intensiv 2007; 15(1): 4-13
DOI: 10.1055/s-2006-927384
Intensivpflege

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Atemtherapeutische Maßnahmen beim spontanatmenden Intensivpatienten

Oliver Rothaug1 , Arnold Kaltwasser2
  • 1Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin, Anästhesiologie II - Operative Intensivstation 0118, Universitätsklinikum Göttingen
  • 2Klinikum am Steinenberg, Reutlingen
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Publication Date:
18 March 2008 (online)

Einleitung

Pulmonale Komplikationen stellen für den ohnehin physisch geschwächten sowie infektionsanfälligen Intensivpatienten gerade nach einer Langzeitbeatmungstherapie ein enormes Problem dar. Durch den häufig reduzierten Allgemeinzustand und der vorhandenen Grunderkrankung bzw. erfolgten Operation können pulmonale Komplikationen beim Patienten eine lebensbedrohliche Situation darstellen. Die im schlimmsten Fall aus den pulmonalen Komplikationen resultierende nosokomiale Pneumonie ist nach den Harnwegsinfektionen die zweithäufigste Hospitalinfektion in den westlichen Industrieländern [1]. In der Intensivmedizin beträgt ihr Anteil ca. 54 % [2] [3] und ist damit in diesen Behandlungsbereichen die häufigste Infektionskrankheit. Das Eintreten derartiger Komplikationen führt zu einer längeren Behandlungsdauer, die mit höheren Behandlungskosten verbunden ist und im schlimmsten Fall zum Tod des Patienten führt. Die maßgeblichen Probleme, die zu einer Verschlechterung der pulmonalen Situation des Patienten beitragen können, sind Immobilität, Belüftungsstörungen, Sekretverhalt, Schmerzzustände, Infektionen, Kooperationsdefizite und Personalmangel.

Als Risikofaktoren für pulmonale Komplikationen gelten hohes Alter, reduzierter Allgemein- und Ernährungszustand, Nikotinabusus, vorbestehende pulmonale Erkrankungen, Adipositas und thorax-, abdominalchirurgische Eingriffe [4] [5].

Die derzeitige Bestrebung ist es, den Intensivpatient so früh wie möglich von der Beatmung zu entwöhnen und zu extubieren, um Komplikationen zu vermeiden, die durch den Endotrachealtubus und der maschinellen Beatmung entstehen können. Der folgende Artikel beschäftigt sich mit den atemtherapeutischen Maßnahmen, die beim spontanatmenden Patienten angewandt werden können. Dieser Artikel soll dazu beitragen, pflegetherapeutische Fachkompetenzen zu erweitern und Tipps für die praktische Anwendung atemtherapeutischer Maßnahmen zu geben.

Atemtherapeutische Maßnahmen müssen jederzeit individuell dem jeweiligen Patienten und seinen spezifischen respiratorischen Problemen angepasst und durchgeführt werden. Ziel ist es, drohende oder bereits bestehende respiratorische Insuffizienzen durch die Verbesserung der alveolaren Ventilation und Bewältigung von Sekrettransport-/-abgabe-Problemen abzuwenden bzw. zu therapieren.

Das setzt voraus, dass insbesondere die Pflegenden Kenntnisse über atemtherapeutische Maßnahmen erlangen und diese anwenden können. Die Atemtherapie kann nicht nur während der Anwesenheit der Physiotherapeuten erfolgen, sondern muss über den Tag verteilt Anwendung finden. Wichtig für einen optimalen Genesungsverlauf des Patienten ist eine enge Zusammenarbeit zwischen den Pflegenden und den Physiotherapeuten.

Die Atemtherapie muss als Aufgabe des gesamten Teams verstanden werden.

Aufgrund der unterschiedlichen Lehrinhalte in den Grundausbildungen im Bereich der Atemtherapie ist es sinnvoll, spezifische Therapien und Anwendungen (z. B. Muskeldehntechniken oder Hautreizgriffen u. a.) der Physiotherapie zu überlassen oder sie von einander zu erlernen.

Die Wirksamkeit vieler Maßnahmen zur Atemtherapie ist nicht oder nur auf niedrigem Evidenzniveau belegt. Gerade über die Effektivität der Maßnahmen beim intensivpflichtigen Patienten gibt es kaum Untersuchungen. In den meisten Studien wurden Patienten mit chronischen Atemwegserkrankungen eingeschlossen. Es lassen sich die Ergebnisse dieser Untersuchungen nicht in vollem Maße auf alle spontanatmenden Intensivpatienten übertragen. Sie können aber dazu beitragen, ein besseres Verständnis über die Wirkungsweise der Maßnahme zu erlangen, um sie individuell an den pulmonalen Problemen des Intensivpatienten orientiert anzuwenden.

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Oliver Rothaug

Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin, Anästhesiologie II - Operative Intensivstation 0118, Universitätsklinikum Göttingen

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