Klin Monbl Augenheilkd 2005; 222(4): 317-318
DOI: 10.1055/s-2005-858187
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Talking Eyes” versus „Silent Ophthalmoscopy”?

„Talking Eyes” versus „Silent Ophthalmoscopy”?B. Jurklies1 , N. Bornfeld1
  • 1Universitäts-Augenklinik, Essen
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Publication Date:
21 April 2005 (online)

Trotz aller Fortschritte in der Medizin gehören kardiovaskuläre Erkrankungen immer noch zu den häufigsten lebensbedrohlichen Ereignissen, wobei hiervon insbesondere ischämische Herzerkrankungen und der zerebrale Apoplex zu nennen sind. Letzterer betrifft z. B. in den USA jährlich mehr als 700 000 Menschen und stellt dort die dritthäufigste Todesursache dar.

Ein Teil der Hochrisikopatienten lässt sich mit bekannten Risikofaktoren wie Hypertonie, Hyperlipidämie und Nikotinabusus identifizieren. So besteht beispielsweise unabhängig von anderen Risikofaktoren eine konsistente und dauerhafte Korrelation der Hypertonie mit einer der oben genannten kardiovaskulären Erkrankungen. Die WHO stufte 2002 die Hypertonie als eine der 10 wichtigsten Risikoerkrankungen in den entwickelten Nationen ein, welche weltweit gleichzeitig als viertwichtigster Risikofaktor für ein lebensbedrohliches Ereignis rangiert.

Vor dem Hintergrund dieser Fakten ist die intensive Erforschung von pathophysiologischen Mechanismen dieser potenziell lebensbedrohlichen Risikofaktoren nur zu gut verständlich.

In diesem Zusammenhang bieten die retinalen Gefäße eine ideale Möglichkeit, Auswirkungen von systemischen Erkrankungen auf die Mikrozirkulation zu untersuchen: Arteriolen der Retina haben ähnliche anatomische und physiologische Eigenschaften wie jene der zerebralen und kardialen Mikrozirkulation, so dass mikrovaskuläre Pathologien der retinalen Gefäße ähnliche Schäden in den Endorganen vermuten lassen. Nicht zuletzt aufgrund der nichtinvasiven Zugänglichkeit wurde der Beurteilung des retinalen Gefäßstatus bei der Suche nach weiteren Risikovariablen und der Quantifizierung des kardiovaskulären Risikos zunehmende Bedeutung beigemessen.

Michelson u. Mitarb. berichten im vorliegenden Heft über die Ergebnisse einer prospektiven Querschnittstudie mithilfe telemedizinischer Methoden („Talking eyes”).

In einer prospektiven Querschnittstudie wurden 7163 Personen mit dieser Methode untersucht. Ohne Mydriasis wurden die Fundusfotos zusammen mit einer standardisierten Anamnese per Internet an ein „Reading Zentrum” geschickt, wo diese bezüglich des Vorliegens mikroangiopathischer Veränderungen und des Quotienten aus dem Durchmesser retinaler Arteriolen und Venolen (AV-Ratio) mithilfe der Parr-Hubbard-Formel ausgewertet wurden. Zusätzlich wurde ein retinaler Gefäßrisikoindex ermittelt.

Die Autoren konnten hier eine Korrelation der AV-Ratio mit den Faktoren Alter und Blutdruck sowie Body-Mass-Index (BMI) erkennen und kommen zu ähnlichen Ergebnissen der bereits publizierten Daten der ARIC-Studie. Mikrovaskuläre Pathologien korrelierten mit den Faktoren anamnestisch bekannter Hypertonus, Alter, diastolischer Blutdruck, BMI und Geschlecht. Unklar ist, warum z. B. Cotton-wool-Herde am rechten Auge doppelt so häufig nachgewiesen wurden wie am linken Auge. Zusätzlich korrelierte der retinale Risikoindex mit der Prävalenz der Angina pectoris.

Bei einer Untergruppe mit einer AV-Ratio < 0,76 wurde eine erweiterte kardiovaskuläre Abklärung durchgeführt. Hier fanden die Autoren in 2/3 der Fälle erhöhte Blutdruckwerte in der 24h-Messung sowie eine signifikante Korrelation zwischen der AV-Ratio und den LDL-Serumwerten sowie dem Framingham Score.

Zweifelsohne haben Methoden der Quantifizierung und standardisierten Auswertung des retinalen Gefäßstatus (z. B. in der ARIC-, Blue-Mountain- und Beaver-Dam-Eye-Studie) erheblich zum Verständnis der Zusammenhänge zwischen Veränderungen in der retinalen Mikrozirkulation und kardiovaskulären Erkrankungen (Hypertonie, zerebraler Apoplex, Herzinfarkt) beigetragen. Während jedoch das telemedizinische Screening in weniger dicht besiedelten Regionen bei gleichzeitigem Mangel an fachkundigen Kräften durchaus einen sinnvollen Einsatz bringen kann, stellt sich für den kritischen Leser und den potenziellen Patienten die Frage, ob eine getrennte Auswertung wirklich von Vorteil ist gegenüber der sonst üblichen Befunddokumentation und Auswertung vor Ort. Zudem mag eine getrennte Auswertung durch ein „Reading”-Zentrum zum Zweck der Unbeeinflussbarkeit und Reproduzierbarkeit von Befunden in Studien von Vorteil sein, kann jedoch auch im klinischen Alltag zum Nachteil gereichen, da der „Reader” auf den Fundusausschnitt und die Anamnese angewiesen ist, die ihm vom Untersucher zugeschickt werden, ohne dass sich der Reader aufgrund seiner klinischen Erfahrung einen persönlichen Eindruck vom Gesamtbild des Patienten machen kann. Der Index (alpha-Kronbach-Index) für die Reproduzierbarkeit der telemedizinischen Messung für die AV-Ratio betrug 0,77. Es bleibt abzuwarten, ob eine Untersuchungstechnik mit diesem Reproduzierbarkeitsindex der Ophthalmoskopie und möglicherweise direkten Auswertung durch den gleichen, erfahrenen, fachkundigen Untersucher überlegen ist.

Ein besorgter Patient, der sich dieser Untersuchung und Auswertung möglicherweise gegen Gebühr unterzieht, dürfte ein konkretes Ergebnis erwarten wollen. Dabei dürfte für diesen weniger die Korrelation des Gefäßstatus mit dem Alter von Interesse sein. Daten der ARIC- und Beaver-Dam-Eye-Studie weisen darauf hin, dass Patienten mit einem kleineren Durchmesser der retinalen Arteriolen ein höheres Risiko für die Entwicklung einer Hypertonie haben im Vergleich zu Patienten mit größeren Durchmessern (unabhängig von anderen Risikofaktoren). Jedoch dürften retinale mikrovaskuläre Pathologien im Wesentlichen auch aus kumulativen Schäden der Mikrozirkulation infolge Hypertonus, Alter und anderen Einflüssen resultieren. Sofern der Patient eine generalisiert verminderte AV-Ratio z. B. beim Risikofaktor Hypertonus aufweist, bleibt offen, ob es sich um einen „kumulativen” Befund infolge eines in der Vergangenheit oder gegenwärtig unzureichend eingestellten Hypertonus oder um einen zurzeit erhöhten Blutdruck handelt oder ob diese als irreversible Zeichen mit einer zerebrovaskulären Erkrankung einhergehen.

Michelson u. Mitarb. weisen in ihrer Studie auf eine erhöhte Häufigkeit für das Auftreten einer Angina pectoris bei erhöhtem Mikroangiopathie-Score hin. Auch in der ARIC-Studie konnte eine signifikante Korrelation zwischen einer KHK und einer generalisierten Verengung retinaler Arteriolen hergestellt werden. Unklar ist, warum dieser Zusammenhang für die männlichen Betroffenen nicht aufgezeigt werden konnte. Hingegen war in der Cardiovascular-Health-Studie der Zusamenhang zwischen arteriolärer Verengung und KHK weniger eindeutig. Ferner zeigte sich in einer prospektiven Studie kein Zusammenhang zwischen der Mortalität der Patienten und der AV-Ratio.

Schließlich ist die klinische Relevanz und Einordnung dieser Befunde, die sowohl mit einer Reihe von kardiovaskulären Erkrankungen, aber auch mit Alter und Geschlecht assoziiert sein können noch nicht hinreichend geklärt. Dies zeigt sich z. B. auch darin, dass diese Untersuchungen in den Empfehlungen der American Heart Association zur Pävention des ischämischen cerebralen Insultes nicht berücksichtigt sind

Zusammenfassend hat die quantitative Auswertung retinaler Gefäßpathologien mithilfe digitaler Bildmethoden dazu beigetragen, die Auswirkungen kardiovaskulärer Erkrankungen auf die retinale Mikrozirkulation, Assoziationen und Korrelationen zu erfassen, wengleich die Ergebnisse nicht einheitlich sind. Inwiefern das System des vom Untersuchungsort fernen „Readers” für den Patienten eine verbesserte Diagnostik darstellen soll, lässt sich derzeit nicht erkennen. Eine Ophthalmoskopie durch einen retinologisch versierten Ophthalmologen, verbunden mit einer verwertbaren Photodokumentation, dürfte unbestritten die einfachste und kostengünstigste Methode zur Detektierung retinaler Gefäßveränderungen darstellen. Die Autoren weisen daher folgerichtig darauf hin, dass das telemedizinische Screening der Netzhautgefäße eine ophthalmoskopische Untersuchung bei weiter Pupille nicht ersetzen kann.

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Priv.-Doz. Dr. Bernhard Jurklies

Universitäts-Augenklinik

Hufelandstraße 55

45122 Essen

Email: bernhard.jurklies@uni-essen.de

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