulenfrakturen und Frakturen des Handgelenkes und des coxalen Femurs zu den häufigsten osteoporoseassoziierten Frakturen. Insbesondere in der Gruppe der Patienten über 70 Jahren ist eine Häufigkeitszunahme zu beobachten [[16]]. Spezifische Probleme des Seniums sind Osteoporose, Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit und senile Demenz. Mit proximalen Humerusnägeln und winkelstabilen Platten haben sich neue Implantate etabliert, die den Forderungen nach geringer Invasivität und hoher Stabilität gerecht werden. Sie erlauben auch bei osteoporotischem Knochen eine stabile Frakturversorgung, die eine primär funktionelle Nachbehandlung zur raschen Wiederherstellung der Schulterfunktion ermöglicht. Der Fähigkeit an der krankengymnastischen Nachbehandlung effektiv teilzunehmen sowie der Motivation zu eigentätigen Übungen und zum selbstständigen Einsatz der betroffenen Extremität ist ein Einfluss auf das funktionelle Ergebnis zu unterstellen. Wir haben den Eindruck gewonnen, dass sich die Nachbehandlung und die Funktionswiederherstellung insbesondere bei den Patienten schwierig gestaltete, die in ihrer geistigen Leistungs- und Mitwirkungsfähigkeit sowie Eigenmotivation durch eine Demenz unterschiedlicher Ausprägung eingeschränkt waren. Bei der Durchsicht der Literatur fanden sich keine Studien zu funktionellen Resultaten nach proximalen Humerusfrakturen in Abhängigkeit von der Kooperationsfähigkeit des Patienten. Um diesem Aspekt unter Betrachtung eines Osteosyntheseverfahrens mit einem einheitlichen Nachbehandlungskonzept genauer nachzugehen, haben wir die vorliegende retrospektive Untersuchung durchgeführt.

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Material und Methoden

Es handelt sich um eine retrospektive Studie (EBM-Level II), in die Patienten (n = 60) mit einem Alter oberhalb 69 Jahren eingeschlossen wurden, die aufgrund einer proximalen Humerusfraktur operativ mittels proximalem Humerusnagel (PHN) versorgt worden waren. Die Operation erfolgte bei allen Patienten innerhalb der ersten 24 Stunden nach Aufnahme durch geschlossene Reposition und Stabilisierung mittels PHN (T2 Proximal Humeral Nail, Fa. Stryker®). Am ersten postoperativen Tag wurde mit einer physiotherapeutisch geführten Übungsbehandlung unter Einschluss passiver und aktiver Bewegungsübungen begonnen; ansonsten war den Patienten der schmerzorientierte Einsatz des betroffenen Armes erlaubt; auf eine Immobilisierung wurde verzichtet. Bei Entlassung wurde grundsätzlich die Fortsetzung der Physiotherapie empfohlen. Ausgeschlossen wurden Patienten mit begleitendem höhergradigen Schädel-Hirn-Trauma (II°/III°) und Begleitverletzungen wie zum Beispiel ipsilateralen Rippenfrakturen, die relevanten Einfluss auf die Nachbehandlungsphase nehmen können. Ausgeschlossen wurden weiterhin drei Patienten, bei denen Revisionseingriffe (Reosteosynthese: 2, Implantation einer Oberarmkopfprothese: 1) notwendig geworden waren. Wir untersuchten alle Patienten mit proximalen Oberarmfrakturen im Rahmen einer weiteren laufenden Studie nach 6 Wochen, 6 und 12 Monaten klinisch und radiologisch nach. Eingeschlossen wurden nur Patienten, bei denen diese Daten komplett verfügbar waren. Zur klinischen Untersuchung gehört die Erhebung des funktionellen Status unter Verwendung des Constant-Scores (max. 100 Punkte: Beweglichkeit - 40 P., Kraft - 25 P., Aktivitäten des täglichen Lebens - 20 P. und Schmerzen - 15 P.) [[2], [19]]. Da ein Teil der Patienten in der Anamnese verschiedene Vorschädigungen der Gegenseite aufwies, wurde keine Auswertung anhand des seitenadaptierten Constant-Scores vorgenommen. Durch das hohe Einschlussalter und ein in beiden Gruppen vergleichbares Durchschnittsalter war der Vergleich beider Gruppen auch über den nicht alterskorrigierten Constant-Score möglich. Die Ermittlung des Constant-Scores ist bei dementen Patienten nicht unproblematisch, aber prinzipiell geeignet, da er Funktion und Aktivitäten des täglichen Lebens als objektive Parameter stärker berücksichtigt als den Schmerz als subjektives Kriterium. Subjektive Scores sind nur eingeschränkt vergleichbar, da sie aufgrund reduzierter Ansprüche des alten Menschen gegenüber objektiven relativ besser ausfallen. Ebenso ist der Versorgungssituation des Patienten (häuslich allein, häuslich mit Angehörigen, Altenheim, Pflegeeinrichtung) eine Beeinflussung des subjektiven Resultates zu unterstellen. Auf eine gesonderte Auswertung der radiologischen Ergebnisse haben wir aufgrund der bekannten Diskrepanz zwischen radiologischem und klinischem Resultat verzichtet [[4], [13]].

Ein Problem bestand in der Differenzierung kooperationsfähiger und nicht-kooperationsfähiger Patienten. Hierzu existieren weder Definitionen, Publikationen noch etablierte Scoringsysteme in der unfallchirurgisch-orthopädischen Literatur. Da diese Untersuchung nicht als prospektive Untersuchung angelegt war, war ein geriatrisches Assessment ärztlicherseits nicht erhoben worden. Im Rahmen einer Voruntersuchung haben wir bereits auf zwei in der Krankenpflege etablierte Scoresysteme (Barthel-Index, Norton-Skala) zurückgegriffen, die in unserer Klinik im Pflegebereich regelhaft bei allen Patienten höheren Alters direkt bei der stationären Aufnahme erhoben werden [[11], [14]]. Der Barthel-Index dient der Einschätzung der Selbstversorgungsfähigkeit des Patienten über die Erfassung grundlegender Alltagsfunktionen. Er beinhaltet 10 Items, mit denen als Maximum 100 Punkte als Ausdruck einer uneingeschränkten Eigenständigkeit erreicht werden können: Essen, Aufsetzen und Umsetzen, Sich-Waschen, Toilettenbenutzung, Baden/Duschen, Aufstehen und Gehen, Treppensteigen, An-/Auskleiden, Stuhlinkontinenz, Harninkontinenz. Die Norton-Skala wird zur Erfassung des Dekubitus-Risikos eingesetzt und umfasst 9 Items, mit denen maximal 36 Punkte als Ausdruck eines minimalen Risikos erreichbar sind. Bei 25 Punkten und weniger ist von einem relevanten Dekubitus-Risiko auszugehen; in diesen Fällen wird eine Dekubitus-Prophylaxe geplant und durchgeführt. Folgende Faktoren werden bewertet (1 - 4 Punkte): Bereitschaft zur Kooperation/Motivation, Alter, Hautzustand, Zusatzerkrankungen, körperlicher Zustand, geistiger Zustand, Aktivität, Beweglichkeit, Inkontinenz. Für unsere Fragestellung waren die Kriterien „Bereitschaft zur Kooperation/Motivation“ und „geistiger Zustand“, mit denen maximal 8 Punkte zu erreichen sind, von Bedeutung. Wir haben deshalb Patienten, die in der Norton-Skala < 5 Punkte und (!) im Barthel-Index < 51 Punkte erreicht haben, als „nicht kooperationsfähig“ eingeordnet.

Zur statistischen Auswertung wurde der Wilcoxon-Mann-Whitney-U-Test zum Vergleich der Ergebnisse beider Gruppen sowie der Wilcoxon-Singned-Ranks-Test zum Vergleich der Resultate zu den drei Untersuchungszeitpunkten innerhalb der beiden Gruppen angewandt (StatXact 5©, Cytel Software Corporation, Cambridge, MA, USA).

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Ergebnisse

Eingeschlossen wurden 60 Patienten, die im Zeitraum von 7/2003 bis 6/2005 behandelt worden waren. Das Durchschnittsalter lag bei 77,8 (70 - 93) Jahren. 43 Patienten (71,7 %) waren weiblichen und 17 (28,3 %) männlichen Geschlechts. Die rechte Seite war in 37 (61,7 %) und die linke in 23 Fällen (38,3 %) betroffen. Es handelte sich um 26 (43,3 %) 2-Fragment- und 43 (56,7 %) 3-Fragment-Frakturen nach Neer. An Begleitverletzungen waren SHT I° (7) und ipsilaterale Radiusfrakturen (3) zu verzeichnen. Die stationäre Verweildauer betrug im Mittel 10,2 (7 - 15) Tage (Tab. [1]).

Tab. 1 Datenübersicht der Gesamtgruppe (n = 60) sowie der Gruppe kooperativer (K-Gruppe, n = 32) und nicht-kooperativer Patienten (NK-Gruppe, n = 28)

Gesamtheit (n = 60)

K-Gruppe (n = 32)

NK-Gruppe (n = 28)

Alter (Jahre)

77,8 (70 - 93)

76,3 (71 - 93)

78,2 (70 - 91)

Geschlecht

männlich

weiblich

17 (28,3 %)

43 (71,7 %)

10 (31,3 %)

22 (68,7 %)

7 (25,0 %)

21 (75,0 %)

Seite

rechts

links

37 (61,7 %)

23 (38,3 %)

18 (56,3 %)

14 (43,7 %)

19 (67,9 %)

9 (32,1 %)

Frakturtyp

2-Fragment

3-Fragment

26 (43,3 %)

34 (56,7 %)

14 (43,8 %)

18 (56,2 %)

12 (42,9 %)

16 (57,1 %)

Begleitverletzungen

SHT I°

Radiusfraktur

7 (11,7 %)

3 (5,0 %)

3 (9,4 %)

1 (3,1 %)

4 (14,3 %)

2 (7,1 %)

Barthel-Index (Punkte)

57,6 (23 - 100)

73,6 (51 - 100)

38,3 (23 - 50)

Norton-Skala (Punkte)

5,1 (2 - 8)

7,1 (5 - 8)

2,7 (2 - 4)

Verweildauer (Tage)

10,2 (7 - 15)

9,3 (7 - 13)

12,2 (9 - 15)

Constant-Score (Punkte) (Mittel, Range, SD)

6 Wochen

6 Monate

12 Monate

57,5 (45 - 68) ± 4,9

62,1 (47 - 74) ± 6,8

64,1 (49 - 76) ± 7,8

60,2 (54 - 68) ± 3,2

67,3 (59 - 74) ± 3,7

70,2 (62 - 76) ± 3,9

54,3 (45 - 62) ± 4,6

56,1 (47 - 64) ± 4,2

57,3 (49 - 64) ± 4,7

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Kooperationsfähigkeit

Anhand der bei Patientenaufnahme erhobenen Daten des Barthel-Index und der Norton-Skala wurden 32 Patienten (53,3 %) als kooperationsfähig und 28 (46,7 %) als nicht-kooperationsfähig eingestuft. Die Mittelwerte dieser beiden Score-Systeme (Barthel/Norton) unterschieden sich bei den kooperationsfähigen Patienten (73,6 [52 - 93]/7,1 [5 - 8]) und bei den nicht-kooperationsfähigen Patienten (38,3 [21 - 50]/2,7 [2 - 4]) deutlich voneinander (Tab. [1]). Auch wenn diese Differenzierung sich nur an der (unsererseits willkürlich festgelegten) unteren und oberen Hälfte der Punkteskala orientierte, war anhand der Mittelwerte eine deutliche Unterscheidung beider Gruppen in diesen Scores bei jedoch vergleichbarem Durchschnittsalter erkennbar. Eine direkte Abhängigkeit zwischen dem mittleren Patientenalter und dem Barthel-Index bzw. der Norton-Skala bestand interessanterweise in den beiden Gruppen nicht. Keiner der Patienten, der in der Norton-Skala < 5 Punkte erreicht hatte, wies im Barthel-Index mehr als 50 Punkte auf.

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Gruppenmerkmale

Bezüglich Geschlecht, Seitenverteilung und Frakturtyp unterschieden sich kooperative (K-Gruppe) und nicht-kooperative Patienten (NK-Gruppe) nicht wesentlich (Tab. [1]). Die stationäre Verweildauer war in der NK-Gruppe mit 12,2 (9 - 15) Tagen höher als in der K-Gruppe mit 9,3 (7 - 13) Tagen. Das Durchschnittsalter der NK-Gruppe lag mit 78,2 (70 - 91) Jahren nur unwesentlich höher als das der K-Gruppe mit 76,3 (71 - 93) Jahren. Interventionspflichtige Komplikationen traten bei den 60 Patienten nicht auf; die Konsolidierung wurde bei allen Patienten erreicht. Eine Metallentfernung wurde aufgrund implantatassoziierter Beschwerden bei insgesamt 6 Patienten innerhalb der ersten 12 Monate postoperativ durchgeführt (3 × K-Gruppe, 3 × NK-Gruppe). Die Patienten wurden mit sechs Ausnahmen (2 × K-Gruppe, 4 × NK-Gruppe), die vorübergehend in eine Einrichtung zur Kurzzeitpflege verlegt wurden, in ihre gewohnte Umgebung (eigene Wohnung, Seniorenwohnanlage, Altersheim) entlassen. Soweit dieses anhand von Angaben der Patienten, Angehörigen und Hausärzte zu ermitteln war, erfolgte eine physiotherapeutische Behandlung nach Entlassung in der K-Gruppe bei 17/32 (50,0 %) und in der NK-Gruppe bei 12/28 (42,9 %) der Patienten über einen Zeitraum von 3 - 6 Wochen.

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Funktionelle Resultate

Für die Zeitpunkte 6 Wochen, 6 und 12 Monate postoperativ ergaben sich für alle 60 Patienten folgende Werte (Mittelwert ± SD, Minimum - Maximum, SD = Standardabweichung): 57,5 ± 4,9 (45 - 68) - 62,1 ± 6,8 (47 - 74) - 64,1 ± 7,8 (49 - 76) (Tab. [1]). Diese zeigten das bekannte Phänomen, dass sich die Schulterfunktion nach proximalen Humerusfrakturen über einen Zeitraum von 12 Monaten verbessern kann, bevor ein endgültiges Resultat erreicht wird. Die Gegenüberstellung der beiden Gruppen ergab folgende Werte (Abb. [1]):

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Abb. 1 Constant-Score der kooperativen (Koop) und nicht-kooperativen Patienten (Nkoop) zu den Nachuntersuchungszeitpunkten 6 Wochen, 6 und 12 Monate postoperativ.

  • K-Gruppe: 60,2 ± 3,2 (54 - 68) - 67,3 ± 3,7 (59 - 74) - 70,2 ± 3,9 (62 - 76) Punkte.

  • NK-Gruppe: 54,3 ± 4,6 (45 - 62) - 56,1 ± 4,2 (47 - 64) - 57,3 ± 4,7 (49 - 64) Punkte.

Die Resultate der beiden Gruppen unterschieden sich zu allen drei Zeitpunkten signifikant (p < 0,0001) voneinander. Ebenso zeigte die statistische Auswertung, dass die Zunahme der Score-Werte, mithin die funktionelle Verbesserung innerhalb der ersten 12 Monate postoperativ in der K-Gruppe signifikant höher (p < 0,0001) als in der NK-Gruppe war.

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Diskussion

Abgesehen von wenigen Hinweisen auf Probleme des Patienten im Senium wie Osteoporose, Demenz und Compliance existieren keine gezielten Untersuchungen zu funktionellen Resultaten operativ behandelter Oberarmkopffrakturen in Abhängigkeit vom Patientenalter [[13]]. Unter dem Begriff „Compliance“ werden Faktoren wie Demenzgrad, Kooperationsfähigkeit und Motivation subsummiert. Obgleich es im Bereich der Neurologie und geriatrischen Rehabilitation eine Reihe etablierter Testverfahren zur Evaluation der geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit gibt, sind vergleichbare Assessments für die Einstufung von Patienten nach diesen Kriterien in der traumatologisch-orthopädischen Literatur nicht gebräuchlich. Ein deutlicher Einfluss von Alter und Demenzgrad auf die Einschränkung der Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL = activities of daily living) ist nachgewiesen [[1]]. Ebenso ist eine Abhängigkeit zwischen Alter und Komorbidität und dem postoperativen Verlauf sowie funktionellen Resultaten nach proximalen Humerusfrakturen und hüftgelenknahen Femurfrakturen nachgewiesen [[9], [12], [13], [15]]. Lill und Mitarb. [[10]] weisen auf den Einfluss von Alter, Osteoporosegrad und Compliance bei der Therapiewahl in der Versorgung proximaler Humerusfrakturen hin. Auch für den älteren Patienten wird, insofern der Kopferhalt möglich ist, die interne Osteosynthese vor dem Hintergrund besserer funktioneller Resultate gegenüber der Humeruskopfprothese empfohlen [[6]]. Koukakis und Mitarb. [[9]] berichten über 1-Jahres-Resultate nach Einsatz einer winkelstabilen Platte bei 20 Patienten mit einem Durchschnittsalter von 61,8 (31 - 85) Jahren und ermitteln einen Constant-Score von 76,1 (30 - 100) Prozent (ohne Hinweis auf alters- oder seitenadaptierte Score-Werte). Für die Patienten < 65 Jahre beträgt der Score 80,4 (30 - 100) Prozent, während er unter den Patienten > 65 Jahre mit 72,7 (42 - 100) Prozent schlechter ausfällt. Hente und Mitarb. [[5]] beobachten nach Versorgung von 3- und 4-Fragmentfrakturen bei 28 Patienten mittels winkelstabiler Platte mit einer deutlichen Ausnahme (</> 55 Jahre) bei den Head-Split-Frakturen ansonsten keinen signifikanten Einfluss des Patientenalters auf das funktionelle Resultat. Das mittlere Alter ihrer Patienten liegt bei 60,7 (20 - 84) Jahre, der Constant-Score beträgt nach durchschnittlich 16,5 Monaten 72 ± 10 (43 - 100) Punkte. Das relativ niedrige Durchschnittsalter lässt einen hohen Anteil kooperationsfähiger Patienten vermuten. Betrachtet man Untersuchungen zur Schulterfunktion nach Humeruskopffrakturen, so ist das Durchschnittsalter der Patienten mit 52 - 64,2 Jahren meist deutlich niedriger als in der eigenen Patientengruppe (77,8 Jahre) [3, 5, 8, 9, 17, 18]. Stedtfeld und Mitarb. [18] berichten über 95 mittels proximalem Humerusnagel versorgte Frakturen. Das mittlere Alter der männlichen Patienten liegt mit 61,9 Jahren deutlich unter dem der weiblichen Patienten mit 72,6 Jahren. Die Ergebnisse dieser Arbeit berücksichtigen aber im Weiteren diesen Altersunterschied nicht. Vergleicht man die Literaturangaben zum Constant-Score 12 Monate postoperativ (Typ A - C nach AO, winkelstabile Platte, proximaler Humerusnagel), so werden Werte von 62 - 85,7 Punkten angegeben [3, 5, 8, 9, 17, 18]. Vor dem Hintergrund eines um nahezu 15 Jahre höheren Durchschnittsalter der eigenen Patienten ist das Ergebnis aller 60 Patienten 12 Monate postoperativ mit 64,1 Punkten schlechter, was die beschriebene Altersabhängigkeit funktioneller Resultate nach proximaler Humerusfraktur unterstreicht [9, 15]. Die einzige Arbeit, die sich speziell mit der Versorgung proximaler Oberarmbrüche bei älteren Patienten (> 60 Jahre) beschäftigt, stellt Resultate nach Anwendung eines PHN vor [13]. Das Durchschnittsalter der 39 Patienten liegt hier bei 81 (62 - 102) Jahren. Unter 41 Fakturen finden sich 16-mal 2-Segment-, 22-mal 3-Segment- und dreimal 4-Segmentfrakturen. Nach einem Nachuntersuchungsintervall von 13 (7 - 21) Monaten beträgt der Constant-Score 57 ± 12 Punkte. Unter den acht jüngeren Patienten (62 - 72 Jahre) wird mit 64 Punkten ein besseres Ergebnis ermittelt. Diese Angaben entsprechen den eigenen und bestätigen nochmals die Altersabhängigkeit. Die Autoren führen die schlechten Resultate unter den nachuntersuchten Patienten auf einen Anteil von 50 % Patienten mit schlechter Compliance zurück, ohne dass für diese Differenzierung Kriterien genannt werden. Der genannte Anteil unkooperativer Patienten entspricht etwa dem Anteil von 46,7 % nicht-kooperationsfähiger unter den eigenen Patienten. Diese Arbeit ist nach eigenen Recherchen die einzige, die über einen Einfluss der Patienten-Compliance berichtet [[13]]. Aus unserer Sicht nicht sicher zu beurteilen ist der Einfluss der physiotherapeutischen Nachbehandlung nach Entlassung. So finden sich in der Literatur Hinweise auf einen eher negativen Einfluss der postoperativen Immobilisierung und die Bedeutung eines individuellen Rehabilitationsprogramms mit rascher Mobilisierung der Schulter für das funktionelle Resultat [[7], [17]]. Die Beobachtung, dass sich die Schulterfunktion auch nach Ablauf der ersten Monate bei vielen Patienten noch weiter verbessert, obgleich die physiotherapeutische Behandlung zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen ist, macht einen wesentlichen Einfluss zumindest fraglich ([[3], [18]], eigene Ergebnisse).

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Schlussfolgerung

Wir konnten nachweisen, dass sich die funktionellen Resultate proximaler Humerusfrakturen nach Versorgung mittels PHN zwischen kooperationsfähigen und nicht-kooperationsfähigen Patienten trotz eines vergleichbaren mittleren Alters beider Gruppen signifikant unterscheiden. Der Aspekt der Kooperationsfähigkeit bzw. Compliance ist bislang in Untersuchungen nicht oder nur unzureichend berücksichtigt worden. Vor dem Hintergrund unserer Ergebnisse stellt sich die Frage, ob die in der Literatur beschriebene Altersabhängigkeit des funktionellen Resultates unmittelbar durch das Patientenalter oder möglicherweise indirekt durch die mit steigendem Alter abnehmende Kooperationsfähigkeit begründet ist. Aufgrund des nachgewiesenen Einflusses dieses Parameters sollte die Patienten-Compliance bei der Untersuchung funktioneller Ergebnisse proximaler Oberarmfrakturen im höheren Lebensalter nicht unberücksichtigt bleiben. Hierzu wäre allerdings ein geeignetes Assessment zur Differenzierung der Kooperationsfähigkeit zu fordern, um zukünftige Studien auch unter diesem Aspekt vergleichbar zu machen.

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Interessenkonflikt

Der korrespondierende Autor versichert, dass keine Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt, bestehen.

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Danksagung

Herrn Dr. P. Degens, Berufsgenossenschaftliches Forschungsinstitut für Arbeitsmedizin, BG-Klinik Bergmannsheil, Bochum) danke ich für die Unterstützung bei der statistischen Auswertung.

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Literatur

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Priv.-Doz. Dr. med. Martin Walz

Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Handchirurgie
Klinikum Herford

Schwarzenmoorstraße 70

32049 Herford

Phone: 05221/94-2423

Email: walzmed@web.de

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Literatur

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Priv.-Doz. Dr. med. Martin Walz

Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Handchirurgie
Klinikum Herford

Schwarzenmoorstraße 70

32049 Herford

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Email: walzmed@web.de

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Abb. 1 Constant-Score der kooperativen (Koop) und nicht-kooperativen Patienten (Nkoop) zu den Nachuntersuchungszeitpunkten 6 Wochen, 6 und 12 Monate postoperativ.