Dtsch Med Wochenschr 2004; 129: S94-S95
DOI: 10.1055/s-2004-831384
Kurzübersicht
Von der chronischen Entzündung zum Malignom
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Pankreatitis: Von der chronischen Entzündung zum Karzinom

Pancreatitis: from chronic inflammation to cancerV. Keim1
  • 1Medizinische Klinik und Poliklinik II, Universitätsklinikum Leipzig
Further Information

Prof. Dr. Volker Keim

Medizinische Klinik und Poliklinik II, Universitätsklinikum Leipzig

Philipp Rosenthal Straße 27

04103 Leipzig

Email: keimv@medizin.uni-leipzig.de

Publication History

eingereicht: 21.4.2004

akzeptiert: 16.7.2004

Publication Date:
15 September 2004 (online)

Table of Contents

Die Komplikationen der chronischen Pankreatitis (CP) wie exokrine Insuffizienz, Gangerweiterung, Verkalkungen und Diabetes mellitus treten nach Erkrankungsbeginn mit zunehmender Häufigkeit auf. Bei diesen Patienten wurde auch der Übergang in ein Pankreaskarzinom (PaCa) beschrieben. Allerdings liegt nur bei wenigen Prozenten der Patienten mit PaCa zuvor eine CP vor. In dieser Übersicht soll die Frage geklärt werden, ob man bestimmte Risikofaktoren identifizieren kann, welche genetischen Mechanismen hierbei eine Rolle spielen und ob man dies rechtzeitig diagnostizieren kann.

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Häufigkeit des Pankreaskarzinoms bei chronischer Pankreatitis

In einer retrospektiven, bis ins Jahr 1945 zurückreichenden Analyse von etwa 2500 Patienten mit CP wurden 53 Patienten mit PaCa entdeckt [8]. Bei der Hälfte der Patienten war das Malignom kurz nach Diagnose der CP aufgetreten. Schließt man diese Patienten aus, bleibt immerhin noch eine 16fach höhere Inzidenz des Malignoms übrig.


kurzgefasst: Das Pankreaskarzinom ist bei Patienten mit chronischer Pankreatitis etwa 16 Mal häufiger als bei Kontrollen.

Die solideste Arbeit zu diesem Thema wurde von Malka et al [10] publiziert, hierbei handelt es sich um eine prospektive Studie an 373 Patienten mit nachgewiesener CP. Die Nachbeobachtungszeit betrug im Median fast 10 Jahre und in dieser Zeit sind 23 Patienten gestorben. Es fällt jedoch auf, dass ein PaCa nur bei vier Patienten aufgetreten ist, etwa 3mal häufiger fanden sich Malignome der Atemwege, des HNO-Bereichs und des Ösophagus. Die anderen identifizierten Todesursachen waren kardiovaskuläre Erkrankungen. Dies deutet auf ein wesentliches Gesundheitsproblem der Patienten hin, das vermutlich im exzessiven Konsum von Alkohol und Nikotin liegt. Die Befunde lassen sich durch Zusammenfassung von insgesamt sieben Studien zu diesem Thema bestätigen [10] [12]. Hierbei konnten unter 2166 Patienten mit CP bei 40 ein Pankreasmalignom nachgewiesen werden, wohingegen 124 an extrapankreatischen Tumoren erkrankten. Allerdings finden sich auch bei Patienten mit nicht-alkoholischer CP gehäuft extrapankreatische Malignome [12]. Ob es hier eine genetische Disposition gibt, die sowohl die CP, das PaCa als auch das extrapankreatische Malignom begünstigt, muss offen bleiben.


kurzgefasst: Patienten mit chronischer Pankreatitis haben viel häufiger extrapankreatische Malignome und kardiovaskuläre Ereignisse als Pankreaskarzinome

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Die hereditäre Pankreatitis und das Pankreaskarzinom

Bei Patienten mit der sehr seltenen, autosomal-dominant vererbten hereditären Pankreatitis soll ein PaCa sehr häufig sein [9]. Dies ist für die alltägliche klinische Praxis allerdings nicht wirklich relevant, da die Inzidenz dieser Form der Pankreatitis unter 0,05/1 000 000 Personen liegt. Unsere Untersuchungen zu dieser Patientengruppe finden keine außergewöhnliche Häufung des PaCa [6]. Kürzlich wurden Daten zu recht vielen Patienten publiziert [5], die Auswertung ist allerdings zu hinterfragen, da die Erkrankung nicht (wie bei allen anderen Studien) anhand des Follow-up nach Erkrankungsbeginn, sondern nach dem Patientenalter ausgewertet wurde. Außerdem berichten die Autoren über einen besonders schweren Verlauf bei diesen Patienten und widersprechen damit den Befunden aus anderen Studien [6] [7].

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Die Problematik der Kontrollgruppe

Ein bedeutender Kofaktor bei chronisch-alkoholischer Pankreatitis ist das Zigarettenrauchen, das selbst ein wesentlicher Risikofaktor des PaCa ist [3] und alleine eine 3 - 4fach höhere Inzidenz erklären würde. Die Zufuhr von nichtkonservierten, frischen oder rohen Nahrungsmittel ist bei den Patienten mit chronischer Pankreatitis reduziert. Dies erhöht nach epidemiologischen Studien die Wahrscheinlichkeit für ein PaCa um den Faktor 2. Schließlich bleiben die weiteren Risikofaktoren Diabetes mellitus, familiäre Assoziation, Helicobacter pylori und Übergewicht [2] [3]. Wahrscheinlich bleibt somit insgesamt allenfalls ein um Faktor 2-3 gesteigertes Risiko des PaCa infolge der CP übrig.


kurzgefasst: Die Risikofaktoren der Malignomentstehung sind die chronische Entzündung, das Zigarettenrauchen und der Alkoholkonsum.

Natürlich muss man zugestehen, dass es sich bei dieser Kalkulation um eine grobe Überschlagsrechnung handelt, da nicht geklärt ist, ob diese einzelnen Risikofaktoren tatsächlich voneinander unabhängig sind. Aber dennoch kann dies belegen, wie kritisch man diese Studien lesen muss, um das auf die chronische Entzündung bezogene Risiko korrekt einzuschätzen.

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Genetische Veränderungen beim Pankreaskarzinom

In den letzten Jahren hat sich das Konzept der „pankreatischen intraepithelialen Neoplasie” (PanIN) etabliert, welches von der Adenom-Karzinom-Sequenz des Kolons abgeleitet wurde. Man geht davon aus, dass sich das PaCa aus Vorstufen bildet. In Abb. [1] ist das Konzept dargestellt [4]. Es unterteilt die Pankreasläsionen in PanIN 1A, 1B, 2 und 3. Jede dieser Stufen ist durch bestimmte morphologische Veränderungen charakterisiert. Mit der Progression der Läsionen ist eine Akkumulation von genetischen Veränderungen assoziiert, die schrittweise die Kontrolle des Zellzyklus und der Apoptose durch die Zelle unterbindet und damit zum Malignom führt.

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Abb. 1 Progression der PanIN-Läsionen ( = pankreatische intraepitheliale Neoplasie, Abbildung modifiziert nach [4]).

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Genetische Veränderungen beim Übergang einer chronischen Pankreatitis in das Pankreaskarzinom

Es existieren keine gesicherten Erkenntnisse, über welche Mechanismen die CP in ein Malignom übergeht. PanIN-Läsionen finden sich nicht nur beim PaCa, sondern auch bei einer CP. Allerdings fanden beispielsweise Rosty et al. [11] bei der CP wesentlich seltener einen Verlust von p16 (ein Tumorsuppressor-Gen, das in der Zellzyklus-Regulation eine wichtige Rolle spielt) als bei PaCa, obwohl die Morphologie der Läsionen nach der PanIN-Klassifikation ähnlich war. Als weitere, zumindest hypothetische Mechanismen kann man aberrierende Methylierung oder genetische Instabilität sehen, die durch reaktive Sauerstoffspezies, verändertes Zytokinmilieu, verstärkten turnover der Zellen oder lang dauernde Entzündung getriggert werden [11]. Ein jüngst publizierter Mechanismus ist der bei CP nachgewiesene Verlust von Teleomeren, der zu chromosomaler Instabilität führt [11]. Die Rolle dieser einzelnen Faktoren muss jedoch derzeit als hypothetisch bezeichnet werden.


kurzgefasst: Eine wichtige Rolle in der Pathogenese des Pankreaskarzinoms spielt die Akkumulation genetischer Veränderungen.

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Frühdiagnostik des Pankreaskarzinoms in der chronischen Pankreatitis

Es gibt nach wie vor kein Verfahren, was zuverlässig ein PaCa bei einem Patienten mit einer CP nachweisen oder ausschließen kann. In einer sehr großen prospektiven Studie haben Rosewicz und Mitarbeiter [1] Patienten mit unklarer Raumforderung im Pankreaskopf untersucht. Dabei zeigte sich ein gewisser Stellenwert von klinischen Kriterien wie weibliches Geschlecht, Alter, schmerzloser Ikterus, neu aufgetretener Diabetes mellitus bzw. kein Vorbestehen einer CP. Die Sensitivität von MRT und ERCP lag über 90 %, die Spezifität nur bei 70-80 %. Damit haben wir, trotz Durchführung aller diagnostischen Maßnahmen und unter Studienbedingungen, immer noch eine Irrtumsquote von über 10 %. Dieses Dilemma kann nach wie vor nur durch eine chirurgische Exploration bzw. Operation aufgelöst werden. Überwachungsstrategien bei Patienten mit chronischer Pankreatitis zur Früherkennung des Pankreasmalignoms sind somit auch nicht etabliert.


kurzgefasst: Das diagnostische Dilemma chronische Pankreatitis - DD Pankreaskarzinom - DD chronische Pankreatitis mit Pankreaskarzinom ist ungelöst.

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Fazit

Das Pankreaskarzinom ist bei chronischer Pankreatitis häufiger als in der Kontrollbevölkerung, allerdings besteht nur bei wenigen Prozent der Patienten mit Pankreaskarzinom zuvor eine chronische Pankreatitis. Als Risikofaktoren spielen neben der chronischen Entzündung auch Ernährungs- und Konsumgewohnheiten eine Rolle. Nicht vergessen werden sollte, dass bei der alkoholischen chronischen Pankreatitis sowohl extrapankreatitische Malignome als auch kardiovaskuläre Ereignisse deutlich häufiger sind als Pankreaskarzinome. Es ist nicht genau bekannt, über welche Mechanismen die chronische Entzündung in ein Malignom übergeht, man kann aber eine Akkumulation erworbener genetischer Faktoren vermuten. Nach wie stehen wir vor dem diagnostischen Dilemma, dass das Pankreaskarzinom bei einem Patienten mit chronischer Pankreatitis mit keinem Verfahren zuverlässig nachgewiesen oder ausgeschlossen werden kann.

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Literatur

  • 1 Bähmig M, Koch I, Hintze R E, Veltzke-Schlieker W, Hoepffner N, Müller H P, Lopez-Hänninen E, Amthauer H, Ricke J, Hosten N, Langrehr J, Schink T, Wernecke K D, Felix R, Neuhaus P, Wiedenmann B, Rosewicz S. Pankreasläsion unklarer Dignität? Ein prospektiv entwickelter diagnostischer Algorithmus.  Z Gastroenterologie. 2003;  41 791
  • 2 Calle E E, Rodriguez C, Walker-Thurmond K, Thun M J. Overweight, obesity, and mortality from cancer in a prospectively studied cohort of US adults.  N Engl J Med. 2003;  348 1625-1638
  • 3 Ghadirian P, Lynch H T, Krewski D. Epidemiology of pancreatic cancer: an overview.  Cancer Detect Prev. 2003;  27 87-93
  • 4 Hansel D E, Kern S E, Hruban R H. Molecular pathogenesis of pancreatic cancer.  Annu Rev Genomics Hum Genet. 2003;  4 237-256
  • 5 Howes N, Lerch M M, Greenhalf W, Stocken D D, Ellis I, Simon P, Truninger K, Ammann R, Cavallini G, Charnley R M, Uomo G, Delhaye M, Spicak J, Drumm B, Jansen J, Mountford R, Whitcomb D C, Neoptolemos J P. European Registry of Hereditary Pancreatitis and Pancreatic Cancer (EUROPAC) . Clinical and genetic characteristics of hereditary pancreatitis in Europe.  Clin Gastroenterol Hepatol. 2004;  2 252-261
  • 6 Keim V, Witt H, Bauer N, Bodeker H, Rosendahl J, Teich N, Mossner J. The course of genetically determined chronic pancreatitis.  JOP. 2003;  4 146-154
  • 7 Layer P, Yamamoto H, Kalthoff L, Clain J E, Bakken L J, DiMagno E P. The different courses of early- and late-onset idiopathic and alcoholic chronic pancreatitis.  Gastroenterology. 1994;  107 1481-1487
  • 8 Lowenfels A B, Maisonneuve P, Cavallini G, Ammann R W, Lankisch P G, Andersen J R, Dimagno E P, Andren-Sandberg A, Domellof L. International Pancreatitis Study Group . Pancreatitis and the risk of pancreatic cancer.  N Engl J Med. 1993;  328 1433-1437
  • 9 Lowenfels A B, Maisonneuve P, DiMagno E P, Elitsur Y, Gates L K, Perrault J, Whitcomb D C. International Hereditary Pancreatitis Study Group . Hereditary pancreatitis and the risk of pancreatic cancer.  J Natl Cancer Inst. 1997;  89 442-426
  • 10 Malka D, Hammel P, Maire F, Rufat P, Madeira I, Pessione F, Levy P, Ruszniewski P. Risk of pancreatic adenocarcinoma in chronic pancreatitis.  Gut. 2002;  51 849-852
  • 11 Rosty C, Geradts J, Sato N, Wilentz R E, Roberts H, Sohn T, Cameron J L, Yeo C J, Hruban R H, Goggins M. p16 Inactivation in pancreatic intraepithelial neoplasias (PanINs) arising in patients with chronic pancreatitis.  Am J Surg Pathol. 2003;  27 1495-1501
  • 12 Thuluvath P J, Imperio D, Nair S, Cameron J L. Chronic pancreatitis. Long-term pain relief with or without surgery, cancer risk, and mortality.  J Clin Gastroenterol. 2003;  36 159-165

Prof. Dr. Volker Keim

Medizinische Klinik und Poliklinik II, Universitätsklinikum Leipzig

Philipp Rosenthal Straße 27

04103 Leipzig

Email: keimv@medizin.uni-leipzig.de

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Literatur

  • 1 Bähmig M, Koch I, Hintze R E, Veltzke-Schlieker W, Hoepffner N, Müller H P, Lopez-Hänninen E, Amthauer H, Ricke J, Hosten N, Langrehr J, Schink T, Wernecke K D, Felix R, Neuhaus P, Wiedenmann B, Rosewicz S. Pankreasläsion unklarer Dignität? Ein prospektiv entwickelter diagnostischer Algorithmus.  Z Gastroenterologie. 2003;  41 791
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  • 12 Thuluvath P J, Imperio D, Nair S, Cameron J L. Chronic pancreatitis. Long-term pain relief with or without surgery, cancer risk, and mortality.  J Clin Gastroenterol. 2003;  36 159-165

Prof. Dr. Volker Keim

Medizinische Klinik und Poliklinik II, Universitätsklinikum Leipzig

Philipp Rosenthal Straße 27

04103 Leipzig

Email: keimv@medizin.uni-leipzig.de

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Abb. 1 Progression der PanIN-Läsionen ( = pankreatische intraepitheliale Neoplasie, Abbildung modifiziert nach [4]).