Dtsch Med Wochenschr 2004; 129(18): 1015-1016
DOI: 10.1055/s-2004-824831
CME
Kardiologie/Radiologie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Vitalitätsdiagnostik nach Herzinfarkt - Der konkrete Fall

Assessment of myocardial viability - case reportK. La Rosée1 , F. M. Baer1
  • 1Klinik III für Innere Medizin, Universität zu Köln
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Prof. Dr. Frank M. Baer

Klinik III für Innere Medizin, Universität zu Köln

Joseph-Stelzmann-Straße 9

50924 Köln

Phone: 0221/4786202

Fax: 0221/4786651

Email: Frank.Baer@Uni-Koeln.de

Publication History

eingereicht: 5.2.2004

akzeptiert: 1.4.2004

Publication Date:
20 July 2004 (online)

Table of Contents #

Anamnese

Zu einem 69-jährigen Rentner wird der Notarzt wegen zunehmender Atemnot gerufen. Aus der Vorgeschichte bekannt ist ein oral behandelter Diabetes mellitus Typ 2, eine Hyperlipoproteinämie und eine arterielle Hypertonie unter Medikation. Der Vater des Patienten war an einem Myokardinfarkt verstorben. Unter der Arbeitsdiagnose „Lungenödem bei hypertensiver Entgleisung” wird der Patient noch in seiner Wohnung intubiert und beatmet ins nächstgelegene Krankenhaus gebracht. Laborchemisch auffällig sind dort GOT (55 U/l), LDH (445 U/l), CK (380 U/l), CKMB (12 % der Gesamt-CK) und Troponin T (8,91 ng/ml). Im EKG bestehen Zeichen eines abgelaufenen Hinterwandinfarktes. Radiologisch zeigt sich eine Pneumonie links bei Vergrößerung des Herzschattens. Echokardiographisch findet sich eine hochgradig eingeschränkte linksventrikuläre Funktion mit Akinesie der Hinterwand und der Posterolateralwand. Im weiteren Verlauf bekommt der Patient Fieber mit septischen Temperaturen und wird katecholaminpflichtig. Unter testgerechter antibiotischer Therapie kann er nach 10 Tagen Beatmung extubiert werden. Am 19. Tag nach Aufnahme wird der Patient zur Durchführung einer Koronarangiographie in die Universitätsklinik verlegt.

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Aufnahmebefund

Bei Aufnahme klagt der Patient über Luftnot und linksthorakale Schmerzen mit Ausstrahlung in den linken Arm bei leichter körperlicher Belastung. Er gibt an, diese Symptome vor dem Dekompensationsereignis bis auf seltene thorakale Stiche nicht gekannt zu haben. Bei einem Blutdruck von 115/65 mmHg, einer Frequenz von 65/min und einem Körpergewicht von 88 kg bei einer Größe von 173 ist er in einem insgesamt reduzierten Allgemeinzustand. Im EKG besteht ein Sinusrhythmus mit signifikanten Q-Zacken in den Ableitungen II, III, aVF und T-Negativierungen in den Ableitungen I, aVL, V5 und V6. In der körperlichen Untersuchung fallen leichte Bein- und Knöchelödeme beidseits auf.

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Bildgebende Diagnostik

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Echokardiographie in Ruhe und mit Dobutaminstimulation

Die transthorakale Echokardiographie ergibt einen mit 56 mm (linksventrikulärer enddiastolischer Durchmesser) noch normal großen linken Ventrikel, der Vorhof ist im M-Mode mit 46 mm vergrößert. In der biplanen Scheibchensummationsmethode nach Simpson ergibt sich eine mit 32 % deutlich reduzierte Auswurffraktion. Sowohl Hinterwand als auch Posterolateralwand/Anterolateralwand stellen sich akinetisch dar. Dabei erscheint ein umschriebenes Areal im Übergangsbereich zwischen Anterolateralwand und Posterolateralwand sehr echogen. In diesem Areal ist die Wanddicke im 2D-Bild mit nur 6 mm auszumessen (Abb. [1]). Darüber hinaus zeigt diese Region im Rahmen der Dobutaminstimulation keine Kontraktionsreserve, im Gegensatz zu der in Ruhe akinetischen Hinterwand. Die gesamte Vorderwand ist hypokinetisch. Morphologisch sind die Klappen unauffällig. Farbdopplerechokardiographisch besteht ein geringgradiger systolischer Reflux über der Mitralklappe.

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Abb. 1 Dobutamin-Belastungsechokardiographie bei 10 mg/kg/min: Aus dem jeweiligem Vergleich von diastolischem und systolischem Bild des hier dargestellten 4-Kammerblicks (Abb. 1 oben), des 2-Kammerblicks (Abb. 1 mitte) und des apikalen 3-Kammerblicks (Abb. 1 unten) lässt sich im Übergangsbereich des mittleren Anteils der Anterolateralwand und des mittleren Anteils der Posterolateralwand (Pfeil) ein sehr echogenes Areal darstellen, das in Ruhe eine Wanddicke von 6 mm aufweist, die unter Dobutaminstimulation nicht zunimmt (fehlende Kontraktionsreserve). Im Gegensatz dazu lässt sich in allen anderen Wandabschnitten (auch in der in Ruhe akinetischen Hinterwand) eine Dobutamin-induzierte Wanddickenzunahme darstellen.

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Herzkatheteruntersuchung

In der Lävokardiographie ergibt sich eine mit einer errechneten Auswurffraktion von 34 % deutlich eingeschränkte linksventrikuläre Funktion mit Akinesie von Teilen der Hinterwand bis in den Bereich der Herzspitze und Hypokinesie der Vorderwand (Abb. [2]). Koronarangiographisch zeigt sich ein Verschluss der rechten Kranzarterie (RCA) im Bereich der Pars descendens (Abb. [3]) und ein proximaler Verschluss des Ramus circumflexus (RCX). Der Ramus interventricularis anterior (RIVA) ist proximal im Abgangsbereich des ersten Diagonalastes zu 80 % stenosiert. Der Diagonalast selbst ist im Abgangsbereich ebenfalls zu 80 % stenosiert. Über Kollateralen färbt sich retrograd sowohl der erste und zweite kräftige Marginalast des Ramus circumflexus als auch die kräftige RCA-Peripherie an (Abb. [4]).

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Abb. 2 Lävokardiographie in RAO-Projektion. Es zeigt sich eine Akinesie der Hinterwand/Posterolateralwand. Die errechnete Ejektionsfraktion liegt bei 34 %.

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Abb. 3 Koronarangiographie in LAO-Projektion: subtotaler Verschluss der RCA im mittleren Drittel.

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Abb. 4 Koronarangiographie in RAO-Projektion: Proximale 80 %ige RIVA-Stenose (Pfeil, „RIVA-Stenose”), Abbruch von erstem und zweitem Marginalast des Ramus circumflexus. Retrograde Darstellung von erstem (in diesem Aufnahmezeitpunkt kaum sichtbar) und zweitem (Pfeil, „M 2”) Marginalast und der peripheren RCA (Pfeil, „RCA”).

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Myokard-Szintigraphie (Tetrofosmin-SPECT in Ruhe)

Teils reduzierte, teils fehlende Tetrofosmin-Belegung der Hinterwand (Pfeile) sowie fehlende Belegung der Posterolateralwand (transmuraler Defekt der Posterolateralwand und weitgehend nicht-transmuraler Infarkt der Hinterwand, Pfeile). Die Vitalität im übrigen LV-Myokard ist erhalten (Abb. [5]).

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Abb. 5 Myokardszintigraphie (Tetrofosmin-SPECT) in Ruhe: Teils reduzierte, teils fehlende Tetrofosmin-Belegung der Hinterwand sowie fehlende Belegung der Posterolateralwand (transmuraler Defekt der Posterolateralwand und weitgehend nicht-transmuraler Infarkt der Hinterwand). Erhaltene Vitalität im übrigen LV-Myokard.

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Positronenemissionstomographie (PET)

In der Positronenemissionstomographie fehlt die FDG-Aufnahme im Bereich der Posterolateralwand (fehlender Glukosestoffwechsel) bei ansonsten unauffälliger FDG-Belegung der übrigen Myokardregionen (metabolischer Vitalitätsnachweis) (Abb. [6]).

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Abb. 6 Positronenemissionstomographie: Fehlende FDG-Aufnahme im Bereich der Posterolateralwand (fehlender Glukosestoffwechsel, lange Achse zwei Pfeile, kurze Achse ein Pfeil)) bei ansonsten unauffälliger FDG-Belegung der übrigen Myokardregionen (metabolischer Vitalitätsnachweis).

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Magnetresonanztomographie (Late Enhancement)

Die Magnetresonanztomographie zeigt in der Spätphase eine deutliche Anreicherung von Kontrastmittel (Gadolinium) in der Posterolateralwand (Late Enhancement) sowie eine lokale Wandverdünnung (< 5 mm) als Hinweis auf das Vorliegen einer transmuralen Infarktnarbe (Abb. [7]).

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Abb. 7 Magnetresonanztomographie: In der Spätphase fast transmurale Anreicherung von Kontrastmittel (Gadolinium) in der Posterolateralwand (Late Enhancement, kleine Pfeile) sowie lokale Wandverdünnung (< 5 mm, dicker Pfeil) als Hinweis auf das Vorliegen einer transmuralen Infarktnarbe.

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Befund und weiterer Verlauf

Retrospektiv betrachtet ist es bei einem subakut verlaufenden Myokardinfarkt zu einer Stauungspneumonie gekommen, die letztlich zur kardiopulmonalen Dekompensation geführt hat. Angesichts des kritischen Koronarstatus bei hochgradig eingeschränkter linksventrikulärer Funktion und bestehender Angina-pectoris-Symptomatik war die Indikation zur Myokardrevaskularisation offensichtlich. Differentialtherapeutisch stellte sich bei der Akinesie im Hinter- und Posterolateralwandbereich aber die Frage, ob eine perkutane Intervention an RIVA und ggf. am Diagonalast ausreichen würde, oder ob bei Vitalität im akinetischen Areal eine operative Myokardrevaskularisation indiziert ist. Da bei retrograder Perfusion vitales Myokard im akinetischen Areal nachgewiesen werden konnte, wurde dem Patienten zu einer aortokoronaren Bypassoperation geraten. Diese wurde 2 Wochen später problemlos durchgeführt. 3 Monate nach der Operation war der Patient beschwerdefrei und gut belastbar. Echokardiographisch ergab sich eine Verbesserung der Auswurffraktion von 32 % auf 50 %.

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Fax: 0221/4786651

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Abb. 1 Dobutamin-Belastungsechokardiographie bei 10 mg/kg/min: Aus dem jeweiligem Vergleich von diastolischem und systolischem Bild des hier dargestellten 4-Kammerblicks (Abb. 1 oben), des 2-Kammerblicks (Abb. 1 mitte) und des apikalen 3-Kammerblicks (Abb. 1 unten) lässt sich im Übergangsbereich des mittleren Anteils der Anterolateralwand und des mittleren Anteils der Posterolateralwand (Pfeil) ein sehr echogenes Areal darstellen, das in Ruhe eine Wanddicke von 6 mm aufweist, die unter Dobutaminstimulation nicht zunimmt (fehlende Kontraktionsreserve). Im Gegensatz dazu lässt sich in allen anderen Wandabschnitten (auch in der in Ruhe akinetischen Hinterwand) eine Dobutamin-induzierte Wanddickenzunahme darstellen.

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Abb. 2 Lävokardiographie in RAO-Projektion. Es zeigt sich eine Akinesie der Hinterwand/Posterolateralwand. Die errechnete Ejektionsfraktion liegt bei 34 %.

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Abb. 3 Koronarangiographie in LAO-Projektion: subtotaler Verschluss der RCA im mittleren Drittel.

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Abb. 4 Koronarangiographie in RAO-Projektion: Proximale 80 %ige RIVA-Stenose (Pfeil, „RIVA-Stenose”), Abbruch von erstem und zweitem Marginalast des Ramus circumflexus. Retrograde Darstellung von erstem (in diesem Aufnahmezeitpunkt kaum sichtbar) und zweitem (Pfeil, „M 2”) Marginalast und der peripheren RCA (Pfeil, „RCA”).

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Abb. 5 Myokardszintigraphie (Tetrofosmin-SPECT) in Ruhe: Teils reduzierte, teils fehlende Tetrofosmin-Belegung der Hinterwand sowie fehlende Belegung der Posterolateralwand (transmuraler Defekt der Posterolateralwand und weitgehend nicht-transmuraler Infarkt der Hinterwand). Erhaltene Vitalität im übrigen LV-Myokard.

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Abb. 6 Positronenemissionstomographie: Fehlende FDG-Aufnahme im Bereich der Posterolateralwand (fehlender Glukosestoffwechsel, lange Achse zwei Pfeile, kurze Achse ein Pfeil)) bei ansonsten unauffälliger FDG-Belegung der übrigen Myokardregionen (metabolischer Vitalitätsnachweis).

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Abb. 7 Magnetresonanztomographie: In der Spätphase fast transmurale Anreicherung von Kontrastmittel (Gadolinium) in der Posterolateralwand (Late Enhancement, kleine Pfeile) sowie lokale Wandverdünnung (< 5 mm, dicker Pfeil) als Hinweis auf das Vorliegen einer transmuralen Infarktnarbe.