Anamnese
Eine 79-jährige, bis dahin allein in ihrem Haushalt lebende
Frau, wurde notfallmäßig eingeliefert, weil sie verwirrt durch die
Straßen lief. Fremdanamnestisch war zu erfahren, dass der Hausarzt seit 6
Monaten eine vorher bei der Patientin nicht bekannte zunehmende
Ängstlichkeit mit 25 mg Amitriptylin (Saroten®)
behandelt hatte. Als in der Folgezeit die Unruhe stärker wurde, verordnete
er zusätzlich Clorazepat (Tranxilium®). Die Patientin sei
im Übrigen relativ gesund gewesen, habe auch keine anderen Medikamente
gebraucht.
Befunde
Die klinische Untersuchung zeigte eine
unruhige, zeitlich und örtlich desorientierte Frau, die sich nur
mühsam artikulieren konnte. Einfache Aufforderungen konnte sie befolgen,
jedoch stark verlangsamt. Es bestanden deutliche Vigilanzschwankungen mit
vermehrter Schläfrigkeit einerseits und unruhigem Umherlaufen
andererseits. Konzentration und Aufmerksamkeit waren schwer gestört. Der
Allgemeinzustand war etwas reduziert. Es fanden sich Hinweise auf eine
vernachlässigte Körperpflege.
Bei den Routineuntersuchungen fanden sich
Zeichen einer Exsikkose. EKG und Röntgenuntersuchung des Thorax waren
regelrecht. Ein kraniales Computertomogramm zeigte keinen Hinweis auf einen
raumfordernden Prozess oder ein ischämisches Ereignis. Die Patientin wurde
nach entsprechender konsiliarischer Untersuchung unter der Diagnose eines
deliranten Syn-droms notfallmäßig in die psychiatrische Klinik
verlegt.
Therapie und Verlauf
Unter stationärer Beobachtung und angemessener
Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr kam es zu einer weitgehenden
Reorientierung der Patientin. Der initial erhobene Mini-Mental-Status-Test
verbesserte sich von 19 auf 26 von 30 möglichen Punkten. In den
weiterführenden neuropsychologischen Untersuchungen fanden sich
persistierende Hinweise auf eine Störung vor allen Dingen des
Kurzzeitgedächtnisses. Zudem bestanden ausgeprägte
visuo-konstruktorische Defizite. Die kraniale Kernspintomographie (MRT) zeigte
eine bilateral temporale Atrophie. Die Hirnperfusionsszintigraphie mit
99mTc-ECD (Neurolite®) und Einzelphotonenemissionstomographie
(SPET) ergab bilaterale temporo-parietale Perfusionsdefizite. In der
Liquor-Diagnostik fand sich bis auf eine Erniedrigung von
Ab1 - 42 und eine Erhöhung des Tau-Proteins
kein auffälliger Befund.
Bei somit konsistenten Hinweisen auf eine Demenz vom Alzheimer-Typ,
die das Auftreten eines Delirs begünstigt hat, wurde eine Therapie mit
einem Cholinesterasehemmer begonnen. Zusätzlich wurde eine tägliche
Unterstützung durch die betreffende Sozialstation vermittelt. Nach
Probebeurlaubungen konnte die Patientin entlassen werden. Die
Überprüfung des „Funktionierens in eigener
Verantwortung” wurde mit dem Hausarzt und mit der zuständigen
Sozialstation besprochen.
Fazit
Das erstmalige Auftreten von Angst und Unruhe kann erstes
klinisches Zeichen einer Demenz (vom Alzheimer-Typ) sein. Durch für alte
Menschen und insbesondere Demenzpa-tienten inadäquate medikamentöse
Behandlung (stark anticholinerges trizyklisches Antidepressivum und später
Benzodiazepin mit langer Halbwertszeit) verschlechterte sich die Symptomatik
weiter, so dass die Patientin mit einem deliranten Syndrom
notfallmäßig eingewiesen werden musste. Durch Weglassen der
Medikation, adäquate Flüssigkeitszufuhr und tagesstrukturierende
Maßnahmen erholte sich die Patientin deutlich. Nach Beginn einer Therapie
mit einem Cholinesterasehemmer und Regelung der sozialen Verhältnisse
konnte die Patientin sogar wieder in die ambulante Behandlung entlassen werden.
Delirante Syndrome sind ein häufiges klinisches Notfallsymptom, was im
höheren Lebensalter immer zu einer Demenzdiagnostik Anlass geben
sollte.