psychoneuro 2005; 31(3): 157-159
DOI: 10.1055/s-2005-866816
Serie

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Aus dem Arbeitskreis Gedächtnissprechstunden Berliner Nervenärzte - Demenzbehandlung in Nervenarztpraxen

Jens Bohlken, Eva-Maria Burger-Deinerth, Ralph Drochner, Thomas Gratz, Richard Hauser, Monika Otto, Roland Urban, Helga Wilke-Burger
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Korrespondenzadresse:

Dr. Jens Bohlken

Klosterstr. 34/35

13581 Berlin

Email: Dr.J.Bohlken@gmx.net

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Publication Date:
24 March 2005 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Der Arbeitskreis Gedächtnissprechstunden Berliner Nervenärzte hat sich zum Ziel gesetzt, die Zusammenarbeit zwischen Ergotherapie und Facharztmedizin in der ambulanten Demenzbehandlung zu verbessern. Wir haben darüber in Psychoneuro Heft 1/2005 berichtet. In Zusammenarbeit mit sechs Ergotherapeutinnen wurde in einem von der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin unterstützten Qualitätszirkel ein modular aufgebautes und gestuftes Therapiekonzept mit einer gemeinsamen Verlaufsdokumentation entwickelt. Dieses Konzept und die Dokumentationsmerkmale werden hier einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt.

Das ärztliche und ergotherapeutische Handeln ist bei der ambulanten Demenzbehandlung eingebettet in eine individuelle und meist sehr komplexe Beziehung zu dem Patienten mit seinem psychischen und körperlichen Beschwerdebild, den betreuenden Angehörigen mit ihren Belastungen und sozialen Verpflichtungen sowie der sozialen Umwelt des Patienten. Die vereinfachende tabellarische Gegenüberstellung von Zielsymptomen einerseits und ärztlichen und ergotherapeutischen Therapiemodulen andererseits ([Tab. 1] und [2]) gibt somit eine Orientierung auf die Ordnungsstruktur des therapeutischen Handelns. Sie soll nicht nur die Therapie effektiver machen, sondern auch die Kommunikation zwischen Arzt und Ergotherapeut vereinfachen und zeitlich beschleunigen.

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Zielsymptome und Therapiemodule

In Anlehnung an den Vorschlag von Gutzmann [3] unterscheiden wir folgende Zielsymptome der Demenztherapie:

  • Kognitive Störungen

  • Depressivität, Angst, Apathie

  • Wahn, Halluzination, Aggressivität und Unruhe

  • Störungen des Schlafs.

Den jeweiligen Zielsymptomen werden bestimmte Therapiemodule zugeordnet. Für die Behandlung leichter bis mittelschwerer Demenzerkrankungen werden ärztliche, ergotherapeutische und angehörigenbezogene Therapiemodule unterschieden ([Tab. 1] und [2]).

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Arztbezogene Therapiemodule

Hinsichtlich der kognitiven Zielsymptome stehen bei den arztbezogenen Therapiemodulen die gestuften Strategien der Behandlung mit Antidementiva zur Verfügung. Hinsichtlich der Verhaltensstörungen werden vor allem moderne Behandlungsstrategien mit Neuroleptika und Antidepressiva gewählt. Es sei hier besonders darauf hingewiesen, dass die Medikamenten-Verordnungen immer in ein ärztliches Basisverhalten eingebettet sind, welches psychiatrische und psychotherapeutische Elemente enthält.

Zwischen Arzt und Ergotherapeut müssen die individuellen praxistypischen Strategien bekannt sein. In der Tabelle werden die Empfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft aufgeführt [1].

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Ergotherapeutische Therapiemodule

Wir unterscheiden patienten- und angehörigenbezogene ergotherapeutische Therapiemodule. Bei der kognitiven Aktivierung des Patienten steht bei leichten kognitiven Störungen ein eher übender Charakter im Vordergrund [4], während bei leichten Demenzstadien eher kompensierende Strategien gewählt werden [5]. Sowohl bei leichten aber vor allem bei mittleren Demenzstadien werden Strategien gewählt, die Komponenten der kognitiven Stimulationstherapie [7], der Reminis zenztherapie und der Selbsterhaltungstherapie [6] in den Vordergrund stellen.

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Angehörigenbezogene Therapiemodule

Die angehörigenbezogenen Therapiemodule stützen sich inhaltlich auf das Seminarprogramm der Deutschen Alzheimergesellschaft - „Hilfe beim Helfen” (www.deutsche-alz heimer.de), welches auf Praxisbedingungen adaptiert wurde. Es wird hier nicht als Programm für Gruppen, sondern als Einzeltherapie durchgeführt. Dieses Konzept enthält sowohl allgemeine als auch stadienbezogene Therapiemodule. In der Regel erhält jeder Angehörige zu Beginn der Therapie einen Überblick über sämtliche Module. Im Verlauf des Jahre dauernden Erkrankungsprozesses werden dann je nach Stadium oder individuell auftretenden Verhaltensstörungen bestimmte Therapiebausteine ausführlicher und auf den Einzelfall adaptiert eingesetzt. Wie schon bei der ärztlichen Therapie ist bei der Durchführung der Ergotherapie und der Angehörigentherapie die Kommunikation zwischen Arzt und Ergotherapeut wesentlich. Wird hierbei eine ausführliche Fallbesprechung erforderlich, soll diese gesondert dokumentiert werden. Ansonsten soll der quartalsbezogene Status des Patienten und die durchgeführten Therapiemaßnahmen einmal im Quartal standardisiert dokumentiert werden.

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Vereinheitlichung der Dokumentation

Die Erfahrungen im Rahmen des Qualitätszirkels unseres Arbeitskreises haben gezeigt, dass nur ein sehr einfaches und robustes Dokumentationssystem überhaupt Realisierungschancen hat. Es dient nicht nur der internen Kommunikation, der Behandlungsführung und der Identifikation von Problemfällen, sondern auch der externen Kommunikation mit dem Hausarzt. Darüber hinaus eröffnet es Perspektiven, die Ergebnisqualität darzustellen. Nicht zuletzt stellt ein derartiges System die Leistung gegenüber den Kostenträgern dar. Es ist vorgesehen, den quartalsbezogenen Dokumentationsbogen als Anhang an den im EBM 2000plus verpflichtenden Brief an den Hausarzt anzufügen. Er enthält neben den Patientendaten, dem Hinweis auf das Behandlungsquartal und die Praxisidentifikation folgende Merkmalsdimensionen:

  • Art der Demenzdiagnose

  • Status der kognitiven Leistungseinbußen (GDS)

  • Status der nicht-kognitiven Störungen

  • Zustandsveränderung gegenüber dem Vorquartal (CGI)

  • Aktuelles DemTect Ergebnis

  • Aktuelles MMST Ergebnis

  • Status der instrumentellen Alltagsfähigkeiten (IADL)

  • Pflegestufe 1-3

  • Rechtsstatus

  • Wohnstatus

  • Hinweis zu aktuellem Krankenhausaufenthalt

  • Hinweise zur Heimunterbringung

  • Anzahl Arzt-Patient-Kontakte im Quartal

  • Anzahl Arzt-Angehörige-Kontakte im Quartal

  • Art der medikamentösen Therapie der kognitiven Störungen

  • Anzahl der ergotherapeutischen Behandlungen (Module P1-P3)

  • Art der medikamentösen Therapie der nicht-kognitiven Störungen

  • Anzahl psychofunktionelle Therapie (Modul P4, A6-A9)

  • Anzahl Angehörigentherapie (Module A1-A6).

Die Auswahl der Merkmalsdimensionen lässt unschwer erkennen, dass auf eine einfache und praktikable Lösung besonderen Wert gelegt wurde. Dies geht mit dem Verzicht auf die Dokumentation wichtiger internistischer, neurologischer, psychiatrischer, psychotherapeutischer, sozialer und nicht zuletzt ergotherapeutischer Aspekte einher. Derartige Aspekte spielen ohne Zweifel in den jeweiligen Beziehungen zum Patienten eine wichtige Rolle. Sofern sie für den Hausarzt von besonderer Relevanz sind, sollen sie in dem frei formulierten Teil des Anschreibens an den Hausarzt Berücksichtigung finden.

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Orientierung an der Bundestagsempfehlung vom 28.1.2005

Wir sind überzeugt, dass mit diesem Konzept die Zusammenarbeit in den Schwerpunktpraxen verbessert werden kann. Darüber hinaus werden wichtige Integrationsaspekte berücksichtigt, die Inhalt der am 28.1.2005 im Deutschen Bundestag verabschiedeten Beschlussempfehlung zum vierten Altenbericht sind. Wir schaffen nämlich eine „integrierte Beratung”, arbeiten „personenzentriert” unter Einbeziehung der „Biographie”, „unterstützen die pflegenden Angehörigen”, gewährleisten die „Versorgung mit wirksamen Medikamenten der neuen Generation” und tragen dafür Sorge, dass die „Ausbildung im gerontopsychiatrischen Bereich” verbessert wird [2]. Wir hoffen auf eine Vereinbarung zwischen den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin, damit diese Versorgungsform finanziell gesichert ist.

Tab. 1 Therapie kognitiver Störung

Stadium

Arzt

Ergotherapie

Patienten-Module

Angehörigen-Module

MCI

keine spezifische medikamentöse Therapie

Modul P1 kognitive Aktivierung bei MCI

Modul A1 Wissenswertes über kognitive Störungen

leicht

Acetylcholinesterasehemmer

Modul P2 kognitive Aktivierung leichtes Stadium

Modul A2 frühes Stadium ggf. Modul A5 und A6

mittel

Acetylcholinesterasehemmer ggf. Umstellung auf Memantin

Modul P3 Reminiszenztherapie

Modul A3-A6 mittleres Stadium spätes Stadium Recht und Versicherung Entlastungsmöglichkeiten

Tab. 2 Therapie von Verhaltensstörungen

Zielsyndrom

Arzt

Ergotherapie

Patienten-Module

Angehörigen-Module

Depression, Angst, Apathie

Citalopra

Sertrali

Moclobemid

Modul P4 Depressions- und Reminiszenztherapie

Modul A7 Umgang mit Depression und Apathie

Schlafstörung

Melpero

Pipampero

Zopiclo

Zolpidem

siehe Angehörigentherapie

Modul A8 Schlaf, Pflege, Ernährung, Tagesstrukturierung

Wahn, Halluzination, Aggressivität, Unruhe

Risperido

Melpero

Pipampero

Haloperidol

siehe Angehörigentherapie

Modul A9 Wahn, Aggression, Unruhe, Angst, Halluzinationen

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Literatur

  • 1 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Empfehlungen zur Therapie der Demenz. Arzneiverordnung in der Praxis. 3. Auflage 2004
  • 2 Deutscher Bundestag/Drucksache 15/4192 vom 10.11.2004 und Sitzungsprotokoll vom 28.1.2005.  www.bundestag.de)
  • 3 Gutzmann H. Therapeutische Ansätze bei Demenzen. In: Wächtler C (Hrsg.). Demenzen. Frühzeitig erkennen, aktiv behandeln und Angehörige effektiv unterstützen. Stuttgart, Thieme Verlag 2003: 51-71
  • 4 Oswald WD. Gedächtnistraining. Ein Programm für Seniorengruppen. Göttingen, Hogrefe Verlag 1998
  • 5 Oswald WD, Ackermann A. Rehabilitation im Altenheim. Manuskript Institut für Psychogerontologie Universität Erlangen-Nürnberg 2002
  • 6 Romero B. Selbsterhaltungs-Therapie (SET): Betreuungsprinzipien, psychotherapeutische Interventionen und Bewahren des Selbstwissens bei Alzheimerkranken. In: Weis S, Weber G (Hrsg.). Handbuch Morbus Alzheimer. Weinheim: Psychologie Verlags Union 1997: 1209-1221
  • 7 Spector A. et al. . Efficacy of an evidence-based cognitive stimulation therapy programme for people with dementia. Randomised controlled trial.  Brit J Psychiatry. 2003;  183 248-54
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Dr. Jens Bohlken

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Literatur

  • 1 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Empfehlungen zur Therapie der Demenz. Arzneiverordnung in der Praxis. 3. Auflage 2004
  • 2 Deutscher Bundestag/Drucksache 15/4192 vom 10.11.2004 und Sitzungsprotokoll vom 28.1.2005.  www.bundestag.de)
  • 3 Gutzmann H. Therapeutische Ansätze bei Demenzen. In: Wächtler C (Hrsg.). Demenzen. Frühzeitig erkennen, aktiv behandeln und Angehörige effektiv unterstützen. Stuttgart, Thieme Verlag 2003: 51-71
  • 4 Oswald WD. Gedächtnistraining. Ein Programm für Seniorengruppen. Göttingen, Hogrefe Verlag 1998
  • 5 Oswald WD, Ackermann A. Rehabilitation im Altenheim. Manuskript Institut für Psychogerontologie Universität Erlangen-Nürnberg 2002
  • 6 Romero B. Selbsterhaltungs-Therapie (SET): Betreuungsprinzipien, psychotherapeutische Interventionen und Bewahren des Selbstwissens bei Alzheimerkranken. In: Weis S, Weber G (Hrsg.). Handbuch Morbus Alzheimer. Weinheim: Psychologie Verlags Union 1997: 1209-1221
  • 7 Spector A. et al. . Efficacy of an evidence-based cognitive stimulation therapy programme for people with dementia. Randomised controlled trial.  Brit J Psychiatry. 2003;  183 248-54
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