Notfall Medizin 2003; 29(7/08): 290-294
DOI: 10.1055/s-2003-41770
Praxis

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Notfallbehandlung von Unfällen bei Sport und Freizeit - Hauptsymptome und Erstmaßnahmen

T. Nowotny1 , G. Matthes1 , P. Hinz1 , A. Ekkernkamp1
  • 1Abteilung für Unfallchirurgie, Klinik und Poliklinik für Chirurgie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Further Information
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Anschrift für die Verfasser

Dr. med. Thomas Nowotny

Abteilung für Unfallchirurgie

Klinik und Poliklinik für Chirurgie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

Loefflerstraße 23b

17487 Greifswald

Email: nowotny@uni-greifswald.de

Publication History

Publication Date:
28 August 2003 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Bei den meisten Freizeitverletzungen handelt es sich um Weichteilverletzungen wie Kontusion oder Distorsion. Wunden finden sich erwartungsgemäß bei Unfällen in der Häuslichkeit (Schnittverletzungen) sowie bei Freizeitunfällen (Schürfwunden). Dagegen werden Muskel- und Sehnenverletzungen hauptsächlich bei Sportunfällen beobachtet. Unabhängig von der Unfallart treten Frakturen bei jedem 4. bis 5. Unfallverletzten auf. Luxationen sind eher seltene Verletzungsfolgen mit einem Häufigkeitsgipfel bei Sportverletzungen. Verbrennungen sind nur bei Unfällen in der Häuslichkeit statistisch relevant.

Mit diesem Beitrag sollen dem Hausarzt bzw. dem hausärztlich tätigen Internisten Handlungsempfehlungen für die Erkennung und Erstbehandlung von Sport- und Freizeitverletzungen an die Hand gegeben werden. Dabei wird im Wesentlichen auf die Hauptsymptome und die daraus resultierenden Erstmaßnahmen am Unfallort fokussiert und auf ausgedehnte Ausführungen zur weiterführenden speziellen unfallchirurgischen Therapie verzichtet.

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Summary

Most leisure activity injuries involve the soft tissues, for example, bruises or sprains. As may be expected, most wounds occur in household accidents (cuts) or during leisure activities (abrasions). In contrast, muscle and tendon damage is seen mainly in sports accidents. Irrespective of the type of accident, fractures occur in every fourth to fifth victim, while dislocations are more rarely observed - again mainly as a result of sports injuries. Burns reach statistical relevance only in domestic accidents. The present article aims to provide the family doctor or internist with recommendations to expedite the diagnosis and initial treatment of sports and leisure injuries. For the most part the focus is on the major symptoms and resulting initial measures at the site of the accident, with no detailed discussion of further specialized trauma-surgical treatment.

Im Jahr 2000 mussten 5,36 Mio. Bundesbürger wegen eines Unfalls beim Sport, in der Häuslichkeit oder in der Freizeit einen Arzt konsultieren. In der gegenwärtigen Diskussion über die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme wird regelmäßig die Herausnahme der Sport- und Freizeitunfälle aus dem Leistungskatalog der GKV vorgeschlagen. Genannt wird ein Kostenvolumen von mehr als 11 Mrd. Euro, was die Bedeutung des Unfallgeschehens außerhalb der Arbeits- und Wegeunfälle eindrucksvoll unterstreicht. Während die Frauen die Unfallstatistik in der Häuslichkeit und in der Freizeit mit einem Anteil von etwa 55 % leicht dominierten, verletzten sich beim Sport mit 67 % deutlich mehr Männer [10]. Insgesamt ereigneten sich 28 % aller Unfälle im Haus und in der häuslichen Umgebung, 24 % bei der Arbeit oder auf dem Arbeitsweg, 23 % bei Sport und Spiel, 18 % auf der Straße oder dem Gehweg sowie 7 % an sonstigen Unfallorten [1]. Während bei Haus- und Freizeitunfällen ab einem Alter von 35 Jahren eine Häufigkeitszunahme zu verzeichnen ist, liegt der Häufigkeitsgipfel bei Patienten mit Sportverletzungen im Alter von 15-24 Jahren [Tab. 1].

Bei den Verletzungsarten lag das Schwergewicht auf den Weichteilverletzungen wie Kontusion oder Distorsion. Hiervon war unabhängig von der Unfallart beinahe jeder Dritte im Rahmen eines Unfalls betroffen. Wunden fanden sich erwartungsgemäß bei den Unfällen in der Häuslichkeit (Schnittverletzungen) sowie bei den Freizeitunfällen (Schürfwunden) in einer ähnlichen Häufigkeit. Muskel- und Sehnenverletzungen wurden hauptsächlich bei Sportunfällen beobachtet. Frakturen traten in beinahe gleicher Häufigkeit bei jedem 4. bis 5. Unfallverletzten unabhängig von der Unfallart auf. Luxationen waren eher seltene Verletzungsfolgen mit einem Häufigkeitsgipfel bei Sportverletzungen. Verbrennungen waren nur bei Unfällen in der Häuslichkeit statistisch relevant [Tab. 2].

Bei den Unfällen in der Häuslichkeit und im Freizeitbereich fand sich eine beinahe gleiche Verteilung der verletzten Körperteile. Kopf/Hals sowie der Körperstamm waren hier zu je zirka 12 % betroffen, während die oberen und unteren Extremitäten zu je zirka 35 % bei Unfällen verletzt wurden. Bei Sportunfällen sieht die Verteilung der Unfallfolgen gänzlich anders aus, hier waren Kopf/Hals und der Körperstamm nur in je zirka 7-8 % der Unfälle betroffen, die oberen Extremitäten zu etwa 25 % (Tendenz zunehmend), während der überwiegende Teil der Sportunfallfolgen zu knapp 60 % an den unteren Extremitäten anzutreffen war. Überdurchschnittlich häufig waren dabei das Sprunggelenk und das Kniegelenk betroffen [3].

Im weiteren Verlauf sollen nun die verschiedenen Verletzungsarten, jeweils gegliedert in Ätiologie, Symptome und Erstbehandlung besprochen werden.

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Kontusion/Distorsion

Die Kontusion (Prellung) ist Folge einer direkten, meist stumpfen Gewalteinwirkung auf den Körper.

Distorsionen (Verstauchungen oder Zerrungen) entstehen demgegenüber meist durch indirekte Gewalt. Durch die lokale Gewalteinwirkung kommt es am Ort der Gewalteinwirkung oder fortgeleitet zu Gewebeeinrissen mit einem entsprechenden Blutaustritt (Hämatom).

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Symptome

Bei Kontusionen finden sich mehr oder weniger ausgeprägte Hämatomschwellungen am Ort der Gewalteinwirkung. Diese Schwellungen sind in aller Regel äußerst druckschmerzhaft. Die Funktionsfähigkeit der entsprechenden Extremität kann schmerzbedingt beeinträchtigt sein.

Eine besondere Entität stellt die Schädelprellung dar, da es hier durch stumpfe Gewalt von außen zu intrakraniellen Verletzungen kommen kann. Symptome wie kurzzeitige Bewusstlosigkeit, anterograde und/oder retrograde Amnesie, Brechreiz oder Erbrechen weisen auf ein Commotio-Syndrom hin.

Bei Distorsionen kann der Ort der Gewalteinwirkung weit vom Ort der Schädigung entfernt sein (Verdrehung des Fußes führt zur Kniegelenksdistorsion). Auch hier kommt es durch Teileinrisse von kollagenen Fasern der Bandstrukturen in und um die Gelenke zu einem umschriebenen Hämatom mit den gleichen klinischen Zeichen wie bei der Kontusion. Zusätzlich kann es zur Ausbildung eines Hämarthros kommen. Diesen beobachtet man besonders oft, wenn durch die Überdehnung der Bandstrukturen ein Bänderriss (z.B. Riss des vorderen Kreuzbandes im Kniegelenk) verursacht wurde.

Die mit Abstand häufigste Form der Distorsion sehen wir in Greifswald als Verletzung des Kapsel-Bandapparates am oberen Sprunggelenk nach stattgehabtem Umknicktrauma des Fußes. Die Symptome sind Hämatomschwellung mit oder ohne Hämarthros und eine schmerzbedingte Bewegungs- und Belastungsinsuffizienz. Häufig treten die Symptome erst nach einer gewissen Latenzzeit auf (z.B. nach Ende des Fußballspieles).

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Therapie

Die Erstbehandlung von Kontusion und Distorsion ist praktisch identisch. Sind Extremitäten oder Gelenke betroffen, ist eine initiale Ruhigstellung zu empfehlen. Diese kann notfallmäßig auf handelsüblichen Schienen, besser jedoch mittels vorkonfektionierter Kunststoffcast-Verbände (Kunststoffgips und Polsterung, die einsatzfertig in Form von Longuetten unterschiedlicher Länge und Breite einzeln verpackt zur Verfügung stehen) erfolgen. Begleitend sollte eine Hochlagerung und Kühlbehandlung verordnet werden. Kompressionsverbände sind geeignet, eine Schwellung rasch zurückzudrängen. Bei Verdacht auf Frakturen sind die Patienten dem Unfallchirurgen zum radiologischen Frakturausschluss beziehungsweise zur weiteren Therapie zuzuweisen.

Bei Vorliegen eines Commotio-Syndroms ist die stationäre Einweisung des Patienten zur kurzstationären Überwachung zum Ausschluss intrakranieller Blutungen oder Traumafolgen (in ca. 5 % aller Fälle) zu veranlassen [8].

Bei der Distorsion im oberen Sprunggelenk kann zusätzlich zu den oben genannten basistherapeutischen Maßnahmen eine vorübergehende Entlastung (3-5 Tage) des entsprechenden Beines an Unterarmgehstützen indiziert sein. Prognostisch entscheidend ist hier ein sicherer Ausschluss von Fraktur oder Bandruptur, sodass eine Vorstellung beim Unfallchirurgen im Zweifelsfall zu empfehlen ist.

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Wunden

Wunden sind durch einen Defekt des schützenden Deckgewebes (Haut, Schleimhäute) sowie eine Gewebezerstörung durch äußere Einflüsse gekennzeichnet.

Bei den Unfällen in der Häuslichkeit dominieren Schnittwunden, die glatte Wundränder aufweisen. Eine weitere im Wesentlichen auf Hausunfälle zurückzuführende Wundart stellen die Verbrennungs- bzw. Verbrühungswunden dar. Ihr Schweregrad wird nach Prozent der betroffenen Körperoberfläche (Neuner-Regel) und Ausdehnung der Verbrennung/Verbrühung in die Tiefe (Grad 1-4) eingeschätzt [Abb. 1].

Unfälle im Freizeitbereich oder beim Sport führen häufig zu Schürf- oder Riss-Quetsch-Platzwunden. Letztere weisen unregelmäßige Wundränder auf und sind durch einen von außen nur schwer beurteilbaren subkutanen Weichteilschaden kompliziert. Schürfwunden sind auf die Epidermis begrenzte Hautverletzungen. Stichwunden sind durch einen dünnen Wundkanal gekennzeichnet, dessen Tiefenausdehnung sich ohne erweiterte Diagnostik nicht abschätzen lässt. Bisswunden stellen eine Kombination von Stich- und Quetschwunden dar.

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Symptome

Hauptsymptome von Wunden sind die sichtbare Gewebezerstörung sowie der obligate Austritt von Blut oder Gewebeflüssigkeit. Bei jeglicher Art von Wunden ist immer nach therapierelevanten Begleitverletzungen (Prüfung von Durchblutung, Motorik und Sensibilität) zu fahnden.

In aller Regel besteht ein Wundschmerz. Dieser kann bei den prognostisch ungünstigeren Verbrennungen oder Verbrühungen vom Grad 2b und 3 fehlen.

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Therapie

Angestrebt wird eine primäre chirurgische Wundbehandlung, deren Grundsätze bereits Anfang des 20. Jahrhunderts von dem Greifswalder Chirurgen Friedrich [Abb. 2] aufgestellt wurden und die bis heute gültig sind. Für die Festlegung der Form der Wundversorgung sind folgende Faktoren zu berücksichtigen:

  • Alter der Wunde (bis sechs Stunden primäre Naht möglich)

  • Wundart (keine primäre Naht bei Biss-, Stich- und verschmutzten Wunden)

  • Wundrandbeschaffenheit

Die Erstbehandlung von Schnitt- oder Riss-Quetsch-Platzwunden besteht in der sterilen Abdeckung und der Zuweisung des Patienten zur weiteren Wundbehandlung zum Chirurgen.

Lediglich kleinere Schnittwunden ohne starke Blutungstendenz und Verschmutzung können nach Desinfektion der Wundränder mittels Steri-Strip®- oder Pflasterverband direkt versorgt werden.

Stark beziehungsweise arteriell blutende Wunden sollten mit einem Druckverband versehen und zügig der definitiven Wundversorgung zugeführt werden. Das Abbinden von Extremitäten muss dadurch möglichst vermieden werden. Lässt sich eine Blutung anders nicht zum Stehen bringen, darf die Dauer der Blutsperre (pneumatische Manschette! Druck 20-50 mmHg > systolischer RR) die Zeit von zwei Stunden nicht überschreiten.

Schürfwunden bedürfen keiner chirurgischen Therapie und heilen nach initialer Reinigung am besten verbandfrei aus.

Stichwunden an Thorax und Abdomen müssen hinsichtlich ihrer Tiefenausdehnung weiter diagnostisch abgeklärt werden, was in aller Regel eine stationäre Behandlung sowie operative Maßnahmen erforderlich macht [5].

Bisswunden gelten als primär infizierte Wunden und verlangen daher eine entsprechende chirurgische Therapie. Gleichzeitig ist der rasche Ausschluss einer möglichen Tollwut-Infektion durch Vorstellung des Tieres beim Tierarzt notwendig.

Verbrennungs- und Verbrühungswunden sollten initial für die Dauer von zirka 20 Minuten unter kaltem Leitungswasser gekühlt werden, um eine weitere Tiefenausdehnung der Verletzung (so genanntes Nachbrennen) zu vermeiden. Anschließend sind sie steril abzudecken und dem Chirurgen zur weiteren Therapie zuzuführen. Verbrennungen/Verbrühungen 2. Grades von mehr als 15 % der Körperoberfläche (Kinder > 5 %) sowie bei Beteiligung des Gesichtes, der Hände sowie der Genitalien bedürfen einer stationären Behandlung [Abb. 3]. Eine Ausnahme dieser Regel stellen die in der Region Greifswald/Insel Usedom immer wieder auftretenden Phosphorverbrennungen dar. Sie werden durch das Anschwemmen von weißem Phosphor (Reste von Brandbomben aus dem 2. Weltkrieg) an den Ostseestrand verursacht. Dieser wird in der Annahme, es sei Bernstein, aufgesammelt, eingesteckt und entzündet sich nach kurzer Zeit von selbst. Hier ist eine stationäre Betreuung und der Ausschluss einer systemischen Phosphorintoxikation immer indiziert [6].

Bei jeder Wunde besteht die Gefahr einer Tetanusinfektion. Daher sollte beim Vorliegen von Wunden immer die Frage nach dem Tetanus-Impfstatus gestellt werden, damit eventuell vorhandene Nachweise (Impfausweis) gleich primär beim Chirurgen vorgelegt werden können.

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Muskel-, Sehnen- und Bandverletzungen

Verletzungen von Muskeln, Sehnen oder Bändern entstehen durch Überschreitung der Elastizität von Myofibrillen oder kollagenen Fasern. Dabei können partielle Rupturen (z.B. Muskelfaserriss) und komplette Zerreißungen (laterale Bandruptur am Sprunggelenk) unterschieden werden.

Komplette Muskelrupturen sind selten und bedürfen zu ihrer Entstehung der Kombination aus indirekter Überdehnung und direkter Gewalteinwirkung. Häufiger hingegen sind Muskelfaserrisse, die typischerweise bei Sportunfällen auftreten. Klassische Lokalisationen sind die Oberschenkelstreck- und die Wadenmuskulatur.

Sehnenverletzungen entstehen in der Regel auf dem Boden einer degenerativen Vorschädigung. Meist führt dann ein Bagatelltrauma zur Ruptur. Betroffen sind häufig die Achillessehne, proximale und distale Bizepssehne sowie die Quadrizepssehne. Traumatische Sehnenverletzungen finden sich oft an der Hand infolge von Schnitt- oder Stichverletzungen.

Bandverletzungen haben meist eine traumatische Genese. Hier kommt es durch Überdehnung letztlich zu einem Riss der kollagenen Faserbündel. Typische Beispiele sind die Außenbandruptur am Sprunggelenk (häufigste Bandverletzung) oder Bandrupturen am Kniegelenk (Seitenbänder, Kreuzbänder).

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Symptome

Muskelfaserrisse sind durch einen plötzlich auftretenden stechenden Schmerz gekennzeichnet. Es besteht ein Druckschmerz am Ort der Ruptur. Die Schwellung ist anfangs nur gering ausgeprägt. Die entsprechende Extremität weist eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung auf. Gelegentlich kann die durch den Riss verursachte Delle in der Muskulatur palpiert werden. Ein Hämatom ist erst nach Tagen zu beobachten.

Sehnenrupturen bieten eine eher spärliche Symptomatik. Typisch ist der praktisch sofort nachweisbare Kraftverlust des entsprechenden Muskels. Häufig hat der Patient einen „Knall” oder „Schlag” im Moment der Ruptur verspürt. Schmerzen bestehen meist nur in geringem Umfang und sind durch die begleitende Hämatomschwellung bedingt. Die traumatische Sehnenverletzung der Hand ist durch eine Bewegungseinschränkung und die Lage der Schnittwunden meist offensichtlich.

Bandverletzungen zeigen praktisch die gleichen Symptome wie Distorsionsverletzungen. Durch entsprechende klinische Tests muss daher die Stabilität beziehungsweise Instabilität der entsprechenden Bänder nachgewiesen werden.

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Therapie

Verletzungen von Muskeln, Sehnen und Bändern gehen anfangs immer mit einer Funktionsbeeinträchtigung der jeweiligen Extremität einher. Therapeutisch ist daher zunächst eine Entlastung zu empfehlen.

Die spezielle unfallchirurgische Behandlung der Verletzungen von Muskeln, Sehnen und Bändern richtet sich nach dem Verletzungsausmaß und der Lokalisation, sodass an dieser Stelle keine allgemeingültigen Behandlungsempfehlungen gegeben werden können. Eine kurzfristige Vorstellung beim Unfallchirurgen zur Indikationsstellung einer konservativen oder operativen Therapie ist notwendig.

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Luxationen

Luxationen (Verrenkungen) stellen eine komplette oder unvollständige (Subluxation) Diskontinuität der Gelenkpartner dar. Sie können traumatisch durch direkte oder indirekte Gewalteinwirkung auf das Gelenk oder habituell entstehen. Am häufigsten findet man Luxationen am Schulter- (45 %) und Ellenbogengelenk (20 %) [9].

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Symptome

Klinisch imponieren die federnde Fixation der Gelenkpartner, die meist tastbare leere Gelenkpfanne und die abnorme Stellung des betroffenen Gelenkes [Abb. 4]. Es besteht ein heftiger Spontan- und Bewegungsschmerz. Durch die Überdehnung der benachbarten Strukturen sind distal der Luxation Störungen von Durchblutung, Motorik und Sensibilität (DMS) möglich und zu dokumentieren.

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Therapie

Luxationen sind unfallchirurgische Notfälle und sollten zur Vermeidung von Sekundärschäden möglichst rasch reponiert werden. Vor der Reposition ist jedoch eine Röntgenkontrolle zum Ausschluss begleitender Frakturen erforderlich, was die Reposition am Unfallort praktisch ausschließt (Ausnahme: Sprunggelenksluxationsfraktur).

Somit hat der Erstbehandler beim Vorliegen einer Luxation die Aufgabe, den vorliegenden Stellungsbefund zu schienen und den Patienten möglichst schmerzarm zum Unfallchirurgen zu transportieren.

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Frakturen

Frakturen sind Kontinuitätsunterbrechungen von Knochen. Dabei wird die Elastizitätsgrenze durch die drei Hauptkräfte Druck, Zug und Schub oder ihre Kombination so weit überschritten, dass er bricht. Sie können durch direkte Gewalt am Ort der Gewalteinwirkung oder indirekt durch Hebelwirkungen entstehen. Bei direkten Traumen beobachtet man meist einen begleitenden Weichteilschaden, der oft unterschätzt, prognostisch aber ungünstig ist. Eine weitere wesentliche Einteilung unterscheidet offene von geschlossenen Frakturen.

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Symptome

Knochenbrüche können durch das Vorliegen der so genannten „sicheren Frakturzeichen” bereits am Unfallort als solche identifiziert werden:

  • grobe Fehlstellung

  • abnorme Beweglichkeit

  • Krepitation (nicht unbedingt erzwingen, da schmerzhaft)

  • sichtbare Fragmente bei offenen Frakturen.

Unsichere Frakturzeichen sind die Symptome der Kontusion/Distorsion. Hier muss die Diagnose schlussendlich durch eine Röntgenuntersuchung in zwei Ebenen gesichert werden.

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Therapie

Die Erstbehandlung von Frakturen besteht in der Ruhigstellung der betroffenen Extremität im Spaltgips, notfalls auch mittels vorkonfektionierter Kunststoffcast-Verbände oder sonstigem geeigneten Schienungsmaterial. Dabei sind die angrenzenden Gelenke mit ruhigzustellen, Ausnahmen dieser Regel sind die körperferne Radiusfraktur (häufigste Fraktur, Ruhigstellung auf Unterarm-Spaltgips) und die Sprunggelenksfraktur (Ruhigstellung im Unterschenkel-Spaltgips).

Vor der Ruhigstellung soll eine grobe Fehlstellung durch dosierten Längszug grob reponiert werden. Dies gilt besonders für die Sprunggelenksluxationsfraktur [Abb. 5], die durch die grobe Fehlstellung des oberen Sprunggelenkes immer klinisch diagnostiziert werden kann. Ein Fortbestehen der Luxationsstellung über einen längeren Transportweg bis ins nächste Krankenhaus kann die distale Blutversorgung kompromittieren und somit bis zur Notwendigkeit der Unterschenkelamputation führen. Vor und nach Repositionsmanövern ist daher stets eine Prüfung und Dokumentation der distalen Durchblutung, Motorik und Sensibilität zu empfehlen [4] [7].

Offene Frakturen stellen unfallchirurgische Notfälle dar. Die Wunden sind am Unfallort steril abzudecken und die Patienten nach entsprechender Ruhigstellung stationär einzuweisen. Begleitend ist bei starken Schmerzen eine analgetische Medikation zu empfehlen.

Alle Patienten, bei denen eine Fraktur klinisch nicht sicher ausgeschlossen werden kann, sollten zur weiteren Diagnostik und gegebenenfalls Therapie dem Unfallchirurgen zugewiesen werden.

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Abb. 1

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Abb. 2

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Abb. 3

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Abb. 4

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Abb. 5

Tab. 1 Altersverteilung bei Unfällen im häuslichen Bereich, in der Freizeit und beim Sport (nach (10))

Alter

Hausunfälle

Freizeitunfälle

Sportunfälle

< 15 Jahre

9,4 %

10,0 %

13,6 %

15-24 Jahre

9,1 %

10,6 %

32,3 %

25-34 Jahre

15,4 %

10,5 %

21,6 %

35-44 Jahre

19,1 %

15,8 %

19,1 %

45-54 Jahre

14,5 %

14,3 %

7,1 %

55-64 Jahre

16,9 %

15,2 %

4,2 %

> 64 Jahre

15,6 %

23,6 %

2,1 %

Tab. 2 Verteilung der Verletzungsarten bei verschiedenen Unfallentitäten (nach (10))

Verletzungsart

Hausunfälle

Freizeitunfälle

Sportunfälle

Kontusion/Distorsion

30,5 %

32,1 %

34,3 %

Wunden

30,7 %

26,3 %

10,4 %

Muskel- und Sehnenverletzungen

8,3 %

12,1 %

23,6 %

Luxationen

5,6 %

4,9 %

11,2 %

Frakturen

20,8 %

24,6 %

20,5 %

Verbrennung/Verbrühung

4,1 %

 

 

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Literatur

  • 1 Casper W. Verletzungen und Vergiftungen. Ergebnisse aus dem Bundes-Gesundheitssurvey 1998.  Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz. 2000;  43 407-414
  • 2 Germann G, Hartmann B. Verletzungen durch physikalische Einwirkungen.  In: Mutschler W, Haas N (Hrsg.). Praxis der Unfallchirurgie.  Stuttgart, New York: Georg Thieme Verlag. 1999;  831
  • 3 Gläser H, Henke T. Sportunfälle - Häufigkeit, Kosten, Prävention.  Veröffentlichung der ARAG Allgemeine Versicherungs AG, Düsseldorf. 2002; 
  • 4 Grass R, Biewener A, Rammelt S, Zwipp H. Aktuelle Überlegungen zur Behandlung von OSG-Frakturen.  Trauma und Berufskrankheit 2003; published online first.
  • 5 Mussack T, Schmidbauer S, Lackner CK, Schweiberer L. Präklinisches Management bei der penetrierenden thorako-abdominellen Kombinationsverletzung.  Notfall & Rettungsmedizin. 1998;  1 355-360
  • 6 Nowotny T, Hinz P, Ekkernkamp A. Verbrennung durch weißen Phosphor.  Ärzteblatt Mecklenburg-Vorpommern. 2003;  13 185-187
  • 7 Richter D, Hahn MP, Laun RA, Ekkernkamp A, Muhr G, Ostermann PAW. Der sprunggelenksnahe Unterschenkelbruch.  Der Chirurg. 1998;  69 563-570
  • 8 Schmittenbecher PP, Fiedler A, Hierl C. Epidemiology of hospital admitted traumatic head injuries of children in a rural district of Germany.  Intensivmedizin und Notfallmedizin. 2001;  38 484-489
  • 9 Siebold R, Lichtenberg S, Habermeyer P. Therapiestrategie bei vorderer Schulterinstabilität, Trauma und Berufskrankheit.  2003;  5 114-119
  • 10 Wittig P. Repräsentative Haushaltsbefragungen in den Jahren 2000/2001.  Veröffentlichung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund. 2002; 
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Anschrift für die Verfasser

Dr. med. Thomas Nowotny

Abteilung für Unfallchirurgie

Klinik und Poliklinik für Chirurgie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

Loefflerstraße 23b

17487 Greifswald

Email: nowotny@uni-greifswald.de

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Literatur

  • 1 Casper W. Verletzungen und Vergiftungen. Ergebnisse aus dem Bundes-Gesundheitssurvey 1998.  Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz. 2000;  43 407-414
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  • 7 Richter D, Hahn MP, Laun RA, Ekkernkamp A, Muhr G, Ostermann PAW. Der sprunggelenksnahe Unterschenkelbruch.  Der Chirurg. 1998;  69 563-570
  • 8 Schmittenbecher PP, Fiedler A, Hierl C. Epidemiology of hospital admitted traumatic head injuries of children in a rural district of Germany.  Intensivmedizin und Notfallmedizin. 2001;  38 484-489
  • 9 Siebold R, Lichtenberg S, Habermeyer P. Therapiestrategie bei vorderer Schulterinstabilität, Trauma und Berufskrankheit.  2003;  5 114-119
  • 10 Wittig P. Repräsentative Haushaltsbefragungen in den Jahren 2000/2001.  Veröffentlichung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund. 2002; 
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Anschrift für die Verfasser

Dr. med. Thomas Nowotny

Abteilung für Unfallchirurgie

Klinik und Poliklinik für Chirurgie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

Loefflerstraße 23b

17487 Greifswald

Email: nowotny@uni-greifswald.de

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Abb. 1

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Abb. 2

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Abb. 3

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Abb. 4

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