Einführung
Einführung
Herz-Kreislauferkrankungen stellen mit 41,3 % (Männer) bzw. 51,5 % (Frauen) auch
in 2002 die häufigste Todesursache in Deutschland dar. Bewegungsmangel oder fehlende
körperliche Aktivität liegt in über 80 % aller Menschen über 30 Jahren vor.
Diese Angaben sind vergleichbar für die europäischen Länder (Samitz u. Mensink (Hrsg.): Körperliche Aktivität in Prävention und Therapie,
Hans Marseille Verlag, München 2002). Körperliche Inaktivität oder Bewegungsmangel sind seit längerem anerkannter Risikofaktor
für kardiovaskuläre Erkrankungen (Am. Heart Ass., WHO). Der Wirkungsnachweis von Prävention durch körperliche Aktivität beruht einerseits
auf Studien zu Immobilisation und Bewegungsmangel (D. K. McGuire et al.: Circulation 2001; 104: 1358-1369), andererseits auf trainingsphysiologischen Untersuchungen zur positiven Wirkung
körperlicher Aktivität auf den Organismus. Epidemiologische Längsschnittstudien
zur Prävention durch körperliche Aktivität erfolgten in den letzten 14 Jahren
stets als prospektive Kohortenstudien. Doppel-blinde oder randomisierte Studien
zu dieser Frage sind naturgemäß nicht möglich.
Definition
Definition
Unter körperlicher Aktivität versteht man alle muskulären Aktivitäten, die zu
einer nachweisbaren Steigerung des Energieumsatzes führen. Sport ist hingegen
eine muskuläre Beanspruchung mit Wettkampfcharakter oder mit dem Ziel einer persönlichen
guten Leistung. Bewegung ist eine muskuläre Beanspruchung mit geringer Steigerung
des Energieumsatzes (Samitz s. o., Hollmann, Hettinger: Sportmedizin, Schattauer-Verlag, Stuttgart/New
York 2000, 4. Auflage).
Trainingswirkungen
Trainingswirkungen
Regelmäßige körperliche Aktivität hat vielfältige Auswirkungen auf den Organismus.
Erste Anpassungen erfolgen stets in der arbeitenden Muskulatur. Muskelbioptisch
lassen sich morphologische (z. B. Faserzusammensetzung) oder biochemische (Enzyme
und Substrate) Veränderungen in der Muskelzelle nachweisen. An zweiter Stelle
beobachtet man kardiovaskuläre Anpassungen mit einer Abnahme der Herzfrequenz
und einer Zunahme der Herzfrequenzvariabilität als Hinweis auf die vagotone
Lage. Es kommt zu einer verbesserten peripheren Ausschöpfung auf gleicher Belastungsstufe,
zur Erhöhung der aerob-anaeroben Schwelle und einer Zunahme der maximalen Sauerstoffaufnahme
und ventilatorischer Größen. Die funktionale pulmonale Alterung wird verlangsamt.
Bei Bluthochdruck wird der arterielle Blutdruck gesenkt, Blutfettwerte und andere
metabolische Größen werden günstig beeinflusst, thrombogene Faktoren gehemmt
und gerinnungshemmende begünstigt. Das CRP als kardiovaskulärer Risikoindikator
nimmt ab (Löllgen: Dtsch Arztebl 2003; 100: A 987- 996).
Epidemiologie
Epidemiologie
Erste Metaanalysen (1990) zur Wirkung körperlicher Aktivität ergaben eine signifkante
Senkung von Morbidität und Mortalität. Diese Studien waren noch inhomogen
und nicht streng vergleichbar. Seitdem wurden über 30 weitere prospektive Kohortenstudien
(Evidenzgrad IIa) in „peer reviewed” Zeitschriften publiziert. In diesen Studien
wurden über 400 000 Personen erfasst mit einer Beobachtungsdauer bis zu 26 Jahren.
Zusammengefasst ergaben diese Studien eine eindeutige Senkung der Gesamtmortalität
(39 %) und der kardiovaskulären Mortalität (36 %) (Löllgen, s.o), auch bei Personen über 65 Jahren. Die Risikominderung durch Bewegung bleibt
bestehen, wenn in den Studien die ersten 5 Jahre unberücksichtigt bleiben.
Viele dieser Untersuchungen zeigen eine Dosis-Wirkungsbeziehung, wobei leicht-
bis mittelgradige Belastungen einen günstigen Effekt haben, besonders hohe Trainingsintensitäten
meist keinen zusätzlichen Effekt bringen. Bemerkenswert, dass kürzere tägliche
Bewegungseinheiten (z. B. mehrfaches Treppensteigen) sich zu einer positiven Gesamtwirkung
aufsummieren. Bewegung und körperliche Aktivität im Alltag haben eine protektive
oder präventive Wirkung. Bedeutsam sind ebenfalls Befunde, wonach regelmässiges
schnelles Spazierengehen einen Trainingseffekt und damit eine präventive Wirkung
aufweist. Die Mortalität im Vergleich zu Inaktiven wird in Abhängigkeit von Gehstrecke
und Geschwindigkeit gesenkt (Hakim: Circulation 1999; 100: 9-13). Auch bei Menschen über 65 Jahren ist eine kardiovaskuläre Prävention durch
„Walking” mit Senkung der Mortalität nachweisbar.
Leistungsfähigkeit und zukünftige Mortalität
Leistungsfähigkeit und zukünftige Mortalität
In 13 Studien wurden die körperliche Leistungsfähigkeit mittels Ergometrie bestimmt
und die Probanden im Längsschnitt beobachtet. Personen, die „fit”
waren und körperlich aktiv blieben, hatten eine geringere Mortalität als solche
mit geringer „Fitness” und fehlendem Training. Wer sein Training abbrach, verschlechterte
seine Prognose, wer erneut ein Training aufnahm, verbesserte sie. Die These, körperlich
Aktive stellten eine positive Auslese dar, wird durch Zwillingsstudien widerlegt.
Nur der Zwilling, der regelmäßig körperlich aktiv ist, zeigt die geringere
Morbidität und Mortalität. Unabhängig davon besteht eine genetische Komponente
für das Auftreten kardiovaskulärer Erkrankungen, diese wird bei ca. 30 % angesetzt.
Risiko-Nutzen-Analyse
Risiko-Nutzen-Analyse
Körperliche Aktivität wie auch Sport können kardiale Zwischenfälle bis hin zum
Herztod begünstigen. Dies betrifft vor allem Personen, die neu, zu intensiv, nur
sporadisch oder ohne sportärztliche Voruntersuchung mit dem Training beginnen.
Mehrere Analysen zeigen, dass trotz eines geringen Risikos als Nettoeffekt körperliche
Aktivität zu einer Senkung der kardialen Mortalität führt. Das Risiko wird
gemindert, wenn eine Vorsorgeuntersuchung vor dem Trainingsaufbau erfolgt. Bei
Personen über 35 Jahren mit mehr als einem Risikofaktor ist eine sportärztliche
Untersuchung unbedingt zu empfehlen (Löllgen in: Samitz; DGSP-Empfehlungen: Leitlinie zur sportärztlichen Vorsorgeuntersuchung,
2002).
Risiken bestehen auch durch Verletzungen im Bereich des Bewegungsapparates. Ein
ergänzendes Kraft- und Beweglichkeits- und Koordinationstraining senkt die Verletzungsgefahr,
so wird bei Älteren die Sturzgefahr deutlich vermindert. Körperliches Training
ist effektiver als Polsterungen zum Frakturschutz. Verletzungen durch
Bewegung nehmen im Alter und bei hohem Trainingsumfang zu. Andererseits profitieren
gerade ältere Menschen von einem umfassenden Trainingsprogramm mit Kraft- und
Ausdauerkomponenten.
Trainingsempfehlungen
Trainingsempfehlungen
Mit mittlerem Trainings- und Übungsumfang werden ausreichende Trainingeffekte
erzielt und präventiv wirksame Reize gesetzt. Optimal sind Trainingseinheiten
von 30-45 Minuten 3 bis 4-mal pro Woche mit einer Trainingsintensität von etwa
50-70 % der maximalen Leistungsfähigkeit (DGSP-Empfehlung). Regelmäßige Belastungen
im Alltag, auch längere Spaziergänge oder Wanderungen mit schnellem Tempo,
sind eine sinnvolle und wirksame Ergänzung zum Training. Moderne Herzfrequenzmessgeräte
unterstützen die Trainingssteuerung und helfen, Über- oder Unterbelastungen zu
vermeiden. Neben dem Ausdauertraining (ca. 70 % des gesamten Trainingsumfangs)
sind Kraft- und Beweglichkeitstraining (s. o., 30 % Umfang), vor allem im
Alter, eine wichtige Ergänzung.
Bewegung und Lebensstil
Bewegung und Lebensstil
Primäres Ziel der regelmäßigen körperlichen Aktivität ist nicht die sportliche
Leistung, sondern die vermehrte Bewegung und Aktivität im täglichen Leben. Bewegungen
können an der Arbeitsstätte, zu Hause oder auch in öffentlichen Gebäuden in
das Bewegungsprogramm eingebaut werden: Treppensteigen statt Aufzug, zu Fuß zum
Briefkasten oder Einkaufen, regelmäßige häusliche Übungen zur Beweglichkeit und
Kraftsteigerung. Anleitungen werden von den Sportvereinen („Sport pro Gesundheit”)
oder von qualifizierten Fitnessstudios angeboten. Jeder Mensch in jedem Alter
sollte tägliche Bewegungseinheiten und mehrmalige Trainingseinheiten pro Woche
in den Alltag integrieren. Der scheinbare Zeitverlust durch körperliche Aktivität
wird durch konzentriertes Arbeiten und Leben in der übrigen Zeit ausgeglichen.
Ziel der regelmäßigen körperlichen Aktivität ist nicht der Leistungssportler mit
75 Jahren, sondern der rüstige Mensch mit 80 oder 90 Jahren, der noch in der Lage
ist, sich mit einer angemessenen Lebensqualität selbst versorgen zu können.
Körperliche Aktivität und Prävention anderer Erkrankungen
Körperliche Aktivität und Prävention anderer Erkrankungen
Körperliche Aktivität hat eine gesicherte präventive Wirkung bei Herz-Kreislauf-
und Gefäßerkrankungen. Bewegung senkt die Erkrankungshäufigkeit und Mortalität
an Herzinfarkt, Schlaganfall und Bluthochdruck. Bei der arteriellen Verschlusskrankheit
ist Gehen als Therapie allen anderen Verfahren überlegen. Körperliche Aktivität
ist in der Lage, die zerebrale Funktion zu verbessern und den geistigen Abbau
aufzuhalten (Hollmann, Strüder, Tagarakis: Nervenheilk 2003; 22: 467-474). Das Wichtigste Behandlungsprinzip bei Osteoporose ist körperliche Aktivität
mit Gehen und Laufen. Für drei Krebsarten stellt körperliche Aktivität eine
gesicherte Prävention dar: Brustkrebs, Dickdarmkrebs und Prostatakrebs. Die Summe
aller aufgeführten Effekte der körperlichen Aktivität verzögert nachweislich die
biologische Alterung. Kein anderes Verfahren, keine Medikamente oder Heilweisen
haben eine annähernd vergleichbare Verzögerung der Alterung aufzeigen können.
Körperliche Aktivität hat auch bei der Sekundärprävention verschiedenster Erkrankungen,
wie Herzinsuffizienz, Herzinfarkt und (noch zu selten) bei chronischen Lungenerkrankungen
einen hohen und gesicherten Stellenwert.
Weitere Informationen: Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP;
Default_XREF_styleREFwww.dgsp.de).
Fachliche Betreuung der Serie:
Prof. Dr. Dr. h. c. Peter C. Scriba, München
Prof. Dr. Friedrich W. Schwartz, Hannover