Dtsch Med Wochenschr 2004; 129: S68-S70
DOI: 10.1055/s-2004-831376
Kurzübersicht
Leber
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Primäre und sekundäre Prophylaxe der Ösophagusvarizenblutung[1]

Variceal hemorrhage: primary and secondary prophylaxisT. Sauerbruch1 , M. Schepke1
  • 1Medizinische Universitätsklinik und Poliklinik I, Allgemeine Innere Medizin, Bonn
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Prof. Dr. Tilman Sauerbruch

Medizinische Klinik und Poliklinik I, Universitätsklinikum

Sigmund-Freud-Straße 25

53105 Bonn

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Fax: 0228/2874322

Email: sauerbruch@uni-bonn.de

Publication History

eingereicht: 5.5.2004

akzeptiert: 12.8.2004

Publication Date:
15 September 2004 (online)

Table of Contents

Ösophagusvarizen entstehen durch eine Druckerhöhung in der Pfortader, am häufigsten als Folge einer Leberzirrhose, seltener durch einen prä- bzw. posthepatischen Block oder einen erhöhten Einfluss in das portalvenöse System (z. B. bei Erkrankung mit erheblicher Splenomegalie). Aufgrund ihrer besonderen anatomischen Lage im Bereich des distalen Ösophagus bzw. des gastroösophagealen Übergangs, wo sie nur von einer dünnen Epithelschicht bedeckt sind, kommt es vor allem im unteren Drittel der Speiseröhre zur Ruptur. Dabei ist der Auslöser unklar. Eindeutig gezeigt werden konnte, dass Patienten ein erhöhtes Blutungsrisiko haben bei schlechter Leberfunktion (Child C) und bei großen Varizen, besonders dann, wenn bestimmte endoskopische Zeichen auf den Varizen vorliegen, die auf einen erhöhten Blutdruck im Gefäß deuten. In letzter Zeit wurde auch spekuliert, dass nicht nur die mit der Leberzirrhose assoziierte gestörte plasmatische Gerinnung, sondern auch eine Funktionsstörung der Thrombozyten als Auslöser eine Rolle spielt. Ob akute Druckerhöhungen in der Varize (z.B. postprandial, bei Valsalvamanöver) zur Blutung führen, ist schwer zu belegen.

Die Leberzirrhose mit portaler Hypertension ist eine systemische Erkrankung, die sich im Gefäßsystem als sog. hyperdyname Veränderung äußert mit einer unterschiedlich gestörten Perfusion der Organe. Involviert sind ganz besonders das Splanchnikusgebiet, aber auch die Lunge und die periphere Strombahn. Während in der Peripherie eine vermehrte Weitstellung der Gefäße besteht, ist in der Niere selbst beim Menschen eine verminderte Durchblutung zu beobachten. Der gesamte Komplex dieser Veränderung mit unterschiedlicher organabhängiger Gefäßdysregulation sowie die dazugehörigen Mediatoren sind nur partiell verstanden [8]. Eine wichtige Rolle in der Vermittlung spielen einerseits Stickstoffmonoxid (NO), Prostaglandine oder auch Enterohormone wie Glucagon und andererseits die Ausschüttung vasokonstriktorischer Gegenspieler wie Endothelin bzw. eine Aktivierung des Renin-Angiotensin-Systems.

Prophylaxe und Therapie der Varizenblutung haben verschiedene Ziele:

die Verhinderung der Blutung aus den Varizen, und zwar als Primärprophylaxe oder im Sinne einer Sekundärprophylaxe zur Verhinderung der Rezidivblutung, und

die möglichst rasche Hämostase.

Dabei wurden in den letzten 15 Jahren Techniken entwickelt, die gar nicht (z. B. lokale Blutstillung) oder auf ganz unterschiedlichem Wege in die Pathophysiologie der portalen Hypertension eingreifen (z. B. Shunt vs. medikamentöse Behandlung). Ideal wäre eine Behandlung, die die komplexen bei der Leberzirrhose auftretenden Störungen möglichst global erfasst und therapiert, d. h. den intrahepatischen Widerstand senkt und zugleich die hyperdyname Zirkulationsstörung ebenso wie die gestörte hormonelle Situation beeinflusst, um auf diesem Wege auch den Portaldruck zu senken. Von einer so globalen Therapie sind wir noch weit entfernt.


kurzgefasst: Die anatomische Situation der Varizen und die hyperdyname Zirkulationsstörung sind wichtige Veränderungen, die bei der Behandlung der Varizenblutung berücksichtigt werden müssen.

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Beeinflussung bzw. Umgehung des intrahepatischen Widerstandes

Die älteste Methode ist die Etablierung eines Shunts außerhalb der Leber. Über viele Jahrzehnte konnte gezeigt werden, dass hierdurch eine sehr effiziente Blutungsprophylaxe erreicht wird. Dies wird, neben dem operativen Trauma, allerdings bei einigen Patienten erkauft mit einer signifikant erhöhten Enzephalopathierate und einer Verschlechterung der Leberdurchblutung mit konsekutiver Verschlechterung der Leberfunktion. Die Shunt-Operation ist daher zur Prophylaxe der ersten Blutung verlassen worden. Für junge Patienten mit guter Leberfunktion stellt sie allerdings immer noch die beste Rezidivblutungsprophylaxe dar.

Neuere Ansätze versuchen, den intrahepatischen Widerstand bei Zirrhose zu modulieren. Die einfachste, aber effiziente Methode, den intrahepatischen Widerstand zu senken, ist die Einlage eines transjugulären intrahepatischen portosystemischen Stentshunts (TIPS). Hierbei handelt es sich um eine 8 - 10 mm weite Prothese, die zwischen einer großen Lebervene und einem großen Portalvenenast nach Dilatation der dazwischenliegenden Parenchymbrücke eingesetzt wird. Funktionell handelt es sich um einen Seit-zu-Seit-Shunt. Das Problem des TIPS, seine Stenosierung bzw. Restenosierung, wird zu einem großen Teil durch eine technische Weiterentwicklung („gecoateter“ TIPS) umgangen.

Große Meta-Analysen einer ganzen Reihe von kontrollierten Studien, die die Rolle des TIPS zur Verhinderung der Rezidivblutung mit endoskopischen Verfahren (vor allem Ligatur) vergleichen, zeigen, dass der TIPS vor einer neuerlichen Blutung am besten schützt. Allerdings ist die Enzephalopathierate erhöht und die Überlebensrate wird nicht beeinflusst. Obwohl es nach Einlage eines TIPS zu einer Verstärkung der hyperdynamen Zirkulationsstörung kommt, wird das Renin-Angiotensin-System deaktiviert und die Nierenfunktion verbessert. Dies erklärt, warum der Einsatz eines TIPS bei Patienten mit refraktärem Aszites wirksam ist.

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Beeinflussung der hyperdynamen Zirkulationsstörung

Ende der 70er Jahre postulierte die französische Gruppe um Lebrec [4], dass die hyperdyname Zirkulationsstörung im Splanchnikusgebiet durch die Gabe eines nicht selektiven Betablockers (Propranolol) gesenkt werden müsste, und zwar einerseits durch Reduktion des Herzminutenvolumens und andererseits durch das Überwiegen der alpha-adrenergen Wirkung nach Betablockade im Splanchnikusgebiet. In der Tat führt die Gabe von Propranolol (im Mittel 80 mg) zu einem Absinken des Pfortaderdrucks (gemessen als Lebervenenverschlussdruck) und auch zu einem Absinken des Blutungsrisikos. Dies kann durch die zusätzliche Gabe von Nitrat noch verstärkt werden. Besonders effizient ist die Therapie zur Verhinderung der ersten Blutung bzw. der Rezidivblutung bei hämodynamischem Ansprechen, d. h., wenn der Portaldruck über 20 % absinkt. Ist dies nicht der Fall, so bieten Betablocker kaum Schutz. Es handelt sich um eine lebenslang notwendige Therapie, da nach Absetzen das Risiko der Blutung unverändert zurückkehrt [1]. Betablocker werden vorwiegend zur Verhinderung der Erstblutung und in einigen Ländern auch zur Verhinderung der Rezidivblutung angewandt. Eine Beeinflussung des Aszites wird hierdurch nicht erreicht. Die anfänglich positive Bewertung einer Behandlung mit Angiotensin II-Rezeptorantagonisten konnten wir nicht bestätigen [6].

Die hyperdyname Zirkulationsstörung geht, wie oben beschrieben, mit erhöhten Spiegeln von Vasokonstriktoren bei gleichzeitiger Hypokontraktion des arteriellen Gefäßbettes einher. Dennoch konnte gezeigt werden, dass die zusätzliche Gabe des Vasokonstriktors Vasopressin (oder seines Analogs Terlipressin) den Portaldruck senkt, was zu einer Hämostase bei der akuten Varizenblutung, aber auch sehr wahrscheinlich zu einer Verbesserung der Nierenperfusion und damit zu einer Beeinflussung der Nierenfunktionsstörung führen kann. Für beide Indikationen wird Terlipressin eingesetzt, allerdings nur als Kurzzeitmaßnahme. Über die Translokation von Bakterien, Freisetzung von LPS und Induktion von NO wird ebenfalls die hyperdyname Zirkulationsstörung bei Zirrhose unterhalten [8]. Es konnte gezeigt werden, dass die Langzeitgabe eines Antibiotikums die arterielle Dysfunktion günstig beeinflusst [5].


kurzgefasst: Die Beeinflussung der hyperdynamen Zirkulationsstörung bei Patienten mit einer Leberzirrhose durch Gabe eines nicht selektiven Betablockers oder eines Vasopressin-Analogs senkt das Risiko einer Varizenblutung.

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Lokale Therapie

Sowohl in der Akutsituation als auch zur Prophylaxe wiederholter Blutungen werden endoskopische Verfahren eingesetzt. Die Sklerosierungstherapie der Ösophagusvarizen wurde weitgehend abgelöst durch die Ligatur. Diese senkt das Blutungsrisiko signifikant sowohl in der Primär- als auch in der Sekundärprophylaxe. Sie ist wahrscheinlich der hämodynamisch kontrollierten medikamentösen Therapie in Bezug auf solche Patienten, bei denen eine Gabe von Propranolol mit oder ohne Nitrat hämodynamisch anspricht, als Rezidivblutungsprophylaxe unterlegen, jedoch ein unbedingt notwendiges Verfahren, um akute Blutungen zu therapieren. Die endoskopische Injektion von Sklerosierungssubstanzen wurde weitgehend verlassen, allerdings hat die Injektion von Kunststoffharzen ihren Platz gerade zur Behandlung von Fundusvarizen behalten.


kurzgefasst: Endoskopische Verfahren, besonders die Ligatur, haben eine gesicherte Indikation in der Behandlung der Akutblutung und der Blutungsprophylaxe.

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Auswahl der Verfahren zur Prophylaxe und Therapie

Kontrollierte Studien und hämodynamische Untersuchungen helfen uns heute, ein individuell zugeschnittenes Verfahren zu finden [2] [3]. In der Primärprophylaxe sollte der Patient zunächst mit einem Betablocker behandelt werden. Bei Kontraindikationen, Unverträglichkeit oder fehlendem hämodynamischen Ansprechen sollte der Patient einer Ligatur-Therapie unterzogen werden (Abb. [1]) [7]. Die akute Blutung wird endoskopisch therapiert in Kombination mit der Gabe einer vasoaktiven Substanz (z. B. Terlipressin über 5 Tage) sowie der prophylaktischen antibiotischen Therapie [9] über 5 - 10 Tage (z. B. ein Gyrasehemmer) (Abb. [2]). Die Rezidivblutungsprophylaxe muss dann individuell gehandhabt werden. In Deutschland steht die Ligatur an erster Stelle. Wiederholte Blutungen können bei guter Leberfunktion durch einen TIPS versorgt werden, insbesondere bei gleichzeitigem Aszites. Junge Patienten mit guter Leberfunktion profitieren nach wie vor von einer offenen Shunt-Operation, und Patienten, die gut auf Propranolol ansprechen (über 20 % Senkung des Pfortaderdrucks), kann auch eine lebenslange Behandlung mit Propranolol angeboten werden (Abb. [3]). Gerade in der medikamentösen Behandlung sind in Zukunft die größten Entwicklungen zu erwarten, da die Leberzirrhose eine systemische Erkrankung ist.

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Abb. 1 Algorithmus zur Prophylaxe der ersten Varizenblutung.

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Abb. 2 Algorithmus bei Vorliegen einer akuten Varizenblutung.

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Abb. 3 Algorithmus Rezidivblutungsprophylaxe.

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Literatur

  • 1 Abraldes J G. et al . Hemodynamic response to pharmacological treatment of portal hypertension and long-term prognosis of cirrhosis.  Hepatology. 2003;  37 902-908
  • 2 Bosch J, Garcia-Pagán J C. Prevention of variceal rebleeding.  Lancet. 2003;  361 952-954
  • 3 Bureau C. et al . „A la carte” treatment of portal hypertension: adapting medical therapy to hemodynamic response for the prevention of bleeding.  Hepatology. 2002;  36 1361-1366
  • 4 Lebrec D. et al . Propranolol - a medical treatment for portal hypertension.  Lancet. 1980;  2 (8187) 180-182
  • 5 Rasaratnam B. et al . The effect of selective intestinal decontamination on the hyperdynamic circulatory state in cirrhosis.  Ann Intern Med. 2003;  139 186-193
  • 6 Schepke M. et al . Hemodynamic effects of the angiotensin II receptor antagonist irbesartan in patients with cirrhosis and portal hypertension.  Gastroenterology. 2001;  121 389-395
  • 7 Schepke M. et al . Ligation versus propranolol for the primary prophylaxis of variceal bleeding in cirrhosis.  Hepatology. 2004;  40 65-72
  • 8 Shah V. et al . Nitric oxide in gastrointestinal health and disease.  Gastroenterology. 2004;  126 903-913
  • 9 Soares-Weiser K. et al . Antibiotic prophylaxis of bacterial infections in cirrhotic inpatients: a meta-analysis of randomized controlled trials.  Scand J Gastroenterol. 2003;  38 193-200

1 Dieses Manuskript wurde teilweise als Syllabusbeitrag für den Intensivkurs Klinische Hepatologie in Offenbach, Juni 2004, verwandt.

Prof. Dr. Tilman Sauerbruch

Medizinische Klinik und Poliklinik I, Universitätsklinikum

Sigmund-Freud-Straße 25

53105 Bonn

Phone: 0228/2875255

Fax: 0228/2874322

Email: sauerbruch@uni-bonn.de

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Literatur

  • 1 Abraldes J G. et al . Hemodynamic response to pharmacological treatment of portal hypertension and long-term prognosis of cirrhosis.  Hepatology. 2003;  37 902-908
  • 2 Bosch J, Garcia-Pagán J C. Prevention of variceal rebleeding.  Lancet. 2003;  361 952-954
  • 3 Bureau C. et al . „A la carte” treatment of portal hypertension: adapting medical therapy to hemodynamic response for the prevention of bleeding.  Hepatology. 2002;  36 1361-1366
  • 4 Lebrec D. et al . Propranolol - a medical treatment for portal hypertension.  Lancet. 1980;  2 (8187) 180-182
  • 5 Rasaratnam B. et al . The effect of selective intestinal decontamination on the hyperdynamic circulatory state in cirrhosis.  Ann Intern Med. 2003;  139 186-193
  • 6 Schepke M. et al . Hemodynamic effects of the angiotensin II receptor antagonist irbesartan in patients with cirrhosis and portal hypertension.  Gastroenterology. 2001;  121 389-395
  • 7 Schepke M. et al . Ligation versus propranolol for the primary prophylaxis of variceal bleeding in cirrhosis.  Hepatology. 2004;  40 65-72
  • 8 Shah V. et al . Nitric oxide in gastrointestinal health and disease.  Gastroenterology. 2004;  126 903-913
  • 9 Soares-Weiser K. et al . Antibiotic prophylaxis of bacterial infections in cirrhotic inpatients: a meta-analysis of randomized controlled trials.  Scand J Gastroenterol. 2003;  38 193-200

1 Dieses Manuskript wurde teilweise als Syllabusbeitrag für den Intensivkurs Klinische Hepatologie in Offenbach, Juni 2004, verwandt.

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Abb. 1 Algorithmus zur Prophylaxe der ersten Varizenblutung.

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Abb. 2 Algorithmus bei Vorliegen einer akuten Varizenblutung.

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Abb. 3 Algorithmus Rezidivblutungsprophylaxe.