Dtsch Med Wochenschr 2005; 130(15): 957
DOI: 10.1055/s-2005-866768
CME
Geriatrie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Gang, Gleichgewicht und Stürze - Der konkrete Fall

Gait, balance and falls - case reportT. Nikolaus1
  • 1Bethesda Geriatrische Klinik Ulm
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Prof. Dr. med. Thorsten Nikolaus

Bethesda Geriatrische Klinik Ulm gGmbH

Zollernring 26

89073 Ulm

Phone: 0049/731/187185

Fax: 0049/731/187387

Email: Thorsten.Nikolaus@bethesda-ulm.de

Publication History

eingereicht: 7.12.2004

akzeptiert: 2.3.2005

Publication Date:
05 April 2005 (online)

Table of Contents #

Anamnese

Eine 82-jährige, allein lebende Frau wurde in die Notfall-Ambulanz gebracht, nachdem sie zuhause im Bad gestürzt war und es nicht mehr schaffte, alleine aufzustehen. Erst nach Stunden konnte sie sich bei ihren Nachbarn durch anhaltendes Klopfen bemerkbar machen.

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Befunde

Der Unfallchirurg stellte bei der Patientin multiple Prellmarken am rechten Oberschenkel fest, die Beinstellung war jedoch regelrecht, die Beweglichkeit erhalten. Radiologisch zeigte sich bei der Beckenübersicht und der Röntgenaufnahme des rechten Oberschenkels in zwei Ebenen keine Fraktur.

Der hinzugezogene Internist stellte auskultatorisch einen dritten Herzton sowie eine relativ hohe und unregelmäßige Herzschlagfolge von ca. 110 Schlägen/min fest. Im EKG zeigte sich ein tachykarder Sinusrhythmus mit eingestreuten, monomorphen, ventrikulären Extrasystolen bei einem kompletten Linksschenkel-Block. Der Blutdruck lag bei 180/80 mmHg, die Patientin hatte diskrete Unterschenkelödeme bei bekannter Herzinsuffizienz. Röntgenologisch war das Herz linksverbreitert mit diskreten, auch auskultatorisch nachweisbaren Stauungszeichen.

Die Patientin nahm zahlreiche Medikamente ein, darunter ein ACE-Hemmer, ein Betablocker, ein Diuretikum sowie Schlaftabletten.

Nach Angaben der hinzukommenden Tochter, habe ihre Mutter in den letzten 2 - 3 Monaten körperlich rapide abgebaut. Sie schlafe schlecht, sei depressiv und sei in den letzten Wochen wiederholt gestürzt. In der letzten Zeit habe sie über ständig bestehende Schwindelsymptomatik geklagt. Wegen der anhaltenden Schlafstörungen hatte der Hausarzt ein Schlafmittel verordnet.

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Therapie und Verlauf

Die Patientin sollte nach Ausschluss einer Fraktur wieder nach Hause entlassen werden. Jedoch entwickelte sich bei ihr am Tag nach Aufnahme eine fieberhafte Pneumonie, die auf eine sofort eingeleitete antibiotische Therapie sehr gut ansprach. Es wurde eine Sturzuntersuchung eingeleitet, die im Wesentlichen eine Synkopenabklärung beinhaltete [2]. Im Langzeit-EKG zeigten sich eingestreute monotope, ventrikuläre Extrasystolen, keine länger anhaltenden bradykarden Phasen, keine Pausen. Die neurologische und HNO-ärztliche Untersuchung war, abgesehen von einer Presbyakusis, unauffällig. Im Karotisdruckversuch war keine Hypersensitivität nachweisbar. Im Schellong-Test gab es keinen Anhalt für orthostatische Dysregulation.

Da die Patientin nach überstandener Pneumonie nur schwer mobilisierbar war, wurde sie zur weiteren Behandlung in eine geriatrische Fachabteilung verlegt. Dort wurde eine weitere Sturzabklärung [1] vorgenommen. Bei einer Gang- und Balance-Testung fand sich ein ausgeprägtes Balance-Defizit mit einer erheblichen Standunsicherheit. Darüber hinaus wurde eine deutlich reduzierte Muskelkraft festgestellt. Anhalt für eine orthostatische Hypotonie fand sich, auch bei mehrmaliger Blutdruckmessung am Morgen, nicht. Ebenso konnte bei einer 24-Stunden-Blutdruckmessung keine orthostatische Hypotonie nachgewiesen werden. Allerdings waren seit Krankenhaus-Aufnahme einige Medikamente abgesetzt bzw. in reduzierter Form verabreicht worden. Insbesondere das Schlafmittel (Benzodiazepin) wurde schrittweise abgesetzt. Die Schwindelsymptomatik besserte sich deutlich, nachdem die kürzlich verordnete bifokale Brille nicht mehr benutzt wurde, sondern eine gesonderte Lesebrille.

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Fazit

Nicht immer lassen sich durch die üblichen diagnostischen Maßnahmen die Ursachen für einen Sturz bzw. für eine Synkope bei älteren Menschen finden. Die Stürze sind bei älteren Menschen häufig nicht monokausal, sondern ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren. In diesem Fall waren es die Standunsicherheit, die nachlassende Muskelkraft, die Schlafmitteleinnahme und die bifokale Brille. Diese kann gerade in ungewohnter Umgebung oder bei unvorhergesehenen Hindernissen das Sturzrisiko deutlich erhöhen.

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Literatur

  • 1 American Geriatrics Society, British Geriatrics Society, and American Academy of Orthopaedic Surgeons Panel on Falls Prevention . Guideline for the Prevention of Falls in Older Persons.  J Am Geriatr Soc. 2001;  49 664-672
  • 2 The Task Force on Syncope, European Society of Cardiology . Guidelines on Management (Diagnosis and Treatment) of Syncope - Update 2004.  Europace. 2004;  6 467-537

Prof. Dr. med. Thorsten Nikolaus

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Literatur

  • 1 American Geriatrics Society, British Geriatrics Society, and American Academy of Orthopaedic Surgeons Panel on Falls Prevention . Guideline for the Prevention of Falls in Older Persons.  J Am Geriatr Soc. 2001;  49 664-672
  • 2 The Task Force on Syncope, European Society of Cardiology . Guidelines on Management (Diagnosis and Treatment) of Syncope - Update 2004.  Europace. 2004;  6 467-537

Prof. Dr. med. Thorsten Nikolaus

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