Dtsch Med Wochenschr 2005; 130(44): 2524-2527
DOI: 10.1055/s-2005-918599
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Hochschulpolitik
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Des Kaisers Neue Kleider
oder :
Neue Strukturmodelle für Universitätsklinika[1]

The Emperor‘s New Clothes: New structures for university hospitalsJ. R. Siewert1
  • 1Chirurgische Klinik und Poliklinik, Technische Universität München
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eingereicht: 11.7.2005

akzeptiert: 5.10.2005

Publication Date:
27 October 2005 (online)

Die deutschen Universitätsklinika haben eine lange Tradition. Sie reicht z. T. über 200 Jahre zurück. Seit etwa 150 Jahren hat sich eine Fächerstruktur herausgebildet, die zunächst methodisch begründet war. Konsequenterweise erfolgte in den historischen Universitätsklinika als erster Schritt eine Aufteilung in konservative und operative Medizin. Durch die Einführung der Äthernarkose im Jahre 1847 war elektive Chirurgie als Voraussetzung für ein eigenständiges Fach möglich geworden. Aus diesen so entstandenen konservativen und operativen Bereichen der Medizin haben sich im Laufe der letzten 150 Jahre eine Vielfalt von Spezialitäten - meist methodisch oder organbezogen orientiert - entwickelt.

Die Universitätsklinika des 21. Jahrhunderts spiegeln diese historische Entwicklung in ihrer Fächerstruktur wider und haben deshalb mit geringen Ausnahmen fast identische Strukturen. Bevor man über neue Strukturmodelle nachdenkt, muss man anerkennend würdigen, dass aus dieser traditionellen Fächerstruktur alle Fortschritte der modernen Medizin hervorgegangen sind und dass diese Spezialisierung der wesentliche Motor des medizinischen Fortschritts war.

Nur um einem Modetrend zu folgen oder um etwas Neues zu schaffen, darf diese gewachsene Fächerstruktur nicht leichtfertig in Frage gestellt werden, denn sonst geht es den Universitätsklinika wie dem Kaiser mit den neuen Kleidern in dem gleichnamigen Märchen. Vielmehr muss diese traditionelle Fächerstruktur sinnvoll geöffnet und weiter entwickelt werden, um den neuen Rahmenbedingungen, die auch den Universitäten heute vorgegeben sind, gerecht zu werden.

Die Hochschulmedizin ist derzeit - wie auch die meisten anderen Krankenhäuser, insbesondere die der Maximalversorgung - von dem Problem der so genannten Kosten-Erlösschere betroffen. Auf der einen Seite haben wir es mit steigenden Personal- Sach- und Kapitalkosten sowie einem Investitionsstau in Technologie und medizinischer Infrastruktur zu tun. Auf der anderen Seite stehen dem fixe Budgets, sinkende Erlöse infolge Basisfallwertanpassung, Fallzahlrückgang, Ersatz stationärer durch ambulante Leistungen, eine abnehmende finanzielle Unterstützung durch die Träger sowie steigende Tarifkosten gegenüber. Diese Kosten-Erlösschere allein erfordert ein kritisches Überdenken der derzeitigen Strukturen der Universitätsklinika.

Dazu kommen die speziellen Konsequenzen aus der Neueinführung des DRG-Entgeltsystems. DRGs bezahlen Diagnosen und Prozeduren und nicht die an den Universitätsklinika üblichen fächerspezifischen Egoismen und Verlegungskarussells. Sie verlangen nach prozessorientierten Strukturen und clinical pathways und bilden zudem die super-maximal Versorgung bzw. die Unikatleistungen der Universitätsklinika nur unzureichend ab. Deshalb zwingen sie zu einer so genannten Querfinanzierung, d. h. zur Regenerierung von Einnahmen aus der so genannten Regelversorgung. Zudem führen die DRGs zu einer an sich begrüßenswerten Verkürzung stationärer Liegezeiten und damit Verlagerung von medizinischen Leistungen in den ambulanten Bereich, ohne aber diese ausreichend zu finanzieren.

Auch die für die Universitäten typischen zusätzlichen Leistungen, nämlich die klinische Forschung und die Lehre, haben sich neue Rahmenbedingungen ergeben. Die klinische Forschung ist mehr und mehr krankheitsorientiert und verlangt eine Intensivierung der so genannten Translationsforschung, d. h. der Forschungsverbünde zwischen Grundlagenforschung und klinischer Forschung. Die Lehre ist durch die neue Approbationsordnung geregelt, die das problemorientierte Lehren und nicht mehr das fachspezifische Lehren im Zentrum hat.

1 Nach einem Vortrag gehalten auf dem Innovationskongress der Deutschen Hochschulmedizin im Juni 2005 in Berlin)

1 Nach einem Vortrag gehalten auf dem Innovationskongress der Deutschen Hochschulmedizin im Juni 2005 in Berlin)

Prof. Dr. J. R. Siewert

Direktor der Chirurgischen Klinik und Poliklinik der TU München, Klinikum rechts der Isar

Ismaninger Straße 22

81675 München

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