psychoneuro 2005; 31(4): 197-203
DOI: 10.1055/s-2005-870081
Schwerpunkt

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Depressionen: Eine Störung der Neuroplastizität?

Depression - an impairment of neural plasticityEberhard Fuchs1 , 2 , Gabriele Flügge1
  • 1Labor für Klinische Neurobiologie, Deutsches Primatenzentrum, Göttingen
  • 2Abteilung Neurologie, Bereich Humanmedizin, Universität Göttingen
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Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. Eberhard Fuchs
PD Dr. Gabriele Flügge

Labor für Klinische Neurobiologie Deutsches Primatenzentrum

Kellnerweg 4

37077 Göttingen

Email: efuchs@gwdg.de

Email: gfluegg@gwdg.de

Publication History

Publication Date:
09 May 2005 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Die Entwicklung neuer Ansätze zur medikamentösen Behandlung von Depressionen hat in den vergangenen Jahren kaum Fortschritte gemacht, und trotz intensivster Bemühungen konnte die Pathophysiologie von depressiven Erkrankungen nicht vollständig aufgeklärt werden. Inzwischen hat sich jedoch in der neurobiologisch orientierten Psychiatrie die Vorstellung durchgesetzt, dass depressive Erkrankungen nicht nur als eine Störung des zentralnervösen Neurotransmitter-Stoffwechsels, sondern auch als Beeinträchtigung grundlegender neuroplastischer Prozesse zu verstehen sind. Mit der Überlegung, dass nicht nur Nerven-, sondern auch Gliazellen an neuropsychiatrischen Erkrankungen beteiligt sind, eröffnen sich neue Erklärungsmodelle, die möglicherweise auch in verbesserte Therapieformen münden könnten.

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Summary

Despite extensive investigations there was little success in recent years with respect to an improvement of therapies for depressive disorders and the understanding of the etiology and pathophysiology of the disorders.

A current hypothesis postulates that depression is not only related to dysfunctioning of central nervous neurotransmitter systems but may also be related to impairments of neural plasticity. The idea that both neurons and glia cells are involved in the pathophysiology of depressive disorders provides a new and stimulating approach also for the development of new treatment strategies.

Das „Monoamin-Defizit” galt lange als eine der entscheidenden neurobiologischen Ursachen von Depressionen und bestimmte über viele Jahre die Forschung auf diesem Gebiet. Nach dieser Hypothese sind depressive Erkrankungen primär auf ein zerebrales Defizit der monoaminergen Neurotransmitter Serotonin, Noradrenalin und/oder Dopamin zurückzuführen. Diese Vorstellung führte u.a. zur Entwicklung der Gruppe der spezifischen Monoamin-Wiederaufnahmehemmer, welche die klassischen Antidepressiva wie Monoaminoxidase-Inhibitoren oder trizyklische Antidepressiva weitgehend ablösten.

Trotz intensivster Bemühungen konnte die Pathophysiologie depressiver Erkrankungen bisher jedoch nicht vollständig aufgeklärt werden. Auch ist nicht schlüssig geklärt, wie die gängigen und erfolgreich eingesetzten Antidepressiva ihre positive Wirkung entfalten und damit zur Linderung depressiver Symptomatik führen. Antworten auf diese offenen Fragen erhofft man sich von neuen, in den letzten Jahren entwickelten Theorien über die neurobiologischen Ursachen depressiver Erkrankungen. Neben einer Dysfunktion auf neuromodulatorischer Ebene, u.a. durch Monoamine aber auch durch Neuropeptide vermittelt, weisen aktuelle Ergebnisse verschiedenster präklinischer und klinischer Studien darauf hin, dass Störungen der neuroplastischen Prozesse mit verantwortlich sein könnten für depressive Erkrankungen [12] (siehe auch Beitrag von Vollmert und Braus in diesem Heft).

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Neue Zellen für das (erfahrene) Gehirn?

Über viele Jahrzehnte galt in der Neurobiologie die Auffassung, dass es im Zentralnervensystem (ZNS) erwachsener Säugetiere einschließlich des Menschen keine Neubildung von Nervenzellen (Neurogenese) gibt. Diese Auffassung basierte primär auf den Arbeiten von Santiago Ramón y Cajal, der als Pionier der Neuroanatomie als erster die Struktur von Neuronen detailliert beschrieb und die neuronalen Netzwerke im adulten ZNS folgendermaßen charakterisierte: „In adult centres the nervous paths are something fixed, ended, immutable. Everything may die, nothing may be regenerated” [3]. Damit schienen sich Gehirn und Rückenmark deutlich vom peripheren Nervensystem und anderen Organen zu unterscheiden, welche regenerative Fähigkeiten besitzen und in denen spontan neue Zellen gebildet werden können. Die Vorstellungen Cajals hatten lange Zeit einen starken Einfluss auf die Interpretation neurowissenschaftlicher Studien und bewirkten u.a., dass eine Reihe neurodegenerativer Krankheiten als therapieresistent betrachtet wurde.

Aufgrund einer Untersuchung an Ratten stellte dann aber Altman 1962 die Frage, ob im Gehirn adulter Säugetiere nicht doch neue Nervenzellen gebildet werden [2]. Dieser Arbeit wurde jedoch über viele Jahre keine besondere Bedeutung beigemessen, möglicherweise weil die verwendete Methode der Autoradiographie mit radioaktiv markiertem Thymidin auf zellulärer Ebene sehr aufwändig und störanfällig ist. Mit der Entwicklung von Antikörpern gegen das Thymidinanalogon 5-Bromo-2'-deoxyuridin (BrdU) hat sich dies geändert. BrdU wird während der Synthesephase sich teilender Zellen in die DNA eingebaut und kann in Gewebeschnitten immunzytochemisch nachgewiesen werden; dadurch können sich teilende Zellen auf relativ einfache Weise sichtbar gemacht werden [15]. Hiermit war eine Entwicklung angestoßen, die unser Wissen über strukturelle Plastizität des ausdifferenzierten Zentralnervensystems grundlegend verändert hat. Inzwischen ist Neurogenese bei Vertretern der verschiedensten Säugetiergruppen einschließlich des Menschen nachgewiesen worden. Im adulten, ausdifferenzierten ZNS entstehen neue Nervenzellen in der subventrikulären Zone des anterioren Seitenventrikels und in der subgranulären Zone des Gyrus dentatus, einem Teil der Hippocampus-Formation. Der neuronale Charakter dieser neugeborenen Zellen konnte sowohl auf ultrastruktureller Ebene, durch retrograde Markierung ihrer Neuriten, als auch immunozytochemisch mit Neuronen-spezifischen Antikörpern nachgewiesen werden. Unser Wissen zur Regulation der Entwicklung dieser Zellen ist in letzter Zeit stetig gewachsen, doch wissen wir bisher nur wenig darüber, welche funktionelle Relevanz den neu gebildeten Neuronen schließlich zukommt [18].

Der Nachweis von Neurogenese im adulten Gehirn hatte aber konzeptionelle Konsequenzen für die neurobiologische Psychiatrie, und heute werden Störungen der Neuroplastizität als mögliche Ursachen für eine Reihe neuropsychiatrischer Erkrankungen diskutiert. Seitdem man weiß, dass auch im erwachsenen, ausdifferenzierten Gehirn lebenslang neue Nervenzellen gebildet werden, haben diese Konzepte neuen Auftrieb erhalten [6]. Wir können heute davon ausgehen, dass die Hirnentwicklung gewissermaßen lebenslang nicht aufhört, und dass neurale Vorläuferzellen bzw. die ständige Neubildung von Nervenzellen, zumindest in bestimmten Regionen, für normale Hirnfunktionen unerlässlich sind.

Durch welche Faktoren wird die Neurogenese reguliert? Untersuchungen, besonders an Mäusen und Ratten, zeigten, dass eine ganze Palette von Faktoren die Neurogeneserate bzw. die Lebensdauer von Neuronen in der Hippocampus-Formation kontrolliert. Hierzu zählen der genetische Hintergrund und die Umwelt, in der die Tiere leben. Auch das Geschlecht und schließlich das Alter beeinflussen die Neurogenese. Ist die Umwelt strukturiert und anregend, lernen die Tiere ständig. Passen sie sich ständig an neue Herausforderungen an, so erhöht sich die Zahl und die Lebensdauer der Nervenzellen.

Was sind die molekularen Mechanismen dieser sehr unterschiedlich wirkenden regulatorischen Faktoren? Als Mediatoren kommen u.a. Hormone, Neurotransmitter und Wachstumsfaktoren in Frage. Offenbar haben verschiedene Hormone eine wichtige Funktion bei der Regulation der Neurogenese im adulten Gyrus dentatus, doch ist bisher primär die Rolle der adrenalen Kortikosteroide Kortikosteron bzw. des Kortisols genauer untersucht worden [8]. Dabei zeigte sich, dass Glukokortikoide inhibitorisch auf die Neurogenese wirken. Die Zunahme der Zahl neuer Nervenzellen (Proliferationsrate) steigt nach Adrenalektomie und sinkt unter Stress, wenn die Konzentration an Glukokortikoiden im Plasma hoch ist.

Sind Tiere emotionalen Belastungen (Stress) ausgesetzt, so kommt es u.a. durch die erhöhten Kortikosteron- bzw. Kortisolkonzentrationen im Blut zu einem deutlichen Abfall der Neubildung von Nervenzellen im Hippocampus, einem Hirngebiet, welches eine wichtige Rolle bei Lern- und Gedächtnisvorgängen spielt [8]. Der Befund der Stress-induzierten Abnahme der Neurogeneserate wurde als ein weiterer Baustein im Verständnis der Entstehung depressiver Erkrankungen angesehen. Nach diesem Konzept laufen am Anfang einer depressiven Erkrankung im Gehirn Prozesse ab, die eine Form emotionalen Lernens darstellen und die, wie andere Lernprozesse auch, auf neuronaler Plastizität basieren. Bei entsprechender individueller Disposition bzw. unter chronischer Belastung kann es dann zu persistierenden Veränderungen kommen, denen das System nicht eigenständig entgegenwirken kann, sondern eine therapeutische Unterstützung z.B. in Form einer antidepressiven Behandlung oder Verhaltenstherapie benötigt.

In einer Reihe von tierexperimentellen Untersuchungen konnten wir nachweisen, dass verschiedene Antidepressiva bei psychosozial belasteten Tieren die Abnahme der Neurogeneserate im Gyrus dentatus kompensieren, d.h. die eingeschränkte Plastizität in diesem Teil des Gehirns wieder aufheben können. Dagegen hatten die Substanzen bei unbelasteten Tieren keinen Einfluss auf die Neurogenese [4] [23]. Aus diesen und anderen präklinischen Studien entwickelte sich in den vergangenen Jahren die „Neurogenese-Theorie der Depression”. Nach dieser derzeit kontrovers diskutierten Vorstellung soll die Depression („major depression”) u.a. auf einer gestörte Neurogenese-Rate im Gyrus dentatus des Hippocampus beruhen [9] [10].

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Depressive Erkrankungen und strukturelle Veränderungen im Gehirn

Seit 1993 wurden in einer Vielzahl von Untersuchungen die Hippocampi depressiver Patienten mit magnetresonanztomographischen (MRI) Methoden volumetrisch untersucht. Aus den Befunden ergibt sich, dass offenbar eine negative Korrelation zwischen dem Volumen des Hippocampus und der Dauer einer nicht behandelten Depression besteht. Eine erfolgreiche Behandlung führt dagegen zu einer Normalisierung des Hippocampus-Volumens [19]. Ähnliche Ergebnisse haben wir in unseren tierexperimentellen Studien erhalten. Verglichen mit einer Kontrollgruppe hatten psychosozial belastete Tiere ein signifikant verringertes Hippocampus-Volumen. Wurden die gestressten Tiere jedoch mit Antidepressiva behandelt, waren ihre Hippocampus-Volumina nicht von denen der Kontrolltiere zu unterscheiden [4] [23].

Was könnten die Ursachen für die Abnahme des Hippocampus-Volumens sein? Die Volumenabnahme zusammen mit einer Verringerung kognitiver Leistungen wird von einigen Autoren auf den Verlust von Pyramidenneuronen im Cornu amonis zurückgeführt [17]. Diese Erklärung ist jedoch in jüngster Zeit durch die Anwendung stereologischer Methoden bei der Bestimmung der Neuronenzahlen zunehmend in Frage gestellt worden. Eigene tierexperimentelle Untersuchungen zeigen, dass es in Folge psychosozialer Belastung zu keiner signifikanten Abnahme der Anzahl der Pyramidenneurone kommt. Daher können weder die Reduktion des Hippocampus-Volumens noch die Normalisierung durch Antidepressiva mit einer Änderung der Zahl von Pyramidenneuronen erklärt werden [7]. Wegen seiner im Verhältnis zum Gesamtvolumen des Hippocampus geringen Größe scheiden der Gyrus dentatus und die dort beobachteten Effekte auf die Neurogeneserate als Erklärung für die Änderungen im Hippocampus-Volumen aus.

Eine andere Überlegung betrifft die Rolle der Kortikosteroide als mögliche Auslöser neuroplastischer Veränderungen. Bei vielen depressiven Patienten findet man erhöhte Plasmaspiegel dieser Hormone. Nach unserem heutigen Wissensstand sind Kortisol beziehungsweise Kortikosteron mit verantwortlich für sowohl erfolgreiche als auch nicht erfolgreiche Anpassungsprozesse des Gehirns in Reaktion auf Stress. Damit spielen diese Hormone eine scheinbar paradoxe Rolle, da sie einerseits für den Stoffwechsel der Zellen des Organismus unerlässlich sind, andererseits bei chronisch erhöhten Konzentrationen negative Auswirkung auf die Zellen im Gehirn haben können. Von allen Regionen des Gehirns hat die Hippocampus-Formation die höchste Dichte von Rezeptoren für Kortisol/Kortikosteron [5].

Schon vor etwas mehr als 50 Jahren gab es Befunde, wonach ein chronischer Überschuss von Kortisol die Morphologie von Neuronen modifiziert. Diese Ergebnisse gerieten für einige Jahre in Vergessenheit, erlangten dann aber vor etwa 20 Jahren u.a. durch die Arbeiten von Bruce McEwen neue Aktualität. In dem initialen Experiment erhielten Ratten über mehrere Wochen Kortikosteron, und bei den anschließenden histologischen Untersuchungen wurde eine deutliche Abnahme der apikalen Dendriten von Pyramidenneuronen in der Hippocampus-Region CA3 beobachtet [13]. In Zusammenarbeit mit Bruce McEwen konnten wir zeigen, dass „psychischer Stress” ebenfalls ein „Schrumpfen” der apikalen Dendriten der Pyramiden-Neurone in der Region CA3 bewirkt [11]. Darüber hinaus ist - zumindest im Tierexperiment - die Stress-induzierte Verkleinerung der Dendritenbäume reversibel und kann zudem von Antidepressiva verhindert werden [13]. Mit diesen Prozessen verbunden ist ein ständiger Umbau von Synapsen (synaptische Plastizität) und damit auch eine ständige Änderung in der inter-neuronalen Kommunikation.

Ein anderer Hinweis auf die Rolle von Kortikosteroiden bei der Regulation des Hippocampus-Volumens kommt aus MRI-Untersuchungen von Cushing-Patienten. Diese haben kleinere Hippocampi als gesunde Probanden. Wird bei Cushing-Patienten eine transsphenoidale Mikroadenomektomie durchgeführt, sinken die Kortisolkonzentrationen im Plasma auf Normalwerte, und es kommt zu einer Normalisierung des Hippocampus-Volumens [21].

Während bildgebende Verfahren wie MRI, MRS (magnetic resonance spectroscopy) oder PET (positron emission tomography) wichtige Hinweise auf die morphologische Zuordnung und Lokalisation der zerebralen Dysfunktionen erlauben, wurden die zellulären Konsequenzen depressiver Erkrankungen in den letzten Jahren durch post mortem Analysen von Hirngewebe untersucht. Studien auf mikroskopischer Ebene zeigten, dass sowohl „major depression” als auch bipolare Erkrankungen neben den vermuteten biochemischen Veränderungen auch von Änderungen in der Morphologie und Verteilung von Zellen im Gehirn begleitet werden. So wurden sowohl für Neurone als auch für Gliazellen Veränderungen in der Dichte und Größe in einer Reihe fronto-limbischer Hirnregionen wie präfrontalen, orbitofrontalen und anterioren zingulären Kortex, Amygdala und Hippocampus berichtet. Interessanterweise findet man im Hippocampus eine Erhöhung der Zelldichte, während diese im frontalen Kortex abnimmt [16]. Diese quantitativen neuroanatomischen Arbeiten bestätigen und substantiieren die Befunde aus den Studien mit bildgebenden Verfahren, in denen volumetrische und metabolische Veränderungen in diesen Hirnregionen beschrieben wurden [Abb. 1].

Die Ursachen der histopathologischen Veränderungen, die post mortem in Gehirn-Material gefunden wurden, sind momentan noch nicht bekannt. So ist unklar, in wieweit genetische Risikofaktoren bzw. Entwicklungsstörungen die Progression der Erkrankung bedingen, und/oder ob die Einnahme antidepressiver Medikamente abnormale Veränderungen in Neuronen und Gliazellen hervorruft. Auch ist die Frage offen, ob erfolgreiche und lang anhaltende Therapien die histopathologischen Veränderungen, welche auf eine eingeschränkte Neuroplastizität schließen lassen, wieder rückgängig machen können.

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Glia und ihre mögliche Rolle bei neuroplastischen Veränderungen

Insgesamt stellt sich neuronale Plastizität im Gehirn in verschiedenen Formen dar, nämlich als Neurogenese, als ständiger Umbau von Synapsen und damit verbundene Änderungen in der inter-neuronalen Kommunikation, bis zu Änderungen in der Expression von Genen, die für neuronale Strukturproteine codieren bzw. an der Steuerung der neuronaler Aktivität beteiligt sind. Darüber hinaus verändern sich im ZNS aber nicht nur die Strukturen der Neurone ständig, sondern auch die über viele Jahre wenig beachteten Gliazellen.

Die Gesamtheit der Gliazellen, die etwa 100-mal zahlreicher als Neurone sind, stellt keine einheitliche Gruppe dar, sondern wird von verschiedenen Populationen von Astrozyten, Oligodendrozyten und Mikroglia gebildet. Neben ihren klassischen Funktionen z.B. bei der neuronalen Migration (Radialglia), Myelinbildung (Oligodendrozyten) und Entzündungsprozessen (Astrozyten und Mikroglia) wird - speziell für die Astrozyten - neben der trophischen und metabolischen Unterstützung von Neuronen eine Rolle bei der Synaptogenese und Neurotransmission diskutiert [20]. Astrozyten exprimieren viele der Rezeptoren, Transporter und Ionenkanäle, die schon in Neuronen gefunden wurden. Zudem sind sie im Gehirn für die Inaktivierung des extrazellulären Glutamats verantwortlich und regeln darüber nicht nur die Aktivität der NMDA-Rezeptoren, sondern auch Glutamat-vermittelte zytotoxische Effekte [Abb. 2].

Durch die vielfältigen Funktionen könnte eine lokale Veränderung in der Population der Astrozyten (Anzahl, Dichte, Größe, Form) messbare Folgen für das Funktionieren neuronaler Netzwerke haben. Zu den vielfältigen Funktionen der Astrozyten ist nun eine weitere, sehr überraschende hinzugekommen. Im Gyrus dentatus gibt es astrozytäre Vorläuferzellen, aus denen neue Nervenzellen entstehen können. Gleichzeitig schaffen Astrozyten das Milieu, in dem Vorläuferzellen sich entwickeln und weiter differenzieren können [22]. Damit scheint die neurale, d.h. neuronale plus gliale Plastizität einerseits für die Funktionen des gesunden Gehirns unerlässlich, andererseits aber auch Ursache für psychopathologische Prozesse zu sein.

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Funktionelle Implikationen der pathologischen Veränderung neuraler Netzwerke

Die beschriebenen zellulären Veränderungen lassen auf Dysfunktionen neuraler Netzwerke schließen, die für die emotionalen, kognitiven und somatischen Symptome von Patienten verantwortlich sind. Über die zellulären Veränderungen können auch die Defizite in den Transmittersystemen, speziell dem momoaminergen System, erklärt werden. Eine momentan intensiv untersuchte Frage ist, in wieweit die Dysfunktion der neuralen Netzwerke genetisch bedingt ist. Offensichtlich sind die Ursachen multifaktoriell, wobei konsequenterweise Gene, die zu Störungen in zentralnervösen Neurotransmittersystemen führen, von primärem Interesse sind. Da viele der heute eingesetzten Antidepressiva auf den Serotonin- bzw. Noradrenalin-Metabolismus wirken, könnte man annehmen, dass besonders Mutationen in diesen Genen zur Disposition für depressive Erkrankungen beitragen. Tatsächlich gibt es Hinweise, dass Allelvariationen in regulatorischen DNA-Sequenzen für den Serotonin-Transporter die Wahrscheinlichkeit für depressive Erkrankung erhöhen [14]. Weil dieser Befund gleichzeitig einer Gen-Umweltinteraktion unterliegt und damit aber offenbar nicht generalisierbar ist, wird angenommen, dass solche „Vulnerabilitätsgene” kompensiert werden können. Mit anderen Worten, das Gehirn verfügt auch auf genetischer Ebene über „plastische” Eigenschaften.

In den letzten Jahren wurden molekularbiologische Methoden wie z.B. die Microarray-Techniken entwickelt, mit deren Hilfe in großem Maßstab die Expression von Genen u.a. in eng umschriebenen Hirnarealen untersucht werden kann. Ursprünglich bei tierexperimentellen Untersuchungen eingesetzt und in neuerer Zeit zunehmend für die Untersuchung von post-mortem Proben verwendet, können mit diesen Methoden Gene identifiziert werden, die besonders stark oder besonders schwach exprimiert sind. Im Zuge dieser Untersuchungen hat sich herausgestellt, dass sich in depressionsähnlichen Zuständen nicht allein die Expression von Genen des Serotonin- bzw. des Noradrenalinhaushalts ändert. Man hat auch deutliche Veränderungen in der Expression von Genen für neuronale Wachstums- und Transkriptionsfaktoren gefunden, welche wiederum die Expression anderer Gene beeinflussen. Überraschenderweise waren unter den „depressionsregulierten” Genen auch solche, die an der Differenzierung von Neuronen bzw. am Auswachsen von neuronalen Fortsätzen beteiligt sind [1].

Diese Befunde unterstützen die Hypothese, dass die Pathophysiologie depressiver Erkrankungen nicht nur über Störungen des zentralnervösen Transmitterstoffwechsels, sondern auch über eine veränderte Neuroplastizität zu verstehen ist. Aufgrund der Ergebnisse präklinischer und klinischer Studien kann derzeit jedoch nicht abschließend entschieden werden, ob eine Störung der neuralen Plastizität Ursache, Ergebnis oder ein Korrelat depressiver Erkrankungen ist.

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Abb. 1 Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse bildgebender und histopathologischer Untersuchungen für den Hippocampus, die Amygdala und den präfrontalen Kortex

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Abb. 2

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Literatur

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Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. Eberhard Fuchs
PD Dr. Gabriele Flügge

Labor für Klinische Neurobiologie Deutsches Primatenzentrum

Kellnerweg 4

37077 Göttingen

Email: efuchs@gwdg.de

Email: gfluegg@gwdg.de

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Literatur

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Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. Eberhard Fuchs
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Labor für Klinische Neurobiologie Deutsches Primatenzentrum

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37077 Göttingen

Email: efuchs@gwdg.de

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Abb. 1 Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse bildgebender und histopathologischer Untersuchungen für den Hippocampus, die Amygdala und den präfrontalen Kortex

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Abb. 2