Anamnese
Eine 82-jährige, allein lebende Frau wurde in die Notfall-Ambulanz gebracht, nachdem
sie zuhause im Bad gestürzt war und es nicht mehr schaffte, alleine aufzustehen. Erst
nach Stunden konnte sie sich bei ihren Nachbarn durch anhaltendes Klopfen bemerkbar
machen.
Befunde
Der Unfallchirurg stellte bei der Patientin multiple Prellmarken am rechten Oberschenkel
fest, die Beinstellung war jedoch regelrecht, die Beweglichkeit erhalten. Radiologisch
zeigte sich bei der Beckenübersicht und der Röntgenaufnahme des rechten Oberschenkels
in zwei Ebenen keine Fraktur.
Der hinzugezogene Internist stellte auskultatorisch einen dritten Herzton sowie eine
relativ hohe und unregelmäßige Herzschlagfolge von ca. 110 Schlägen/min fest. Im EKG
zeigte sich ein tachykarder Sinusrhythmus mit eingestreuten, monomorphen, ventrikulären
Extrasystolen bei einem kompletten Linksschenkel-Block. Der Blutdruck lag bei 180/80 mmHg,
die Patientin hatte diskrete Unterschenkelödeme bei bekannter Herzinsuffizienz. Röntgenologisch
war das Herz linksverbreitert mit diskreten, auch auskultatorisch nachweisbaren Stauungszeichen.
Die Patientin nahm zahlreiche Medikamente ein, darunter ein ACE-Hemmer, ein Betablocker,
ein Diuretikum sowie Schlaftabletten.
Nach Angaben der hinzukommenden Tochter, habe ihre Mutter in den letzten 2 - 3 Monaten
körperlich rapide abgebaut. Sie schlafe schlecht, sei depressiv und sei in den letzten
Wochen wiederholt gestürzt. In der letzten Zeit habe sie über ständig bestehende Schwindelsymptomatik
geklagt. Wegen der anhaltenden Schlafstörungen hatte der Hausarzt ein Schlafmittel
verordnet.
Therapie und Verlauf
Die Patientin sollte nach Ausschluss einer Fraktur wieder nach Hause entlassen werden.
Jedoch entwickelte sich bei ihr am Tag nach Aufnahme eine fieberhafte Pneumonie, die
auf eine sofort eingeleitete antibiotische Therapie sehr gut ansprach. Es wurde eine
Sturzuntersuchung eingeleitet, die im Wesentlichen eine Synkopenabklärung beinhaltete
[2]. Im Langzeit-EKG zeigten sich eingestreute monotope, ventrikuläre Extrasystolen,
keine länger anhaltenden bradykarden Phasen, keine Pausen. Die neurologische und HNO-ärztliche
Untersuchung war, abgesehen von einer Presbyakusis, unauffällig. Im Karotisdruckversuch
war keine Hypersensitivität nachweisbar. Im Schellong-Test gab es keinen Anhalt für
orthostatische Dysregulation.
Da die Patientin nach überstandener Pneumonie nur schwer mobilisierbar war, wurde
sie zur weiteren Behandlung in eine geriatrische Fachabteilung verlegt. Dort wurde
eine weitere Sturzabklärung [1] vorgenommen. Bei einer Gang- und Balance-Testung fand sich ein ausgeprägtes Balance-Defizit
mit einer erheblichen Standunsicherheit. Darüber hinaus wurde eine deutlich reduzierte
Muskelkraft festgestellt. Anhalt für eine orthostatische Hypotonie fand sich, auch
bei mehrmaliger Blutdruckmessung am Morgen, nicht. Ebenso konnte bei einer 24-Stunden-Blutdruckmessung
keine orthostatische Hypotonie nachgewiesen werden. Allerdings waren seit Krankenhaus-Aufnahme
einige Medikamente abgesetzt bzw. in reduzierter Form verabreicht worden. Insbesondere
das Schlafmittel (Benzodiazepin) wurde schrittweise abgesetzt. Die Schwindelsymptomatik
besserte sich deutlich, nachdem die kürzlich verordnete bifokale Brille nicht mehr
benutzt wurde, sondern eine gesonderte Lesebrille.
Fazit
Nicht immer lassen sich durch die üblichen diagnostischen Maßnahmen die Ursachen für
einen Sturz bzw. für eine Synkope bei älteren Menschen finden. Die Stürze sind bei
älteren Menschen häufig nicht monokausal, sondern ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren.
In diesem Fall waren es die Standunsicherheit, die nachlassende Muskelkraft, die Schlafmitteleinnahme
und die bifokale Brille. Diese kann gerade in ungewohnter Umgebung oder bei unvorhergesehenen
Hindernissen das Sturzrisiko deutlich erhöhen.