Dtsch Med Wochenschr 2005; 130(4): 141-142
DOI: 10.1055/s-2005-837394
Serie Prävention

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Prävention bei Diabetes mellitus Typ 1

Prevention of diabetes mellitus type 1W. A. Scherbaum1 , H. Hauner2
  • 1Deutsches Diabetes-Zentrum, DDZ, Leibniz-Zentrum für Diabetesforschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Rheumatologie, Universitätsklinikum Düsseldorf
  • 2Else-Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin Klinikum Rechts der Isar der TU München
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Prof. Dr. Werner A Scherbaum

Deutsches Diabetes-Zentrum, DDZ Leibniz-Zentrum für Diabetesforschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Rheumatologie Universitätsklinikum Düsseldorf

Auf‘m Hennekamp 65

40225 Düsseldorf

Publication History

eingereicht: 23.6.2004

akzeptiert: 2.12.2004

Publication Date:
20 January 2005 (online)

Table of Contents #

Summary

Primary prevention of type 1 diabetes is as yet not feasible. In contrast, prevention of acute and chronic complications of type 1 diabetes is highly effective. With a near normal blood glucose control the appearance and progression of microvascular complications (i.e. retinopathy, nephropathy and neuropathy) can be significantly reduced. Intensive insulin therapy is the gold standard for treatment of type 1 diabetes.

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Einleitung

Die Prognose des Typ 1-Diabetes wird im Gegensatz zum Typ 2-Diabetes fast ausschließlich durch die Qualität der Blutzuckereinstellung bestimmt (K. S. Bryden et al.: Diabetes Care 2003; 26: 1052-1057). Durch eine normnahe Blutglukoseeinstellung kann das Risiko für mikrovaskuläre Komplikationen, speziell die Nephropathie, Retinopathie und Neuropathie, deutlich verringert werden. Andererseits drohen bei zu „scharfer“ Einstellung Hypoglykämien mit gefährlichen Konsequenzen. Die eingehende Schulung der Betroffenen mit der Befähigung zur selbstverantwortlichen Steuerung der Insulintherapie auf dem Boden von Blutzuckerselbstmessungen ist beim Typ 1-Diabetes die Grundvoraussetzung für eine intensivierte Insulintherapie. Letztere ist heute als Goldstandard für die Therapie des Typ 1-Diabetes und für die Prävention mikrovaskulärer Komplikationen anzusehen. Die Prävention makrovaskulärer Komplikationen beim Typ 1-Diabetes folgt den gleichen Prinzipien wie beim Typ 2-Diabetes (H. Hauner, W. A. Scherbaum: Dtsch Med Wochenschr 2002; 127: 1003-1005).

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Primärprävention

Das Risiko für einen Typ 1-Diabetes kann durch die Bestimmung diabetesspezifischer Autoantikörper, die HLA-Untersuchung, und die Bestimmung des Verwandtschaftsgrades mit eventuell erkrankten Familienangehörigen ermittelt werden. Diese sind neben den zytoplasmatischen Inselzellantikörpern (ICA) Autoantikörper gegen Insulin (IAA), die Glutamatdecarboxylase (GADA) und die Thyrosin-Phosphatase IA2 (IA 2A). Bei Antikörper-positiven Individuen zeigt eine verminderte erste Phase der Insulinsekretion im intravenösen Glukosetoleranztest ein hohes Risiko für eine baldige Manifestation des Typ 1-Diabetes an. Trotz zahlreicher Versuche ist eine Prävention des Typ 1-Diabetes beim Menschen derzeit noch nicht möglich.

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Sekundärprävention

Die Vermeidung akuter oder chronischer Komplikationen ist das wesentliche Ziel bei der Behandlung des Typ 1-Diabetes.

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Akute Komplikationen

Akutkomplikationen betreffen insbesondere die ketoazetotische, hyperglykämische Entgleisung und auf der anderen Seite schwere Hypoglykämien. Das diabetische Koma ist die schwerste Form der diabetischen Stoffwechselentgleisung. Dieses potentiell lebensbedrohliche Krankheitsbild ist durch einen absoluten Insulinmangel bedingt und wird insbesondere bei der Erstmanifestation eines Typ 1-Diabetes im Kindesalter (Manifestationskoma), oder bei Unterbrechung der Insulinzufuhr gesehen (R. Nishimura et al.: Diabetes Care 2001; 24: 823-827). Die wichtigste präventive Maßnahme ist die Frühdiagnose des Diabetes und bei bekanntem Typ 1-Diabetes die Information der/des Betroffenen und der Familie oder eines engsten Freundes- und Bekanntenkreises über Symptome und notwendige Maßnahmen. Jedes Präkoma und Koma bedarf einer intensivmedizinischen Betreuung.

Hypoglykämische Entgleisungen sind der limitierende Faktor für eine normnahe Blutzuckereinstellung. (N Engl J Med 1993; 329: 977-986). Alle Kompensationsmechanismen für die Entwicklung einer Hypoglykämie, nämlich eine Herunterregulation der Insulinsekretion sowie ein adäquater Anstieg der Glukagon- und der Adrenalinsekretion sind bei den meisten Menschen mit Typ 1-Diabetes gestört. Kürzlich durchgemachte Hypoglykämien, selbst asymptomatische nächtliche Hypoglykämien, reduzieren die Adrenalinantwort und die symptomatische Gegenreaktion auf nachfolgende Hypoglykämien, so dass die Hypoglykämiewahrnehmung gestört wird und sinnvolle bewusste Gegenreaktionen wie z. B. die Zufuhr von Glukose, unterbleiben (P. E. Cryer: N Engl J Med 2004; 350: 2272-2279). Die wichtigste prophylaktische Maßnahme ist eine stabile Blutzuckereinstellung mit einer konsequenten Vermeidung von Hypoglykämien. Unterstützend hilft dazu ein Blutglukosewahrnehmungstraining nach Cox, das heute von spezialisierten Diabeteszentren angeboten wird.

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Langzeitfolgen

Die wichtigste Sekundärprävention beim Typ 1-Diabetes ist die Vermeidung von mikrovaskulären Organkomplikationen. Die Daten zahlreicher Studien, insbesondere der DCCT („The Diabetes Control and Complications Trial“) haben gezeigt, dass eine normnahe Blutglukoseeinstellung im Rahmen einer intensivierten Insulintherapie in der Lage ist, das Auftreten und die Progression einer Retinopathie, Nephropathie und Neuropathie signifikant zu reduzieren (R. N. Frank: N Engl J Med 2004; 350: 48-58). Ein weiteres Ergebnis der DCCT war, dass der positive Effekt auf Entwicklung und Progression einer Retinopathie um so deutlicher ist, je früher die intensivierte Insulintherapie einsetzt und je weniger weit fortgeschritten die Retinopathie zu diesem Zeitpunkt ist. Eine 10%ige Reduktion des HbA1c war mit einer etwa 40%igen Reduktion der Entwicklung und Progression einer Retinopathie assoziiert. Wegweisend sind auch die Beobachtungen aus der „Epidemiology of Diabetes Intervention and Complications Study“ (EDIC) (N Engl J Med 2000; 342: 381-389), der Nachbeobachtung von Patienten nach Abschluss der neunjährigen DCCT. Sie zeigte, dass der positive Effekt einer guten Blutglukoseeinstellung im Rahmen der Studie in der Nachbeobachtungszeit von mehreren Jahren anhält, auch wenn die intensiviert behandelten Patienten inzwischen etwas schlechter und die Patienten in der Kontrollgruppe etwas besser eingestellt waren als zuvor. In der DCCT konnte die Entwicklung einer Mikroalbuminurie, dem frühesten Marker einer diabetischen Nephropathie durch eine intensivierte Insulintherapie um 34% gesenkt werden.

Im Rahmen der diabetischen Nephropathie kann es bei inadäquater Blutzuckereinstellung oder auch schicksalhaft zu einer Progression bis zur Makroalbuminurie und Niereninsuffizienz kommen (P. Rossing et al.: Diabetes Care 2002; 25: 859-864). In diesem Stadium tritt auch beim Typ 1-Diabetes eine arterielle Hypertonie auf. Sowohl die Nephropathie als auch die Retinopathie werden durch eine Hypertonie und durch Zigarettenrauchen verschlechtert. Entsprechend gelten Nikotinkarenz und Blutdruckeinstellung mit Zielwerten möglichst unter 130/80 mmHg als essentielle Maßnahmen für eine Progressionshemmung. Therapeutisch haben sich insbesondere bei Menschen mit Typ 1-Diabetes und Nephropathie ACE-Hemmer und eventuell AT1-Rezeptorblocker als vorteilhaft erwiesen. Dies ist für die Retinopathie noch nicht sicher mit Studiendaten belegt.

Das Risiko für die Entwicklung einer klinisch relevanten Neuropathie konnte durch eine intensivierte Insulintherapie in der DCCT um 60% reduziert werden (N Engl J Med 2000; 342: 381-389). Die möglichst normnahe Blutglukoseeinstellung ist die am besten gesicherte kausale Maßnahme, die bezüglich der Hemmung von Entwicklung und Progression einer Neuropathie, nicht aber ihrer Besserung, wirksam ist.

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Der latent insulinpflichtige Diabetes mit Beginn im Erwachsenenalter (LADA, „Latent Insulin- Dependent Autoimmune Diabetes in Adults“)

Hierbei handelt es sich um eine Form des Typ 1-Diabetes, bei der initial keine Insulinpflichtigkeit vorherrscht. Die Erkrankung beginnt im Erwachsenenalter und ist durch das Vorhandensein von inselzellspezifischen Autoantikörpern und einer reduzierten basalen und stimulierbaren Insulinsekretion charakterisiert. Bei Antikörper-positiven Patienten mit Diabetesbeginn im Alter von unter 45 Jahren brauchten in der UKPDS („United Kingdom Prospective Diabetes Study“) 87,5% dieser anfangs als Typ 2-Diabetes eingestuften Patienten innerhalb von 6 Jahren Insulin. Bei Patienten mit gleichen Charakteristika, aber Diabetesbeginn im Alter von über 45 Jahren waren es dagegen nur 67,7% (R. Turner et al.: Lancet 1997; 350: 1288-1293). Daten aus der „Wisconsin Retinopathy Study“ lassen vermuten, dass eine besser erhaltene Residualfunktion der Betazellen mit einer besseren Prognose bezüglich Auftreten und Progression einer diabetischen Retinopathie verbunden ist. Beim LADA ist bisher noch nicht sicher durch Studiendaten geklärt, ob sich die residuale Betazellfunktion durch eine frühzeitige Insulinbehandlung verbessern lässt.

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Ausblick

Durch eine möglichst frühzeitige völlige Normalisierung der Blutglukoseeinstellung lassen sich mikrovaskuläre Komplikationen des Typ 1-Diabetes deutlich hemmen oder sogar vermeiden. Dieses Idealziel ist aber nur durch ein „Closed-Loop-System“ im Sinne eines künstlichen Pankreas oder eines biologischen Ersatzes funktionierender Betazellen zu erreichen. Diese Entwicklung sollte daher im Sinne unserer Patienten mit aller Kraft vorangetrieben werden. Dennoch stehen uns schon mit den heutigen Therapien sehr wirksame Möglichkeiten für die Prävention von diabetischen Komplikationen zur Verfügung. Wesentlich erscheint uns dabei die Einbindung von spezieller diabetologischer Expertise in das Betreuungsteam, das nicht nur für die Akutbehandlung, sondern auch für die Prävention und Therapie diabetischer Komplikationen Verantwortung trägt.

Weitere Informationen zum Diabetes mellitus erhalten Sie über: www.diabetes-deutschland.de verantwortlich: Prof. Dr. W. A. Scherbaum, Deutsche Diabetes Klinik, DDZ, Düsseldorf

Fachliche Betreuung der „Serie Prävention“:

Prof. Dr. Dr. h. c. Peter C. Scriba, Medizinische Klinik / Klinikum Innenstadt der Universität München, Ziemssenstr. 1 80336 München

Prof. Dr. Friedrich W. Schwartz, Medizinische Hochschule Hannover Abteilung für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitsforschung Carl-Neuberg-Str. 1, 30623 Hannover

Prof. Dr. Werner A Scherbaum

Deutsches Diabetes-Zentrum, DDZ Leibniz-Zentrum für Diabetesforschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Rheumatologie Universitätsklinikum Düsseldorf

Auf‘m Hennekamp 65

40225 Düsseldorf

Prof. Dr. Werner A Scherbaum

Deutsches Diabetes-Zentrum, DDZ Leibniz-Zentrum für Diabetesforschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Rheumatologie Universitätsklinikum Düsseldorf

Auf‘m Hennekamp 65

40225 Düsseldorf