Dtsch Med Wochenschr 2005; 130(14): 906
DOI: 10.1055/s-2005-865110
Leserbriefe

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Stressverarbeitung: Bedeutung in der Medizin - Erwiderung Nr. 1

W. Schüffel
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Publication Date:
30 March 2005 (online)

Als Arzt befinde ich mich in einer Beziehung zum Patienten, und der Patient befindet sich in einer Beziehung zu mir als Arzt. Eine gemeinsam unterhaltene Beziehung entsteht. Aus der Beziehung heraus ist ein Gesundheits- bzw. Krankheitsproblem zu lösen.

P. A. Berg beschreibt das Gesundheits- bzw. Krankheitsproblem in einer Vielzahl von „Crosstalks“ und „Pathways“. Es wird deutlich, dass die hieraus entstehende bio-psycho-soziale Kommunikation u. a. genetisch mitbestimmt wird und aus der Interaktion von Individuum und Umwelt resultiert.

Pedrosa Gil beschreibt das Gesundheits- bzw. Krankheitsproblem grundlegend als ein Stressgeschehen, in dem es letztlich menschheitsgeschichtlich um die bestmögliche Ein-Passung des menschlichen Organismus in seiner Umwelt in einem bio-psycho-sozialen Sinne geht.

Beide Autoren beziehen sich auf allgemeine Gesundheits-/Krankheitsprozesse, die sich in der gesamten Medizin wiederfinden. Natürlich geht es im Falle eines Knochenbruchs, einer chronischen Darmentzündung, eines Asthma bronchiale, eines Tinnitus, eines Glaukoms, einer Retinaablösung, im Fall von vorzeitigen Wehen, von Infertilität, von Impotenz und schließlich im Falle eines Fibromyalgie- und Belastungszustandes nicht um Menschheitsgeschichte. Aber es geht um unsere Arbeits- (und Glaubens-)Konzepte, wie wir derartige Krankheits- und Beschwerdebilder samt der resultierenden Problematik erfassen. Zum Teil der resultierenden Krankheits- und Gesundheitsproblematik wird damit der Arzt selbst. Heine beschreibt in seiner Leserzuschrift, wie der Arzt mit Hilfe des Konzepts der Grundregulation eingreift. Auf dem Boden dieses Konzepts kann er alle seine Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten entsprechend wissenschaftlich verbindlichen Standards einsetzen.

Heine beschreibt hiermit eine notwendige Bedingung ärztlicher Problem- (und Konflikt-)Lösung. - die möglichst weitgehende Distanzierung von einer Auftrennung in Psyche einerseits und Soma andererseits ist die hinreichende Bedingung. Hier hilft eine die cartesianisch-galileisch Grundeinstellung überwindende Position weiter, die Leibniz begründet, Hegel [1] weiterentwickelt und Husserl einschließlich existentiell denkender Philosophievertreter [2] [3] in die Gegenwart übergeführt haben. In dieser Denktradition geht es um das Subjekt, das nach Leibniz Quelle ursprünglicher, innerer Aktivität ist. Das impliziert auch die freudianische (Teil-)Vereinigung des Bewussten und Unbewussten im Ich.

In dieser Denktradition stehen sich als Arzt und Patient nicht nur zwei Subjekte gegenüber, genauer sie beziehen sich aufeinander. Vielmehr erkennen beide, dass Krankheit und Gesundheit relative Begriffe sind, vielleicht sogar Metaphern. Sie gehen ineinander über, sie bedingen sogar einander, und es bedarf als hinreichender Bedingung des Sinnhaften. Was sinnhaft, sinnvoll ist, kann aber nur in der individuellen Arbeitssituation zweier Subjekte bestimmt werden, in der sich auch die Bedeutung der Grundregulation (am ehesten aus einer humoralpathologischen bzw. heute kybernetischen Sicht verstehbar) einordnet.

Heines Zuschrift macht mich darauf aufmerksam, dass wir nie absolut gültige sondern historisch verankerte Handlungsweisen verfolgen - wir uns aber dieser historisch bedingten Relativierung bewusst werden können. Freilich wäre mir wohler, die cartesianische Auftrennung könnte auch bei Heine noch früher aufgefangen werden: Nicht Psyche und Soma laufen zur Grundregulation zusammen, wie Heine schreibt. Vielmehr läuft die Grundregulation im Subjekt ab, dass sich zu dieser Grundregulation in einem Spannungsverhältnis Subjekt-Objekt verhält.

Literatur

  • 1 Hegel G WF. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften,. 1827
  • 2 Welton D. The Other Husserl,. Indiana University Press 2000
  • 3 Welton D. The New Husserl,. Indiana University Press 2003

Prof. Dr. med. W. Schüffel

Klinik für Psychosomatik, Zentrum für Innere Medizin, Klinikum der Philipps-Universität Marburg

Baldingerstraße

35053 Marburg

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